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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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der Hegelschen Schule geschrieben und damit bei einer gewissen Par¬
tei großen Jubel erregt. Man beruft sich auf ihn, man citirt ihn
als Autoritär, der österreichische Professor ist für beide Theile ein
bequemer Blitzableiter geworden. Wenn man die grobe Polemik der
Hegelianer fürchtet, beruft man sich auf Erner, der mit ihnen zu
sprechen verstehe und diesen und jenen Punkt schon zum Abschluß
gebracht habe. Erner selbst ist die klarste, schärfste, nüchternste Re¬
flexion. Hat er die Hegel'sche Psychologie widerlegt? Auf seinem
Standpunkte -- ja; fürZdiesen gab es aber, auch schon vor seiner
Widerlegung, keine Hegel'sche Psychologie, für diesen war seine ganze
Arbeit eine überflüssige. Denn für die bloße Reflexion gibt es keine
speculative Erhebung. Freilich, Professor Erner lächelt ungläubig zu
dieser Unterscheidung, er nennt vielleicht Willkür der Phantasie, was
die Hegelianer dialektische Methode nennen; er wird sich darauf be¬
rufen, daß die dialektische Methode, dieser angebliche Kern und Nerv
aller höheren Spekulation, als eine speculative Nothwendigkeit noch
nirgends deducirt wurde, daß hingegen er sie als bloßes Blendwerk,
als willkürliches Spiel mit "unschuldigen Trichotomien" ausgezeigt und so
ihres falschen Nimbus entkleidet habe. Indeß ist das Alles auch
schon früher von Anderen geschehen. Schon Stahl z. B. hat im
ersten Bande seiner Philosophie des Rechts die dialektische Methode
vom Standpunkte der bloßen Reflexion stegreich bekämpft. Niemand
hat aber jemals der bloßen Reflexion zugemuthet, speculativ zu sein.
Wo aber Erner glaubt, die dialektische Methode innerhalb ihrer
selbst zu bekämpfen, da ist er in arger Selbsttäuschung befangen. Es
ist noch immer derselbe, durch und durch mit Reflexion und dürrer
Verstandeölogik imprägnirte, trockene Syllogistiker, der im zweiten Ab¬
schnitte abermals vom eigenen Standpunkte der groben Reflexion aus
die Methode zerfasert, wie er im ersten Abschnitte die Hegel'sche"
Psychologen mit derben Fäusten zerbläute. Damit aber, daß Er¬
ner auch die Methode angreist, hat er sich wahrlich noch nicht
auf den Standpunkt der Hegel'schen Schule selbst gestellt und eine
innere Kritik geübt. Er hat ja auch sicher seine früheren Waffen mit¬
gebracht, er hat sich nicht der Vorur theile, die sich in seine Re¬
flexion einnisteten, entledigt, er ist nicht voraussetzungslos geworden.
Er bringt seinen Begriff vom Begriffe mit, er beurtheilt die Be¬
wegung des speculativen Denkens an diesem seinem Begriffe, an set-


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der Hegelschen Schule geschrieben und damit bei einer gewissen Par¬
tei großen Jubel erregt. Man beruft sich auf ihn, man citirt ihn
als Autoritär, der österreichische Professor ist für beide Theile ein
bequemer Blitzableiter geworden. Wenn man die grobe Polemik der
Hegelianer fürchtet, beruft man sich auf Erner, der mit ihnen zu
sprechen verstehe und diesen und jenen Punkt schon zum Abschluß
gebracht habe. Erner selbst ist die klarste, schärfste, nüchternste Re¬
flexion. Hat er die Hegel'sche Psychologie widerlegt? Auf seinem
Standpunkte — ja; fürZdiesen gab es aber, auch schon vor seiner
Widerlegung, keine Hegel'sche Psychologie, für diesen war seine ganze
Arbeit eine überflüssige. Denn für die bloße Reflexion gibt es keine
speculative Erhebung. Freilich, Professor Erner lächelt ungläubig zu
dieser Unterscheidung, er nennt vielleicht Willkür der Phantasie, was
die Hegelianer dialektische Methode nennen; er wird sich darauf be¬
rufen, daß die dialektische Methode, dieser angebliche Kern und Nerv
aller höheren Spekulation, als eine speculative Nothwendigkeit noch
nirgends deducirt wurde, daß hingegen er sie als bloßes Blendwerk,
als willkürliches Spiel mit „unschuldigen Trichotomien" ausgezeigt und so
ihres falschen Nimbus entkleidet habe. Indeß ist das Alles auch
schon früher von Anderen geschehen. Schon Stahl z. B. hat im
ersten Bande seiner Philosophie des Rechts die dialektische Methode
vom Standpunkte der bloßen Reflexion stegreich bekämpft. Niemand
hat aber jemals der bloßen Reflexion zugemuthet, speculativ zu sein.
