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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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und glaubten bereits ihre Ruhe gewonnen, indem sie die wichtigste
Seite der Ueberzeugung vornehm ignorirten. Doch dieser faule Zu¬
stand ist auf die Dauer bei der Mehrzahl der Menschen gar nicht
haltbar und wir bemerken an diesen Deisten ohne Geistesschärfe, an
diesen Atheisten ohne die mindeste Logik im Verlaufe ihres Lebens ein
immerwährendes, unerquickliches Schwanken, einen krampfhaften Zu¬
stand der Seele, eine Verwirrung und Ziellosigkeit des Gemüthes,
welche man oft dem Auge der Welt zu verbergen sucht, die aber
dennoch einmal vorhanden sind und den Genuß der materiellen Gü¬
ter, bei dem man sich lange Zeit beruhigt hatte, auf die bitterste
Weise verkümmern. Dieses Schaukelsystem von Dünkel und peinigen¬
der Leere ist eine traurige Seclenlage und es bedarf da blos einer zu¬
fälligen Anregung, einer persönlichen Begegnung, um die große Schaar
dieser Nachlösen einem Justemilieu-Culrus zuzuführen, der in der stil¬
len Begrenzung häuslicher, zwangloser Andachtsübungen seine Befrie¬
digung findet. Die erwähnten Betversammlungen, gegen welche jetzt
mit aller Strenge des Gesetzes verfahren werden soll, beschäftigten sich
vorzüglich mit Vorlesung von gedruckten Predigten, über deren Tendenz
man Verschiedenes hört, denn während die Einen behaupten, es seien lediglich
Ausgeburten des Muckerthums dazu verwendet worden, sagen wieder
Andere, man habe sich an die lichtesten Werke des reinen Protestantismus,
an einen Ammon, Dräseke u. s. w. gehalten. Wahrscheinlich werden
beide Aussagen Wahrheit enthalten und diese Versammlungen selbst
verschiedene Tendenzen befolgt, ein pietistisches Colorit getragen, die
anderen mehr dem Denkglaubcn gehuldigt haben. Ein7hoher Staats¬
beamter soll in dieser Beziehung gesagt haben: Eher müsse die Welt
zu Grunde gehen, ehe solche Versammlungen in Oesterreich geduldet
werden dürften.

Die Unterdrückung derselben ist sehr leicht: man braucht blos das
vorhandene Gesetz über unerlaubte Versammlungen oder Vereine da¬
gegen aufzurufen. Welcher Hemmschuh in dieser Hinsicht das er¬
wähnte, zur Zeit der französischen Staatsumwälzung erlassene Gesetz
für jedes vereinte Wirken ist, das möge das Beispiel der seit Kurzem
bestehenden Liedertafel beweisen, welche die von der Landesbehörde be¬
stätigten Statuten in den Handen hat, gleichwohl von der Polizeihof¬
stelle nicht die Anerkennung erringen kann, welche es ihr möglich ma¬
chen würde, als wirklicher Verein öffentlich aufzutreten. Als ihr Vor¬
stand, der erst kürzlich von seiner norddeutschen Neise zurückgekehrte
Redacteur der Musikzeitung, !)r. Schmidt, einen Aufruf in den Zei¬
tungen einrücken lassen wollte, um Mitglieder zum Beitritt einzula¬
den, ward derselbe vom Censor gestrichen, so daß der Liedertafel blos
der Weg mündlicher Verständigung übrig bleibt, was dem rascheren
Gedeihen derselben sehr hinderlich ist. Seitdem sie indeß den Kaiser
nach seiner Rückkehr von der Reise nach Trieft im Lustschloß zu Schön-


und glaubten bereits ihre Ruhe gewonnen, indem sie die wichtigste
Seite der Ueberzeugung vornehm ignorirten. Doch dieser faule Zu¬
stand ist auf die Dauer bei der Mehrzahl der Menschen gar nicht
haltbar und wir bemerken an diesen Deisten ohne Geistesschärfe, an
diesen Atheisten ohne die mindeste Logik im Verlaufe ihres Lebens ein
immerwährendes, unerquickliches Schwanken, einen krampfhaften Zu¬
stand der Seele, eine Verwirrung und Ziellosigkeit des Gemüthes,
welche man oft dem Auge der Welt zu verbergen sucht, die aber
dennoch einmal vorhanden sind und den Genuß der materiellen Gü¬
ter, bei dem man sich lange Zeit beruhigt hatte, auf die bitterste
Weise verkümmern. Dieses Schaukelsystem von Dünkel und peinigen¬
der Leere ist eine traurige Seclenlage und es bedarf da blos einer zu¬
fälligen Anregung, einer persönlichen Begegnung, um die große Schaar
dieser Nachlösen einem Justemilieu-Culrus zuzuführen, der in der stil¬
len Begrenzung häuslicher, zwangloser Andachtsübungen seine Befrie¬
digung findet. Die erwähnten Betversammlungen, gegen welche jetzt
mit aller Strenge des Gesetzes verfahren werden soll, beschäftigten sich
vorzüglich mit Vorlesung von gedruckten Predigten, über deren Tendenz
man Verschiedenes hört, denn während die Einen behaupten, es seien lediglich
Ausgeburten des Muckerthums dazu verwendet worden, sagen wieder
Andere, man habe sich an die lichtesten Werke des reinen Protestantismus,
an einen Ammon, Dräseke u. s. w. gehalten. Wahrscheinlich werden
beide Aussagen Wahrheit enthalten und diese Versammlungen selbst
verschiedene Tendenzen befolgt, ein pietistisches Colorit getragen, die
anderen mehr dem Denkglaubcn gehuldigt haben. Ein7hoher Staats¬
beamter soll in dieser Beziehung gesagt haben: Eher müsse die Welt
zu Grunde gehen, ehe solche Versammlungen in Oesterreich geduldet
werden dürften.

Die Unterdrückung derselben ist sehr leicht: man braucht blos das
vorhandene Gesetz über unerlaubte Versammlungen oder Vereine da¬
gegen aufzurufen. Welcher Hemmschuh in dieser Hinsicht das er¬
wähnte, zur Zeit der französischen Staatsumwälzung erlassene Gesetz
für jedes vereinte Wirken ist, das möge das Beispiel der seit Kurzem
bestehenden Liedertafel beweisen, welche die von der Landesbehörde be¬
stätigten Statuten in den Handen hat, gleichwohl von der Polizeihof¬
stelle nicht die Anerkennung erringen kann, welche es ihr möglich ma¬
chen würde, als wirklicher Verein öffentlich aufzutreten. Als ihr Vor¬
stand, der erst kürzlich von seiner norddeutschen Neise zurückgekehrte
Redacteur der Musikzeitung, !)r. Schmidt, einen Aufruf in den Zei¬
tungen einrücken lassen wollte, um Mitglieder zum Beitritt einzula¬
den, ward derselbe vom Censor gestrichen, so daß der Liedertafel blos
der Weg mündlicher Verständigung übrig bleibt, was dem rascheren
Gedeihen derselben sehr hinderlich ist. Seitdem sie indeß den Kaiser
nach seiner Rückkehr von der Reise nach Trieft im Lustschloß zu Schön-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/472>, abgerufen am 15.05.2024.