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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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das anatomische Theater, die Thierarzneischule, die Wasserbauschule,
das topographische Bureau u. s. f. durch musterhafte Anlage und
Einrichtung sich auszeichneten, doch versäumte er darüber nicht, auch
die Künste unter seinen königlichen Schutz zu nehmen. Während der
größeren ersten Hälfte seiner Regierung konnte er freilich den Künsten
keine ausgedehnte Pflege angedeihen lassen, da der unersättliche Ab¬
grund der Napoleonischen Kriege, an denen Baiern Theil zu nehmen
verpflichtet war, so viele Staatskräste verschlang. Doch war auch
diese Periode nicht bedeutungslos sür die Kunst, wenn schon mehr
auf negativem als positivem Wege. Der Uebergang vom Rococo
zu einem zugleich einfachen und schönen Kunststyl konnte unmöglich
im Sprunge geschehen; es mußten erst die Verschnörkelungen und
Verkröpfungen, die Unarten und Abarten, die Ausschweifungen und
Auögeschweiftheiten, durch welche die Kunst ihren Leib und ihre Seele
zu Grunde gerichtet hatte, beseitigt und l'ubuli" i-its.-,, gemacht wer¬
den; daher entsagte man allen Verschönerungsmitteln und Ornamen¬
ten und kehrte zu den einfachsten und schlichtesten Verhältnissen zurück,
selbst auf die Gefahr hin, in die vollkommenste Nüchternheit und
Kahlheit zu versinken. Das Solide, blos Praktische und Zweckmä¬
ßige war, wie für jene Zeit überhaupt, so besonders für die Bestre¬
bungen des Königs Maximilian bezeichnend. Wir finden hier das¬
selbe radicale Heilmittel thätig und wirksam, wie zu Gottsched's Zeit
in der Literatur. Die üppigen, Herz und Seele verzehrenden Aus¬
wüchse der Lobenstein-Hofmannswaldauschen Schule mußten damals
der plattesten Nüchternheit und einfachsten Regelmäßigkeit das Feld
räumen, ehe man daran denken konnte, die Poesie zu einem Ausdrucke
eines innern erhöhtem! Lebens zu gestalten und zugleich in ihrer
äußeren Formenerscheinung den Gesetzen der Schönheit Genüge zu
leisten. Man betrachte vie Kasernen, welche Marimilian in jenen
kriegerischen Zeiten in München erbauen ließ. Sie bestehen aus un¬
geheuren, aber so monotonen Massen, daß sie ganz ausdruckslos und
schwach erscheinen, während das unendlich kleinere Gebäude der Glyp¬
tothek neben ihnen als groß und erhaben gelten darf. Diese prak¬
tisch nüchterne Richtung der Architektur vertrat in München beson¬
ders der verdienstliche Karl von Fischer, von welchem auch das
Palais des Prinzen im englischen Garten, die FcMde des allgemet-


Wrcnjlivtc", 1845. I.

das anatomische Theater, die Thierarzneischule, die Wasserbauschule,
das topographische Bureau u. s. f. durch musterhafte Anlage und
Einrichtung sich auszeichneten, doch versäumte er darüber nicht, auch
die Künste unter seinen königlichen Schutz zu nehmen. Während der
größeren ersten Hälfte seiner Regierung konnte er freilich den Künsten
keine ausgedehnte Pflege angedeihen lassen, da der unersättliche Ab¬
grund der Napoleonischen Kriege, an denen Baiern Theil zu nehmen
verpflichtet war, so viele Staatskräste verschlang. Doch war auch
diese Periode nicht bedeutungslos sür die Kunst, wenn schon mehr
auf negativem als positivem Wege. Der Uebergang vom Rococo
zu einem zugleich einfachen und schönen Kunststyl konnte unmöglich
im Sprunge geschehen; es mußten erst die Verschnörkelungen und
Verkröpfungen, die Unarten und Abarten, die Ausschweifungen und
Auögeschweiftheiten, durch welche die Kunst ihren Leib und ihre Seele
zu Grunde gerichtet hatte, beseitigt und l'ubuli» i-its.-,, gemacht wer¬
den; daher entsagte man allen Verschönerungsmitteln und Ornamen¬
ten und kehrte zu den einfachsten und schlichtesten Verhältnissen zurück,
selbst auf die Gefahr hin, in die vollkommenste Nüchternheit und
Kahlheit zu versinken. Das Solide, blos Praktische und Zweckmä¬
ßige war, wie für jene Zeit überhaupt, so besonders für die Bestre¬
bungen des Königs Maximilian bezeichnend. Wir finden hier das¬
selbe radicale Heilmittel thätig und wirksam, wie zu Gottsched's Zeit
in der Literatur. Die üppigen, Herz und Seele verzehrenden Aus¬
wüchse der Lobenstein-Hofmannswaldauschen Schule mußten damals
der plattesten Nüchternheit und einfachsten Regelmäßigkeit das Feld
räumen, ehe man daran denken konnte, die Poesie zu einem Ausdrucke
eines innern erhöhtem! Lebens zu gestalten und zugleich in ihrer
äußeren Formenerscheinung den Gesetzen der Schönheit Genüge zu
leisten. Man betrachte vie Kasernen, welche Marimilian in jenen
kriegerischen Zeiten in München erbauen ließ. Sie bestehen aus un¬
geheuren, aber so monotonen Massen, daß sie ganz ausdruckslos und
schwach erscheinen, während das unendlich kleinere Gebäude der Glyp¬
tothek neben ihnen als groß und erhaben gelten darf. Diese prak¬
tisch nüchterne Richtung der Architektur vertrat in München beson¬
ders der verdienstliche Karl von Fischer, von welchem auch das
Palais des Prinzen im englischen Garten, die FcMde des allgemet-


