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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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dem das Vertrauen der Mitbürger bei der Wahl entscheide. -- Die
Aufhebung der Mahl-und Schlachtsteuer wird vielfach gewünscht.
Bielefeld, das auch um Lehrfreiheit gebeten, das seine Theil¬
nahme am öffentlichen Leben in siebzehn Petitionen ausgesprochen,
hat auch eine Revision der Steuergesetzgebung erbeten, die
um so nothwendiger, da bei der jetzigen Besteuerung die minder wohl¬
habenden Klassen besonders hart betroffen werden und unverhältniß-
mäßig zu den Staatslasten beitragen. Die Stadt Elbing hat unter
andern um Einführung einer Landgemeindeordnung gebeten.
Sie hat damit die gleiche Berechtigung der Stadt- und Landgemein¬
den zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten anerkannt und aus¬
gesprochen, daß der Gegensatz zwischen Gutsherrn und Bauern, zwi¬
schen "Obrigkeit und Unterthanen" verschwinden müsse. Diese Petition
ist um so erfreulicher, als der durch die Städteordnung bevorzugte
Stadtbürger bisher häufig mit Hochmuth auf den Landbewohner
herabsah. In Elbing hat man die Nothwendigkeit der gleichen Be¬
rechtigung von Stadt und Land eingesehen, damit eine Freiheit das
ganze Volk umfasse, damit nicht verschiedene Freiheiten das Volk tren¬
nen. -- Selbst Einzelne aus dem Volke haben beachtenswerthe Pe¬
titionen eingereicht. Der Fabrikenbesitzer Schlosse! in Schlesien
bittet um Aufhebung des Gesetzes vom 29. März 1844, und eine
Habeascorpusacte und um eine Anklage- und Urtheilsjury, seine
Anträge in einer besondern Denkschrift motivirend.

Endlich sind Petitionen eingereicht um Modifikation des ohne
Beirath der Stände erlassenen Gesetzes vom 29. März 1844, wo¬
durch die Unabhängigkeit des Richterstandes gefährdet wird, um Mo¬
difikation des neuen Disciplinargesetzes hinsichtlich des Richter- und
Advocatenstandes, um Aufhebung der rheinischen Gesindeordnung,
resp. Abschaffung der durch dieselbe der Polizeibehörde verliehenen
Attributionen.Diese Petitionen gegen neue, so eben erlassene Ge¬
setze, ein Product der Unzufriedenheit der Staatsbürger mit jenen
neuen Gesetzen, da Petitionen durch zwei Drittel der Stimmen be-



*) In Krefeld z. B. hat man für eine Modifikation der neuen rhei¬
nischen Gesindcordnung pctitionirt, in der Art, daß ". für die Miethverträge
zwischen Herrschaft und Gesinde die Kompetenz der Civilgerichte bestehe, unter
Ausschluß der Polizei, und daß b. diejenigen Bestimmungen geändert werden
mögen, wodurch eine Rechtsungleichheit zwischen Herrschaft und Gesinde ein¬
geführt wird.

dem das Vertrauen der Mitbürger bei der Wahl entscheide. — Die
Aufhebung der Mahl-und Schlachtsteuer wird vielfach gewünscht.
Bielefeld, das auch um Lehrfreiheit gebeten, das seine Theil¬
nahme am öffentlichen Leben in siebzehn Petitionen ausgesprochen,
hat auch eine Revision der Steuergesetzgebung erbeten, die
um so nothwendiger, da bei der jetzigen Besteuerung die minder wohl¬
habenden Klassen besonders hart betroffen werden und unverhältniß-
mäßig zu den Staatslasten beitragen. Die Stadt Elbing hat unter
andern um Einführung einer Landgemeindeordnung gebeten.
Sie hat damit die gleiche Berechtigung der Stadt- und Landgemein¬
den zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten anerkannt und aus¬
gesprochen, daß der Gegensatz zwischen Gutsherrn und Bauern, zwi¬
schen „Obrigkeit und Unterthanen" verschwinden müsse. Diese Petition
ist um so erfreulicher, als der durch die Städteordnung bevorzugte
Stadtbürger bisher häufig mit Hochmuth auf den Landbewohner
herabsah. In Elbing hat man die Nothwendigkeit der gleichen Be¬
rechtigung von Stadt und Land eingesehen, damit eine Freiheit das
ganze Volk umfasse, damit nicht verschiedene Freiheiten das Volk tren¬
nen. — Selbst Einzelne aus dem Volke haben beachtenswerthe Pe¬
titionen eingereicht. Der Fabrikenbesitzer Schlosse! in Schlesien
bittet um Aufhebung des Gesetzes vom 29. März 1844, und eine
Habeascorpusacte und um eine Anklage- und Urtheilsjury, seine
Anträge in einer besondern Denkschrift motivirend.

