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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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gestiegen. Sonst wurden sie häufig von Engländern gekauft, die sie
abbrechen und in ihre Heimath transportiren ließen.

Einen sehr vortheilhaften Kauf hat übrigens vor Kurzem noch
die Herzogin von Berry gemacht, indem sie den herrlichen Palast
Vendrcmini für 160,000 österreich. Lire, mit Allem, was darin ist, er¬
standen. Allein an Gemälden und kostbaren Marmor-, Porphyr-
und Jaspis-Säulen enthält der Palast einen Schatz von 60,000
Francs an Werth. Wie es heißt, wird die Herzogin künftig ihre
Winter in dem neu erworbenen Eigenthum zubringen.

Im Ganzen sieht sich die Stadt jetzt viel reinlicher an, als vor
Jahren, und der Pauperismus, um die Armuth mit ihrem modernen
Namen zu benennen, hält sich mehr versteckt; Straßen und Kanäle
sind belebter. Des Nachts ist Venedig nun auch mit Gas erhellt,
und diese Beleuchtung bringt in der ohnedies wunderbaren Stadt
einen ganz einzigen Effect hervor; vorzüglich erscheinen der Marcus-
platz mit der Kirche und dem Dogenpalast märchenhaft -- unge¬
fähr wie Dekorationen in einer Zauberoper. Der Bau der Eisen¬
bahn durch die Lagunen vermehrt auch das Treiben ringsum; im
nächsten Jahr wird sie fertig sein, und schon fährt man per Dampf
eine gute Strecke auf dem Viaduct in die See hinein. Diese Rie¬
senarbeit macht der neueren Zeit Ehre und kann sich den Unterneh¬
mungen der alten Römer würdig zur Seite stellen.

Viele meinen, wenn die Eisenbahn sertig und im Gange sei,
werde Venedig das Meiste von seiner Eigenthümlichkeit verlieren und
eine gewöhnliche Continentalstadt mit Hafen werden; das hat aber
Nichts zu sagen, seine innere Construction bleibt ja dieselbe, so lange
man nicht alle Kanäle ausfüllt und ein künstliches Festland hervor¬
bringt. Im Gegentheil, der Anblick der vielen Arkaden mitten im
Wasser, die meilenweit fortlaufen und dampfende Maschinen nebst
ihren bevölkerten und beladenen Schweifen gleichsam in der Luft und
durch die Luft tragen, wird noch überraschender und effectreicher sein.
Herbst und Venedig passen recht eigentlich zusammen, obgleich Eins
durch das Andre nur noch trauriger wird. Bäume, Blumen, Gesang
der Vögel sucht man hier auch im Lenz vergebens.

Für mich würde ein längerer Aufenthalt in der ehemaligen Be¬
herrscherin der Meere durchaus nicht ersprießlich sein, denn trotzdem
ich nun schon geraume Zeit die heitern Lüfte von Toscana einathme,


Grcnzbot^n I8i4. II.

gestiegen. Sonst wurden sie häufig von Engländern gekauft, die sie
abbrechen und in ihre Heimath transportiren ließen.

Einen sehr vortheilhaften Kauf hat übrigens vor Kurzem noch
die Herzogin von Berry gemacht, indem sie den herrlichen Palast
Vendrcmini für 160,000 österreich. Lire, mit Allem, was darin ist, er¬
standen. Allein an Gemälden und kostbaren Marmor-, Porphyr-
und Jaspis-Säulen enthält der Palast einen Schatz von 60,000
Francs an Werth. Wie es heißt, wird die Herzogin künftig ihre
Winter in dem neu erworbenen Eigenthum zubringen.

Im Ganzen sieht sich die Stadt jetzt viel reinlicher an, als vor
Jahren, und der Pauperismus, um die Armuth mit ihrem modernen
Namen zu benennen, hält sich mehr versteckt; Straßen und Kanäle
sind belebter. Des Nachts ist Venedig nun auch mit Gas erhellt,
und diese Beleuchtung bringt in der ohnedies wunderbaren Stadt
einen ganz einzigen Effect hervor; vorzüglich erscheinen der Marcus-
platz mit der Kirche und dem Dogenpalast märchenhaft — unge¬
fähr wie Dekorationen in einer Zauberoper. Der Bau der Eisen¬
bahn durch die Lagunen vermehrt auch das Treiben ringsum; im
nächsten Jahr wird sie fertig sein, und schon fährt man per Dampf
eine gute Strecke auf dem Viaduct in die See hinein. Diese Rie¬
senarbeit macht der neueren Zeit Ehre und kann sich den Unterneh¬
mungen der alten Römer würdig zur Seite stellen.

Viele meinen, wenn die Eisenbahn sertig und im Gange sei,
werde Venedig das Meiste von seiner Eigenthümlichkeit verlieren und
eine gewöhnliche Continentalstadt mit Hafen werden; das hat aber
Nichts zu sagen, seine innere Construction bleibt ja dieselbe, so lange
man nicht alle Kanäle ausfüllt und ein künstliches Festland hervor¬
bringt. Im Gegentheil, der Anblick der vielen Arkaden mitten im
Wasser, die meilenweit fortlaufen und dampfende Maschinen nebst
ihren bevölkerten und beladenen Schweifen gleichsam in der Luft und
durch die Luft tragen, wird noch überraschender und effectreicher sein.
Herbst und Venedig passen recht eigentlich zusammen, obgleich Eins
durch das Andre nur noch trauriger wird. Bäume, Blumen, Gesang
der Vögel sucht man hier auch im Lenz vergebens.

Für mich würde ein längerer Aufenthalt in der ehemaligen Be¬
herrscherin der Meere durchaus nicht ersprießlich sein, denn trotzdem
ich nun schon geraume Zeit die heitern Lüfte von Toscana einathme,


Grcnzbot^n I8i4. II.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/89>, abgerufen am 10.06.2024.