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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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den Redlichen, den die Armuth noch nicht verführt hat, und der blos
einer schützenden Hand bedarf, um niemals zu straucheln. Das sind die
Leute, die man zum Gegenstand der öffentlichen Wachsamkeit machen
muß, denen ihr Nichts zu geben braucht als Arbeit, um sie glücklich
zu machen. Kümmere sich die Gesellschaft um diese nicht, und schenkt
sie ihre Zärtlichkeit blos den Verbrechern, die weniger standhaft gewe¬
sen in ihrem Stoizismus, so lenkt sie den Verdacht auf sich, aus sei
die Quelle ihrer Mildthätigkeit nicht Menschenliebe, sondern die
Furcht vor der Energie des Verbrechens! -- Rainer. --


2.
Von einem anderen Correspondenten.

Die "österreichischen" und die "deutschen" Zeitungen. -- Die Arbeiterunruhcn
in Prag. -- Der Bürgermeister. -- Eine Antwort der Censur. -- Fürst Met-
ternich und Oehlenschläger. -- Or.tre po"r I" ""-nec. -- Ein Büchelmacher.
-- Somaruga.

Die Empörung der Fabrikarbeiter in Prag dürste Ihnen durch
deutsche Blätter bereits bekannt geworden sein; die österreichischen be¬
obachten, wie gewöhnlich, ein aufgedrungenes Stillschweigen und ihre
Redactcure lesen dann als Neuigkeit in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, was sie schaudernd selbst erlebt. Daher nicht selten die Er¬
bitterung der Correspondenzartikel aus Wien. Wäre diesen eine Be¬
sprechung, wenn auch eine censurüberwachte, gegönnt, diese Behörde
bekäme dann keine so bitteren Pillen zu schlucken, als gewöhnlich ge¬
schieht. Die Allgemeine Zeitung zählt viertausend Abonnenten in Oe¬
sterreich, somit erhalten die in ihr mitgetheilten Nachrichten eine grö¬
ßere Publizität, als wenn sie in allen österreichischen Journalen zusam¬
men abgedruckt wären. Wie wohlwollend die Augsburgerin über Oe¬
sterreich berichtet, ist bekannt; nun aber die Berichte in der Kölner
Zeitung, in der Oberpostamtszeitung u. s. w. Das Unpraktische die¬
ses Verfahrens ist selbst der Eensurbehörde klar und scheitert vielleicht
an der Eigenwilligkeit Einzelner. Soll der hiesige Journalist an die
Hofkanzlei (welche ungefähr unser Obercensurcollegium bildet) appelli-
ren? Bei ihrer höheren Einsicht ist vielleicht oft Erfolg zu hoffen,
aber etwa nach Wochen, wenn die Neuigkeit keine mehr ist, und so
ist dieser Appellationsweg nur Büchern oder Aufsätzen, die an keine
Zeit gebunden sind, offen. Nur die (k. k. privilegirte) Prager Zeitung
machte die offizielle Mittheilung der vorgefallenen Excesse und nannte
die Polizei als zwei Tage früher von ihnen unterrichtet!! die aber die
Thätlichkeiten nicht verhindern konnte. Die Arbeiter verlangten die
Abschaffung der Perontie-Maschinen und zerstörten auch einige in
verschiedenen Fabriken. Thatsache ist es, daß alle Arbeit eingestellt


den Redlichen, den die Armuth noch nicht verführt hat, und der blos
einer schützenden Hand bedarf, um niemals zu straucheln. Das sind die
Leute, die man zum Gegenstand der öffentlichen Wachsamkeit machen
muß, denen ihr Nichts zu geben braucht als Arbeit, um sie glücklich
zu machen. Kümmere sich die Gesellschaft um diese nicht, und schenkt
sie ihre Zärtlichkeit blos den Verbrechern, die weniger standhaft gewe¬
sen in ihrem Stoizismus, so lenkt sie den Verdacht auf sich, aus sei
die Quelle ihrer Mildthätigkeit nicht Menschenliebe, sondern die
Furcht vor der Energie des Verbrechens! — Rainer. —


2.
Von einem anderen Correspondenten.

Die „österreichischen" und die „deutschen" Zeitungen. — Die Arbeiterunruhcn
in Prag. — Der Bürgermeister. — Eine Antwort der Censur. — Fürst Met-
ternich und Oehlenschläger. — Or.tre po»r I« ""-nec. — Ein Büchelmacher.
— Somaruga.

Die Empörung der Fabrikarbeiter in Prag dürste Ihnen durch
deutsche Blätter bereits bekannt geworden sein; die österreichischen be¬
obachten, wie gewöhnlich, ein aufgedrungenes Stillschweigen und ihre
Redactcure lesen dann als Neuigkeit in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, was sie schaudernd selbst erlebt. Daher nicht selten die Er¬
bitterung der Correspondenzartikel aus Wien. Wäre diesen eine Be¬
sprechung, wenn auch eine censurüberwachte, gegönnt, diese Behörde
bekäme dann keine so bitteren Pillen zu schlucken, als gewöhnlich ge¬
schieht. Die Allgemeine Zeitung zählt viertausend Abonnenten in Oe¬
sterreich, somit erhalten die in ihr mitgetheilten Nachrichten eine grö¬
ßere Publizität, als wenn sie in allen österreichischen Journalen zusam¬
men abgedruckt wären. Wie wohlwollend die Augsburgerin über Oe¬
sterreich berichtet, ist bekannt; nun aber die Berichte in der Kölner
Zeitung, in der Oberpostamtszeitung u. s. w. Das Unpraktische die¬
ses Verfahrens ist selbst der Eensurbehörde klar und scheitert vielleicht
an der Eigenwilligkeit Einzelner. Soll der hiesige Journalist an die
Hofkanzlei (welche ungefähr unser Obercensurcollegium bildet) appelli-
ren? Bei ihrer höheren Einsicht ist vielleicht oft Erfolg zu hoffen,
aber etwa nach Wochen, wenn die Neuigkeit keine mehr ist, und so
ist dieser Appellationsweg nur Büchern oder Aufsätzen, die an keine
Zeit gebunden sind, offen. Nur die (k. k. privilegirte) Prager Zeitung
machte die offizielle Mittheilung der vorgefallenen Excesse und nannte
die Polizei als zwei Tage früher von ihnen unterrichtet!! die aber die
Thätlichkeiten nicht verhindern konnte. Die Arbeiter verlangten die
Abschaffung der Perontie-Maschinen und zerstörten auch einige in
verschiedenen Fabriken. Thatsache ist es, daß alle Arbeit eingestellt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/95>, abgerufen am 10.06.2024.