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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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mürrische Opposition; Autoren, welche auf eigenthümliches Ensemble
dringen, erwecken den größten Widerwillen. Die in Frankreich herr¬
schende Vorstellung, der Autor sei und bleibe die Hauptperson und
habe alle wesentlichen Bestimmungen zu treffen, diese Vorstellung,
welche das französische Theater stets in Frische erhält, sie ist bei der
Schauspielermehrzahl in Deutschland unbekannt, und der Mangel an
praktischen Dramaturgen nährt diese dem Drama und dem Theater
tödtliche Vorstellung. Unter Dramaturgen denkt man sich einen phi¬
losophischen oder poetischen Theoretiker, der seine wahrscheinlich über¬
flüssige Aufgabe durch Vorträge zu lösen habe, auf dem Theater selbst
aber nicht nur entbehrlich, ja geradezu störend sei.

Obwohl ich keineswegs theorctisirte, sondern nur das lebendige
und wo möglich harmonische Ganze vertrat, so erlebte ich doch nicht
minder solches Widerstreben, weil ich mein Interesse standhaft und
ohne Berücksichtigung der zehn verschiedenen Ansichten und Vorschläge
vertrete. Der Autor weiß doch am Ende, was er mit seinem Stücke
will, und kann nicht zehnerlei Fremdartiges eindringen lassen. Es
war indessen doch nur ein Hauptacteur, der unumwunden erklärte,
er lasse sich nicht unterbrechen und wolle nicht auf den Autor hören.
Wohl denn! erwiederte ich ihm, dann wird das Stück nicht gegeben!

Wir nahmen unsere Mäntel und die Probe schien aus zu sein.
Unterstützten die andern Mitglieder diesen Aufstand, so waren wir
fertig, denn ni> für meinen Theil beharre fest darauf, mich als Herrn
meines Stücks zu betrachten, und es nur so geben zu lassen, wie es
in mir lebt. Lieber verzichte ich auf die Darstellung. Nur so kann
die dramatische Literatur ihr Obrecht neben der theatralischen Routine
wieder erobern.

Das ruhige Benehmen der übrigen Darsteller unterstützte mich:
jener Hauptacteur nahm seine Worte wieder auf, fuhr in der Probe
fort und spielte nun in der Entrüstung viel besser als vorher. Den¬
noch hatte ich einen schmerzlichen Eindruck davon, weil ich himmel¬
weit entfernt davon war, die Darstellenden zu verletzen, sondern Nichts
lebhafter wünsche, als Hand in Hand mit den Darstellenden zu blei¬
ben. Nur dann ist wohlthuendes Leben zu erreichen. Aber es mußte
zu solchem Aeußersten kommen, wenn die einzelnen Darsteller gebie¬
terisch das Ganze beherrschen wollen.




mürrische Opposition; Autoren, welche auf eigenthümliches Ensemble
dringen, erwecken den größten Widerwillen. Die in Frankreich herr¬
schende Vorstellung, der Autor sei und bleibe die Hauptperson und
habe alle wesentlichen Bestimmungen zu treffen, diese Vorstellung,
welche das französische Theater stets in Frische erhält, sie ist bei der
Schauspielermehrzahl in Deutschland unbekannt, und der Mangel an
praktischen Dramaturgen nährt diese dem Drama und dem Theater
tödtliche Vorstellung. Unter Dramaturgen denkt man sich einen phi¬
losophischen oder poetischen Theoretiker, der seine wahrscheinlich über¬
flüssige Aufgabe durch Vorträge zu lösen habe, auf dem Theater selbst
aber nicht nur entbehrlich, ja geradezu störend sei.

Obwohl ich keineswegs theorctisirte, sondern nur das lebendige
und wo möglich harmonische Ganze vertrat, so erlebte ich doch nicht
minder solches Widerstreben, weil ich mein Interesse standhaft und
ohne Berücksichtigung der zehn verschiedenen Ansichten und Vorschläge
vertrete. Der Autor weiß doch am Ende, was er mit seinem Stücke
will, und kann nicht zehnerlei Fremdartiges eindringen lassen. Es
war indessen doch nur ein Hauptacteur, der unumwunden erklärte,
er lasse sich nicht unterbrechen und wolle nicht auf den Autor hören.
Wohl denn! erwiederte ich ihm, dann wird das Stück nicht gegeben!