Wo aber Erner glaubt, die dialektische Methode innerhalb ihrer
selbst zu bekämpfen, da ist er in arger Selbsttäuschung befangen. Es
ist noch immer derselbe, durch und durch mit Reflexion und dürrer
Verstandeölogik imprägnirte, trockene Syllogistiker, der im zweiten Ab¬
schnitte abermals vom eigenen Standpunkte der groben Reflexion aus
die Methode zerfasert, wie er im ersten Abschnitte die Hegel'sche»
Psychologen mit derben Fäusten zerbläute. Damit aber, daß Er¬
ner auch die Methode angreist, hat er sich wahrlich noch nicht
auf den Standpunkt der Hegel'schen Schule selbst gestellt und eine
innere Kritik geübt. Er hat ja auch sicher seine früheren Waffen mit¬
gebracht, er hat sich nicht der Vorur theile, die sich in seine Re¬
flexion einnisteten, entledigt, er ist nicht voraussetzungslos geworden.
Er bringt seinen Begriff vom Begriffe mit, er beurtheilt die Be¬
wegung des speculativen Denkens an diesem seinem Begriffe, an set-


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[0439] der Hegelschen Schule geschrieben und damit bei einer gewissen Par¬ tei großen Jubel erregt. Man beruft sich auf ihn, man citirt ihn als Autoritär, der österreichische Professor ist für beide Theile ein bequemer Blitzableiter geworden. Wenn man die grobe Polemik der Hegelianer fürchtet, beruft man sich auf Erner, der mit ihnen zu sprechen verstehe und diesen und jenen Punkt schon zum Abschluß gebracht habe. Erner selbst ist die klarste, schärfste, nüchternste Re¬ flexion. Hat er die Hegel'sche Psychologie widerlegt? Auf seinem Standpunkte — ja; fürZdiesen gab es aber, auch schon vor seiner Widerlegung, keine Hegel'sche Psychologie, für diesen war seine ganze Arbeit eine überflüssige. Denn für die bloße Reflexion gibt es keine speculative Erhebung. Freilich, Professor Erner lächelt ungläubig zu dieser Unterscheidung, er nennt vielleicht Willkür der Phantasie, was die Hegelianer dialektische Methode nennen; er wird sich darauf be¬ rufen, daß die dialektische Methode, dieser angebliche Kern und Nerv aller höheren Spekulation, als eine speculative Nothwendigkeit noch nirgends deducirt wurde, daß hingegen er sie als bloßes Blendwerk, als willkürliches Spiel mit „unschuldigen Trichotomien" ausgezeigt und so ihres falschen Nimbus entkleidet habe. Indeß ist das Alles auch schon früher von Anderen geschehen. Schon Stahl z. B. hat im ersten Bande seiner Philosophie des Rechts die dialektische Methode vom Standpunkte der bloßen Reflexion stegreich bekämpft. Niemand hat aber jemals der bloßen Reflexion zugemuthet, speculativ zu sein. Wo aber Erner glaubt, die dialektische Methode innerhalb ihrer selbst zu bekämpfen, da ist er in arger Selbsttäuschung befangen. Es ist noch immer derselbe, durch und durch mit Reflexion und dürrer Verstandeölogik imprägnirte, trockene Syllogistiker, der im zweiten Ab¬ schnitte abermals vom eigenen Standpunkte der groben Reflexion aus die Methode zerfasert, wie er im ersten Abschnitte die Hegel'sche» Psychologen mit derben Fäusten zerbläute. Damit aber, daß Er¬ ner auch die Methode angreist, hat er sich wahrlich noch nicht auf den Standpunkt der Hegel'schen Schule selbst gestellt und eine innere Kritik geübt. Er hat ja auch sicher seine früheren Waffen mit¬ gebracht, er hat sich nicht der Vorur theile, die sich in seine Re¬ flexion einnisteten, entledigt, er ist nicht voraussetzungslos geworden. Er bringt seinen Begriff vom Begriffe mit, er beurtheilt die Be¬ wegung des speculativen Denkens an diesem seinem Begriffe, an set- 55 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/439>, abgerufen am 29.05.2024.