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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Beize ihm ein Gräuel ist, überhaupt auf der Hut; hat mau aber
erst sein Vertrauen gewonnen, so darf man auch auf seine Treue
um so fester rechnen. Man läßt hier seine Zuneigungen nicht wie
kleine Scheidemünze censiren; man greift nicht so leicht zu, wie in
dem nach innen und außen spekulativen Norden, aber man hält län¬
ger fest.

Auch an Leihbibliotheken fehlt eS hier nicht. Im Jahre 183?
erzählte mir ein damals in München sich aufhaltender Schriftsteller,
daß jetzt erst Nachfrage nach Heine entstände und Eremplare der
Schriften dieses Autors in Münchner Leihbibliotheken angeschafft
würden. Die Wahrheit dieser Mittheilung angenommen -- warum
wollte man sich darüber beklagen? Die Unsterblichkeit eines jetzigen
deutsche" Autors dauert nicht leicht über zehn Jahre. Wie trostreich ist
es nun für einen berühmten Leipziger Schriftsteller, wenn er sich nach
den ihm zugemessenen zehn Jahren sagen darf: jetzt bist Du zwar
in Norddeutschland todt und vergessen, jetzt beginnt aber dafür Deine
neue Unsterblichkeit und Namensverlängcrung in München!

Schließlich dies: Wenn die Münchner Poeten und Schriftstel¬
ler wünschen, für ihre im Ganzen so friedfertigen und vom Welt-
und Zeitschmerz wenig oder gar nicht angebohrten Schöpfungen auch
im deutschen Norden Anklang und Theilnahme zu finden, so ist die¬
ser Wunsch sehr natürlich; werden sie aber auch, da sie, so viel ich
glaube, ziemlich sensible.; Stoffes und an ein ungetrübtes Still- und
Blumenleben gewöhnt sind, Selbstverläugnung genug haben, durch
alle jene Verdächtigungen, Anfeindungen und Treulosigkeiten, welche
von dem wachsenden Rufe eines Autors fast unzertrennlich sind, sich
nicht schrecken, noch in ihrer gemüthstiefen Productionslust stören zu
lassen? --




Beize ihm ein Gräuel ist, überhaupt auf der Hut; hat mau aber
erst sein Vertrauen gewonnen, so darf man auch auf seine Treue
um so fester rechnen. Man läßt hier seine Zuneigungen nicht wie
kleine Scheidemünze censiren; man greift nicht so leicht zu, wie in
dem nach innen und außen spekulativen Norden, aber man hält län¬
ger fest.

Auch an Leihbibliotheken fehlt eS hier nicht. Im Jahre 183?
erzählte mir ein damals in München sich aufhaltender Schriftsteller,
daß jetzt erst Nachfrage nach Heine entstände und Eremplare der
Schriften dieses Autors in Münchner Leihbibliotheken angeschafft
würden. Die Wahrheit dieser Mittheilung angenommen — warum
wollte man sich darüber beklagen? Die Unsterblichkeit eines jetzigen
deutsche» Autors dauert nicht leicht über zehn Jahre. Wie trostreich ist
es nun für einen berühmten Leipziger Schriftsteller, wenn er sich nach
den ihm zugemessenen zehn Jahren sagen darf: jetzt bist Du zwar
in Norddeutschland todt und vergessen, jetzt beginnt aber dafür Deine
neue Unsterblichkeit und Namensverlängcrung in München!

Schließlich dies: Wenn die Münchner Poeten und Schriftstel¬
ler wünschen, für ihre im Ganzen so friedfertigen und vom Welt-
und Zeitschmerz wenig oder gar nicht angebohrten Schöpfungen auch
im deutschen Norden Anklang und Theilnahme zu finden, so ist die¬
ser Wunsch sehr natürlich; werden sie aber auch, da sie, so viel ich
glaube, ziemlich sensible.; Stoffes und an ein ungetrübtes Still- und
Blumenleben gewöhnt sind, Selbstverläugnung genug haben, durch
alle jene Verdächtigungen, Anfeindungen und Treulosigkeiten, welche
von dem wachsenden Rufe eines Autors fast unzertrennlich sind, sich
nicht schrecken, noch in ihrer gemüthstiefen Productionslust stören zu
lassen? —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/564>, abgerufen am 27.05.2024.