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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Das Stück fand, wie gesagt, ungetheilten Anklang, und zwar nicht
nur zu ebener Erde, sondern auch im ersten Stock, d. h. bei Hofe;
namentlich soll sich die Königin besonders beifällig darüber ausgespro¬
chen haben. Da sind denn allerdings die Bedenklichkeiten schlagend
widerlegt, hinter welche sich die Direction gegen das Stück verschanzt
hatte. Dieses Stück hat mannichfache Vorzüge, aber meistens solche,
die nicht eben geeignet sind, es populär werden zu lassen. Sein spe-
cial-historischer Stoff ist der größeren Menge zu wenig bekannt, und
die Bezüglichkeitcn auf deutschen Volkscharakter, welche namentlich in
der Zeichnung des Helden selbst sowohl, als seines Nebenbuhlers des
Grafen Ranzau liegen, sind zu wenig auf den Effect für die Masse
berechnet. Der Zuschauer wird sich geneigter fühlen, das Schwankende
in diesen Charakteren als einen Mangel der dichterischen Zeichnung hin¬
zunehmen, als in ihnen ein Spiegelbild des Nationalcharakters zu er¬
blicken. Das letztere läßt ja schon die liebe Eitelkeit nicht zu.

Unsere Theaterdirection vergißt über dem Modernen nicht das
Classische; sie führt uns in diesen Tagen: "Julius Cäsar" vor. Ju¬
lius Cäsar -- seltsames Spiel der Bühne mit der Zeit. Während
diese an dem Sturze eines Gewaltigen in Rom mächtig arbeitet, wäh¬
rend sich Hand der Hand reicht zum Bündniß gegen die hierarchische
Oberherrschaft des Bischofs von Rom, zeigt man uns hier auf der
Bühne, wie vor neunzehnhundert Jahren auf dem Capitol ein Mann
siel, der sich die Freiheit eines Volkes zu seinem schönsten Opfer aus¬
ersehen hatte. Muß es da nicht einen ungeheuer ironischen Eindruck
machen, wenn Cäsar dem Antonius zuruft: Laßt wohlbeleibte Männer
um mich sein, mit glatten Köpfen und die Nachts gut schlafen, der
Cassius dort hat einen hohlen Blick: er denkt zu viel: die Leute sind
gefährlich. Freilich wohl mögen den Machthabern in der Hierarchie
solche Männer nicht bequem sein, die viel lesen, große Prüfer sind,
und das Thun der Menschen durchschauen. -- Aber so hart bedrängt
durch den deutsch-katholischen Separatismus der Papst auch sein mag,
noch ist er nicht so weit, daß er rufen müßte: Auch Du, mein Sohn
Brutus! Jene Regungen selbstbewußter Glaubensfreiheit stehen bis
jetzt in Norddeutschland noch zu vereinzelt da, als daß sie durch das
Imposante eines äußerlich geschlossenen Ganzen drohend nach Süden
wirken könnten. So lange die einzelnen, sich constituirenden Gemein¬
den noch für ihre eigene Existenz im Staate zu kämpfen haben, so
lange sie hier noch nicht auf festem, unerschütterlichem Fuße stehen, so
lange kann auch an eine entschiedene Niederlage des römisch-katholischen
Elements nicht gedacht werden.

In unserer Residenz hat sich nunmehr auch eine deutsch-katholi¬
sche Gemeinde constituirt. Darüber lassen sich an eine Anekdote, die
herumgetragen wird, weitere Betrachtungen knüpfen. Ein hiesiger
Handwerker, Katholik, kommt zu einem Gönner mit der Bitte um


Das Stück fand, wie gesagt, ungetheilten Anklang, und zwar nicht
nur zu ebener Erde, sondern auch im ersten Stock, d. h. bei Hofe;
namentlich soll sich die Königin besonders beifällig darüber ausgespro¬
chen haben. Da sind denn allerdings die Bedenklichkeiten schlagend
widerlegt, hinter welche sich die Direction gegen das Stück verschanzt
hatte. Dieses Stück hat mannichfache Vorzüge, aber meistens solche,
die nicht eben geeignet sind, es populär werden zu lassen. Sein spe-
cial-historischer Stoff ist der größeren Menge zu wenig bekannt, und
die Bezüglichkeitcn auf deutschen Volkscharakter, welche namentlich in
der Zeichnung des Helden selbst sowohl, als seines Nebenbuhlers des
Grafen Ranzau liegen, sind zu wenig auf den Effect für die Masse
berechnet. Der Zuschauer wird sich geneigter fühlen, das Schwankende
in diesen Charakteren als einen Mangel der dichterischen Zeichnung hin¬
zunehmen, als in ihnen ein Spiegelbild des Nationalcharakters zu er¬
blicken. Das letztere läßt ja schon die liebe Eitelkeit nicht zu.