Wir nahmen unsere Mäntel und die Probe schien aus zu sein.
Unterstützten die andern Mitglieder diesen Aufstand, so waren wir
fertig, denn ni> für meinen Theil beharre fest darauf, mich als Herrn
meines Stücks zu betrachten, und es nur so geben zu lassen, wie es
in mir lebt. Lieber verzichte ich auf die Darstellung. Nur so kann
die dramatische Literatur ihr Obrecht neben der theatralischen Routine
wieder erobern.

Das ruhige Benehmen der übrigen Darsteller unterstützte mich:
jener Hauptacteur nahm seine Worte wieder auf, fuhr in der Probe
fort und spielte nun in der Entrüstung viel besser als vorher. Den¬
noch hatte ich einen schmerzlichen Eindruck davon, weil ich himmel¬
weit entfernt davon war, die Darstellenden zu verletzen, sondern Nichts
lebhafter wünsche, als Hand in Hand mit den Darstellenden zu blei¬
ben. Nur dann ist wohlthuendes Leben zu erreichen. Aber es mußte
zu solchem Aeußersten kommen, wenn die einzelnen Darsteller gebie¬
terisch das Ganze beherrschen wollen.




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[0118] mürrische Opposition; Autoren, welche auf eigenthümliches Ensemble dringen, erwecken den größten Widerwillen. Die in Frankreich herr¬ schende Vorstellung, der Autor sei und bleibe die Hauptperson und habe alle wesentlichen Bestimmungen zu treffen, diese Vorstellung, welche das französische Theater stets in Frische erhält, sie ist bei der Schauspielermehrzahl in Deutschland unbekannt, und der Mangel an praktischen Dramaturgen nährt diese dem Drama und dem Theater tödtliche Vorstellung. Unter Dramaturgen denkt man sich einen phi¬ losophischen oder poetischen Theoretiker, der seine wahrscheinlich über¬ flüssige Aufgabe durch Vorträge zu lösen habe, auf dem Theater selbst aber nicht nur entbehrlich, ja geradezu störend sei. Obwohl ich keineswegs theorctisirte, sondern nur das lebendige und wo möglich harmonische Ganze vertrat, so erlebte ich doch nicht minder solches Widerstreben, weil ich mein Interesse standhaft und ohne Berücksichtigung der zehn verschiedenen Ansichten und Vorschläge vertrete. Der Autor weiß doch am Ende, was er mit seinem Stücke will, und kann nicht zehnerlei Fremdartiges eindringen lassen. Es war indessen doch nur ein Hauptacteur, der unumwunden erklärte, er lasse sich nicht unterbrechen und wolle nicht auf den Autor hören. Wohl denn! erwiederte ich ihm, dann wird das Stück nicht gegeben! Wir nahmen unsere Mäntel und die Probe schien aus zu sein. Unterstützten die andern Mitglieder diesen Aufstand, so waren wir fertig, denn ni> für meinen Theil beharre fest darauf, mich als Herrn meines Stücks zu betrachten, und es nur so geben zu lassen, wie es in mir lebt. Lieber verzichte ich auf die Darstellung. Nur so kann die dramatische Literatur ihr Obrecht neben der theatralischen Routine wieder erobern. Das ruhige Benehmen der übrigen Darsteller unterstützte mich: jener Hauptacteur nahm seine Worte wieder auf, fuhr in der Probe fort und spielte nun in der Entrüstung viel besser als vorher. Den¬ noch hatte ich einen schmerzlichen Eindruck davon, weil ich himmel¬ weit entfernt davon war, die Darstellenden zu verletzen, sondern Nichts lebhafter wünsche, als Hand in Hand mit den Darstellenden zu blei¬ ben. Nur dann ist wohlthuendes Leben zu erreichen. Aber es mußte zu solchem Aeußersten kommen, wenn die einzelnen Darsteller gebie¬ terisch das Ganze beherrschen wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/118>, abgerufen am 08.05.2024.