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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Zeitschriften weit stärkere Dinge, als in jenem Drama zu hören sind
und außerdem hat ein Volk mit ausgebildeten politischen Institu¬
tionen immer weniger Neigung auf allgemeine Phrasen und schil¬
lernde Freisinnigkeiten einzugehen, als ein anderes, das derselben
entbehrt und für das Besondere der Verhältnisse weder berechtigt noch
reif genug ist. Doch hatten die allgemeinen deutschen Ideen, die dem
Stücke zum Grunde liegen, allerdings in dem meistens deutschen Audi¬
torium zünden können, wenn nicht der Deutsche, ist er einmal den
heimischen Zustanden entrückt, gar zu leicht auch alles Verständniß
für die Träume und Zeichen der Heimath verlöre.

Die jetzt beendigte Volkszählung gibt der Stadt Pesth eine Ein¬
wohnerzahl von M,6I6 Seelen, das gegenüberliegende Ofen hat deren
37,800 und somit besitzt die Doppclstadt an der Donau, die bald
durch die haltbarste Kettenbrücke der Welt verbunden sein wird, eine
Bevölkerung von 126,000 Menschen, welche sie neben Hamburg,
Prag und Mailand rangirt. Unter der Negierung der Kaiserin Maria
Theresia, wo noch Ofen als Hauptstadt des Landes galt, hatte Pesth
12 00" Einwohner.

Zu der literarischen Welt ist es ziemlich flau, doch freut man
sich auf einen neuen Roman des Barons Eötvös, der den Titel
führt: "Der Dorfnotar" und nächstens im Druck erscheinen wird. In
der letzten Zeit machten die dreißig Verse des Dichters Vörösmarty
Aufsehen, die vom Kisfaludv-Verein mit 30 Dukaten honorirt und
deshalb in Wiener Blättern so scharf bekrittelt wurden. Das populäre
in Hartlcbens Verlag erscheinende biographische Werk: "Der neue
Plutarch" schreitet rüstig vorwärts, und wird dem Vernehmen nach
in Stockholm ins Schwedische übersetzt. Auch die "Geschichte der
österreichischen Monarchie" von dem Vielschreiber Meynert nähert sich
der Vollendung. Die beiden letztgenannten Werke sind deutsch; über¬
haupt wird hier viel Deutsches gedruckt, und mitunter Treffliches,
weil die Wiener Buchhändler nicht honoriren wollen. So sind auch
Stifter's und Betty Paoli's Novellen hier ans Licht getreten und eben
jetzt werden abermals Erzählungen von einem jungen Wiener Schrift¬
steller, Anton Langer, hier gedruckt. Für die ungarische Philologie ist
das "Militärische Kunstwörterbuch" des Hauptmanns Kiß von Be¬
deutung, worin die Möglichkeit der magyarischen Sprache als Commando-
und Kriegssprache bewiesen wird, wie denn schon lange das Bestreben
der nationalen Partei darauf hinzielt, gleich dem ehemaligen Königreich
Polen eine eigene Armee zu haben.

Mit dem 30. März erlischt das Tageblatt, um als "Deutsche
Zeitung" aufzuleben. Die Seele der ganzen Unternehmung ist der
Stadtrichter von Pesth, Herr Jary (eigentlich Tretter und unter diesem
Namen als Verfasser einiger Schriften und als Uebersetzer aus dem
Ungarischen bekannt); doch wirkt er im Verborgenen und der junge Pu-


Zeitschriften weit stärkere Dinge, als in jenem Drama zu hören sind
und außerdem hat ein Volk mit ausgebildeten politischen Institu¬
tionen immer weniger Neigung auf allgemeine Phrasen und schil¬
lernde Freisinnigkeiten einzugehen, als ein anderes, das derselben
entbehrt und für das Besondere der Verhältnisse weder berechtigt noch
reif genug ist. Doch hatten die allgemeinen deutschen Ideen, die dem
Stücke zum Grunde liegen, allerdings in dem meistens deutschen Audi¬
torium zünden können, wenn nicht der Deutsche, ist er einmal den
heimischen Zustanden entrückt, gar zu leicht auch alles Verständniß
für die Träume und Zeichen der Heimath verlöre.

Die jetzt beendigte Volkszählung gibt der Stadt Pesth eine Ein¬
wohnerzahl von M,6I6 Seelen, das gegenüberliegende Ofen hat deren
37,800 und somit besitzt die Doppclstadt an der Donau, die bald
durch die haltbarste Kettenbrücke der Welt verbunden sein wird, eine
Bevölkerung von 126,000 Menschen, welche sie neben Hamburg,
Prag und Mailand rangirt. Unter der Negierung der Kaiserin Maria
Theresia, wo noch Ofen als Hauptstadt des Landes galt, hatte Pesth
12 00» Einwohner.

Zu der literarischen Welt ist es ziemlich flau, doch freut man
sich auf einen neuen Roman des Barons Eötvös, der den Titel
führt: „Der Dorfnotar" und nächstens im Druck erscheinen wird. In
der letzten Zeit machten die dreißig Verse des Dichters Vörösmarty
Aufsehen, die vom Kisfaludv-Verein mit 30 Dukaten honorirt und
deshalb in Wiener Blättern so scharf bekrittelt wurden. Das populäre
in Hartlcbens Verlag erscheinende biographische Werk: „Der neue
Plutarch" schreitet rüstig vorwärts, und wird dem Vernehmen nach
in Stockholm ins Schwedische übersetzt. Auch die „Geschichte der
österreichischen Monarchie" von dem Vielschreiber Meynert nähert sich
der Vollendung. Die beiden letztgenannten Werke sind deutsch; über¬
haupt wird hier viel Deutsches gedruckt, und mitunter Treffliches,
weil die Wiener Buchhändler nicht honoriren wollen. So sind auch
Stifter's und Betty Paoli's Novellen hier ans Licht getreten und eben
jetzt werden abermals Erzählungen von einem jungen Wiener Schrift¬
steller, Anton Langer, hier gedruckt. Für die ungarische Philologie ist
das „Militärische Kunstwörterbuch" des Hauptmanns Kiß von Be¬
deutung, worin die Möglichkeit der magyarischen Sprache als Commando-
und Kriegssprache bewiesen wird, wie denn schon lange das Bestreben
der nationalen Partei darauf hinzielt, gleich dem ehemaligen Königreich
Polen eine eigene Armee zu haben.

Mit dem 30. März erlischt das Tageblatt, um als „Deutsche
Zeitung" aufzuleben. Die Seele der ganzen Unternehmung ist der
Stadtrichter von Pesth, Herr Jary (eigentlich Tretter und unter diesem
Namen als Verfasser einiger Schriften und als Uebersetzer aus dem
Ungarischen bekannt); doch wirkt er im Verborgenen und der junge Pu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/141>, abgerufen am 09.05.2024.