Unsere Theaterdirection vergißt über dem Modernen nicht das
Classische; sie führt uns in diesen Tagen: „Julius Cäsar" vor. Ju¬
lius Cäsar — seltsames Spiel der Bühne mit der Zeit. Während
diese an dem Sturze eines Gewaltigen in Rom mächtig arbeitet, wäh¬
rend sich Hand der Hand reicht zum Bündniß gegen die hierarchische
Oberherrschaft des Bischofs von Rom, zeigt man uns hier auf der
Bühne, wie vor neunzehnhundert Jahren auf dem Capitol ein Mann
siel, der sich die Freiheit eines Volkes zu seinem schönsten Opfer aus¬
ersehen hatte. Muß es da nicht einen ungeheuer ironischen Eindruck
machen, wenn Cäsar dem Antonius zuruft: Laßt wohlbeleibte Männer
um mich sein, mit glatten Köpfen und die Nachts gut schlafen, der
Cassius dort hat einen hohlen Blick: er denkt zu viel: die Leute sind
gefährlich. Freilich wohl mögen den Machthabern in der Hierarchie
solche Männer nicht bequem sein, die viel lesen, große Prüfer sind,
und das Thun der Menschen durchschauen. — Aber so hart bedrängt
durch den deutsch-katholischen Separatismus der Papst auch sein mag,
noch ist er nicht so weit, daß er rufen müßte: Auch Du, mein Sohn
Brutus! Jene Regungen selbstbewußter Glaubensfreiheit stehen bis
jetzt in Norddeutschland noch zu vereinzelt da, als daß sie durch das
Imposante eines äußerlich geschlossenen Ganzen drohend nach Süden
wirken könnten. So lange die einzelnen, sich constituirenden Gemein¬
den noch für ihre eigene Existenz im Staate zu kämpfen haben, so
lange sie hier noch nicht auf festem, unerschütterlichem Fuße stehen, so
lange kann auch an eine entschiedene Niederlage des römisch-katholischen
Elements nicht gedacht werden.

In unserer Residenz hat sich nunmehr auch eine deutsch-katholi¬
sche Gemeinde constituirt. Darüber lassen sich an eine Anekdote, die
herumgetragen wird, weitere Betrachtungen knüpfen. Ein hiesiger
Handwerker, Katholik, kommt zu einem Gönner mit der Bitte um


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[0586] Das Stück fand, wie gesagt, ungetheilten Anklang, und zwar nicht nur zu ebener Erde, sondern auch im ersten Stock, d. h. bei Hofe; namentlich soll sich die Königin besonders beifällig darüber ausgespro¬ chen haben. Da sind denn allerdings die Bedenklichkeiten schlagend widerlegt, hinter welche sich die Direction gegen das Stück verschanzt hatte. Dieses Stück hat mannichfache Vorzüge, aber meistens solche, die nicht eben geeignet sind, es populär werden zu lassen. Sein spe- cial-historischer Stoff ist der größeren Menge zu wenig bekannt, und die Bezüglichkeitcn auf deutschen Volkscharakter, welche namentlich in der Zeichnung des Helden selbst sowohl, als seines Nebenbuhlers des Grafen Ranzau liegen, sind zu wenig auf den Effect für die Masse berechnet. Der Zuschauer wird sich geneigter fühlen, das Schwankende in diesen Charakteren als einen Mangel der dichterischen Zeichnung hin¬ zunehmen, als in ihnen ein Spiegelbild des Nationalcharakters zu er¬ blicken. Das letztere läßt ja schon die liebe Eitelkeit nicht zu. Unsere Theaterdirection vergißt über dem Modernen nicht das Classische; sie führt uns in diesen Tagen: „Julius Cäsar" vor. Ju¬ lius Cäsar — seltsames Spiel der Bühne mit der Zeit. Während diese an dem Sturze eines Gewaltigen in Rom mächtig arbeitet, wäh¬ rend sich Hand der Hand reicht zum Bündniß gegen die hierarchische Oberherrschaft des Bischofs von Rom, zeigt man uns hier auf der Bühne, wie vor neunzehnhundert Jahren auf dem Capitol ein Mann siel, der sich die Freiheit eines Volkes zu seinem schönsten Opfer aus¬ ersehen hatte. Muß es da nicht einen ungeheuer ironischen Eindruck machen, wenn Cäsar dem Antonius zuruft: Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen und die Nachts gut schlafen, der Cassius dort hat einen hohlen Blick: er denkt zu viel: die Leute sind gefährlich. Freilich wohl mögen den Machthabern in der Hierarchie solche Männer nicht bequem sein, die viel lesen, große Prüfer sind, und das Thun der Menschen durchschauen. — Aber so hart bedrängt durch den deutsch-katholischen Separatismus der Papst auch sein mag, noch ist er nicht so weit, daß er rufen müßte: Auch Du, mein Sohn Brutus! Jene Regungen selbstbewußter Glaubensfreiheit stehen bis jetzt in Norddeutschland noch zu vereinzelt da, als daß sie durch das Imposante eines äußerlich geschlossenen Ganzen drohend nach Süden wirken könnten. So lange die einzelnen, sich constituirenden Gemein¬ den noch für ihre eigene Existenz im Staate zu kämpfen haben, so lange sie hier noch nicht auf festem, unerschütterlichem Fuße stehen, so lange kann auch an eine entschiedene Niederlage des römisch-katholischen Elements nicht gedacht werden. In unserer Residenz hat sich nunmehr auch eine deutsch-katholi¬ sche Gemeinde constituirt. Darüber lassen sich an eine Anekdote, die herumgetragen wird, weitere Betrachtungen knüpfen. Ein hiesiger Handwerker, Katholik, kommt zu einem Gönner mit der Bitte um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/586>, abgerufen am 26.05.2024.