Endlich sind Petitionen eingereicht um Modifikation des ohne
Beirath der Stände erlassenen Gesetzes vom 29. März 1844, wo¬
durch die Unabhängigkeit des Richterstandes gefährdet wird, um Mo¬
difikation des neuen Disciplinargesetzes hinsichtlich des Richter- und
Advocatenstandes, um Aufhebung der rheinischen Gesindeordnung,
resp. Abschaffung der durch dieselbe der Polizeibehörde verliehenen
Attributionen.Diese Petitionen gegen neue, so eben erlassene Ge¬
setze, ein Product der Unzufriedenheit der Staatsbürger mit jenen
neuen Gesetzen, da Petitionen durch zwei Drittel der Stimmen be-



*) In Krefeld z. B. hat man für eine Modifikation der neuen rhei¬
nischen Gesindcordnung pctitionirt, in der Art, daß ». für die Miethverträge
zwischen Herrschaft und Gesinde die Kompetenz der Civilgerichte bestehe, unter
Ausschluß der Polizei, und daß b. diejenigen Bestimmungen geändert werden
mögen, wodurch eine Rechtsungleichheit zwischen Herrschaft und Gesinde ein¬
geführt wird.
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[0460] dem das Vertrauen der Mitbürger bei der Wahl entscheide. — Die Aufhebung der Mahl-und Schlachtsteuer wird vielfach gewünscht. Bielefeld, das auch um Lehrfreiheit gebeten, das seine Theil¬ nahme am öffentlichen Leben in siebzehn Petitionen ausgesprochen, hat auch eine Revision der Steuergesetzgebung erbeten, die um so nothwendiger, da bei der jetzigen Besteuerung die minder wohl¬ habenden Klassen besonders hart betroffen werden und unverhältniß- mäßig zu den Staatslasten beitragen. Die Stadt Elbing hat unter andern um Einführung einer Landgemeindeordnung gebeten. Sie hat damit die gleiche Berechtigung der Stadt- und Landgemein¬ den zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten anerkannt und aus¬ gesprochen, daß der Gegensatz zwischen Gutsherrn und Bauern, zwi¬ schen „Obrigkeit und Unterthanen" verschwinden müsse. Diese Petition ist um so erfreulicher, als der durch die Städteordnung bevorzugte Stadtbürger bisher häufig mit Hochmuth auf den Landbewohner herabsah. In Elbing hat man die Nothwendigkeit der gleichen Be¬ rechtigung von Stadt und Land eingesehen, damit eine Freiheit das ganze Volk umfasse, damit nicht verschiedene Freiheiten das Volk tren¬ nen. — Selbst Einzelne aus dem Volke haben beachtenswerthe Pe¬ titionen eingereicht. Der Fabrikenbesitzer Schlosse! in Schlesien bittet um Aufhebung des Gesetzes vom 29. März 1844, und eine Habeascorpusacte und um eine Anklage- und Urtheilsjury, seine Anträge in einer besondern Denkschrift motivirend. Endlich sind Petitionen eingereicht um Modifikation des ohne Beirath der Stände erlassenen Gesetzes vom 29. März 1844, wo¬ durch die Unabhängigkeit des Richterstandes gefährdet wird, um Mo¬ difikation des neuen Disciplinargesetzes hinsichtlich des Richter- und Advocatenstandes, um Aufhebung der rheinischen Gesindeordnung, resp. Abschaffung der durch dieselbe der Polizeibehörde verliehenen Attributionen.Diese Petitionen gegen neue, so eben erlassene Ge¬ setze, ein Product der Unzufriedenheit der Staatsbürger mit jenen neuen Gesetzen, da Petitionen durch zwei Drittel der Stimmen be- *) In Krefeld z. B. hat man für eine Modifikation der neuen rhei¬ nischen Gesindcordnung pctitionirt, in der Art, daß ». für die Miethverträge zwischen Herrschaft und Gesinde die Kompetenz der Civilgerichte bestehe, unter Ausschluß der Polizei, und daß b. diejenigen Bestimmungen geändert werden mögen, wodurch eine Rechtsungleichheit zwischen Herrschaft und Gesinde ein¬ geführt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/460>, abgerufen am 17.06.2024.