Wrcnjlivtc», 1845. I.
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[0219] das anatomische Theater, die Thierarzneischule, die Wasserbauschule, das topographische Bureau u. s. f. durch musterhafte Anlage und Einrichtung sich auszeichneten, doch versäumte er darüber nicht, auch die Künste unter seinen königlichen Schutz zu nehmen. Während der größeren ersten Hälfte seiner Regierung konnte er freilich den Künsten keine ausgedehnte Pflege angedeihen lassen, da der unersättliche Ab¬ grund der Napoleonischen Kriege, an denen Baiern Theil zu nehmen verpflichtet war, so viele Staatskräste verschlang. Doch war auch diese Periode nicht bedeutungslos sür die Kunst, wenn schon mehr auf negativem als positivem Wege. Der Uebergang vom Rococo zu einem zugleich einfachen und schönen Kunststyl konnte unmöglich im Sprunge geschehen; es mußten erst die Verschnörkelungen und Verkröpfungen, die Unarten und Abarten, die Ausschweifungen und Auögeschweiftheiten, durch welche die Kunst ihren Leib und ihre Seele zu Grunde gerichtet hatte, beseitigt und l'ubuli» i-its.-,, gemacht wer¬ den; daher entsagte man allen Verschönerungsmitteln und Ornamen¬ ten und kehrte zu den einfachsten und schlichtesten Verhältnissen zurück, selbst auf die Gefahr hin, in die vollkommenste Nüchternheit und Kahlheit zu versinken. Das Solide, blos Praktische und Zweckmä¬ ßige war, wie für jene Zeit überhaupt, so besonders für die Bestre¬ bungen des Königs Maximilian bezeichnend. Wir finden hier das¬ selbe radicale Heilmittel thätig und wirksam, wie zu Gottsched's Zeit in der Literatur. Die üppigen, Herz und Seele verzehrenden Aus¬ wüchse der Lobenstein-Hofmannswaldauschen Schule mußten damals der plattesten Nüchternheit und einfachsten Regelmäßigkeit das Feld räumen, ehe man daran denken konnte, die Poesie zu einem Ausdrucke eines innern erhöhtem! Lebens zu gestalten und zugleich in ihrer äußeren Formenerscheinung den Gesetzen der Schönheit Genüge zu leisten. Man betrachte vie Kasernen, welche Marimilian in jenen kriegerischen Zeiten in München erbauen ließ. Sie bestehen aus un¬ geheuren, aber so monotonen Massen, daß sie ganz ausdruckslos und schwach erscheinen, während das unendlich kleinere Gebäude der Glyp¬ tothek neben ihnen als groß und erhaben gelten darf. Diese prak¬ tisch nüchterne Richtung der Architektur vertrat in München beson¬ ders der verdienstliche Karl von Fischer, von welchem auch das Palais des Prinzen im englischen Garten, die FcMde des allgemet- Wrcnjlivtc», 1845. I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/219>, abgerufen am 17.06.2024.