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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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entweder die Bitte war nicht dringend genug oder die Jesuiten sehen
ihr eigenes Interesse als gesichert und einen Bürgerkrieg als keinen
zu hohen Preis für die christlich-conservativen Wohlthaten an, die sie
der Schweiz zu bringen denken. So ist denn der Dämon los. Die
in Folge des frühern Aufstandes flüchtigen Luzerner nebst den Frei-
schaaren aus den jesuitenfeindlichen Cantonen wagten einen sehr schlecht
combinirten verzweifelten Handstreich gegen Luzern und erlitten eine
furchtbare Niederlage. Dreihundert Freischärler sielen -- wie bei
Thermopylä gegen siebzehnhundert Gefangene verherrlichten den
Triumphzug, den die Jesuitenfreunde in Luzern aufführten. Die
Luzerner rühmen sich in ihren Bulletins, daß sie ihrer Altvordern sich
würdig gezeigt! Auch durch Blutdurst und schlachtermäßige Brutalität
scheinen die Luzerner an die Zeit ihrer "Altfordern" erinnern zu wol¬
len; man hört, daß sie viele Gefangene sogleich erschossen und Alles,
was in ihre Hände siel, mit empörender Rohheit behandelten; mit
einer Rohheit, die zugleich einen kleinlichern und gemeinern Anstrich
hat, als die vielbeschrienen Grausamkeiten des fanatischen und bereits
durch langen Bürgerkrieg verwilderten spanischen Volkes. Unter den
gefangenen Jesuitenfeinden befindet sich auch ein Sohn Zschocke's.
Wir Deutschen müssen übrigens nicht zu sehr auf die Schweizer her¬
absehen; wir können nicht sicher behaupten, daß wir solcher Blamagen
überhaupt unfähiger sind, als unsere Blutsverwandten in der Schweiz.
Auch bei uns gibt es Reactionäre und Radicale. Nur sind wir zu
polizeiselig erzogen, um in der Praxis so tollkühn und entschieden zu
sein. In Deutschland gibt es Staaten, wo man Jesuiten einführen
kann , ohne einen Bürgerkrieg zu erregen. Ueberdies behaupten Manche,
gewisse fremde Elemente wollten an der Schweiz ein Experiment
machen, oder, so zu sagen, am fremden barbiren lernen.

-- Mme. Czerska, die Mutter des Schneidemühle".' Reformators,
hat (bei Manz in Regensburg) ein Sendschreiben an und gegen ihren
Sohn erlassen. Wie seltsame Erscheinungen unsere Aelt bringt! Die¬
ser Kampf der Mutter gegen den Sohn könnte tragisch wirken, aber
-- die Buchhandlergelegenheit, der journalistische Beigeschmack macht
die Sache komisch. Czerski wird wohl kein Coriolan sein und wegen
der Polemik seiner Mutter die Belagerung Roms nicht aufgeben. Er
würde in diesem Falle auch von den Volskern zerrissen oder wenig¬
stens heruntergerissen werden.




Verlag von Fr. Ludtv. Hcrbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrei.

entweder die Bitte war nicht dringend genug oder die Jesuiten sehen
ihr eigenes Interesse als gesichert und einen Bürgerkrieg als keinen
zu hohen Preis für die christlich-conservativen Wohlthaten an, die sie
der Schweiz zu bringen denken. So ist denn der Dämon los. Die
in Folge des frühern Aufstandes flüchtigen Luzerner nebst den Frei-
schaaren aus den jesuitenfeindlichen Cantonen wagten einen sehr schlecht
combinirten verzweifelten Handstreich gegen Luzern und erlitten eine
furchtbare Niederlage. Dreihundert Freischärler sielen — wie bei
Thermopylä gegen siebzehnhundert Gefangene verherrlichten den
Triumphzug, den die Jesuitenfreunde in Luzern aufführten. Die
Luzerner rühmen sich in ihren Bulletins, daß sie ihrer Altvordern sich
würdig gezeigt! Auch durch Blutdurst und schlachtermäßige Brutalität
scheinen die Luzerner an die Zeit ihrer „Altfordern" erinnern zu wol¬
len; man hört, daß sie viele Gefangene sogleich erschossen und Alles,
was in ihre Hände siel, mit empörender Rohheit behandelten; mit
einer Rohheit, die zugleich einen kleinlichern und gemeinern Anstrich
hat, als die vielbeschrienen Grausamkeiten des fanatischen und bereits
durch langen Bürgerkrieg verwilderten spanischen Volkes. Unter den
gefangenen Jesuitenfeinden befindet sich auch ein Sohn Zschocke's.
Wir Deutschen müssen übrigens nicht zu sehr auf die Schweizer her¬
absehen; wir können nicht sicher behaupten, daß wir solcher Blamagen
überhaupt unfähiger sind, als unsere Blutsverwandten in der Schweiz.
Auch bei uns gibt es Reactionäre und Radicale. Nur sind wir zu
polizeiselig erzogen, um in der Praxis so tollkühn und entschieden zu
sein. In Deutschland gibt es Staaten, wo man Jesuiten einführen
kann , ohne einen Bürgerkrieg zu erregen. Ueberdies behaupten Manche,
gewisse fremde Elemente wollten an der Schweiz ein Experiment
machen, oder, so zu sagen, am fremden barbiren lernen.

— Mme. Czerska, die Mutter des Schneidemühle».' Reformators,
hat (bei Manz in Regensburg) ein Sendschreiben an und gegen ihren
Sohn erlassen. Wie seltsame Erscheinungen unsere Aelt bringt! Die¬
ser Kampf der Mutter gegen den Sohn könnte tragisch wirken, aber
— die Buchhandlergelegenheit, der journalistische Beigeschmack macht
die Sache komisch. Czerski wird wohl kein Coriolan sein und wegen
der Polemik seiner Mutter die Belagerung Roms nicht aufgeben. Er
würde in diesem Falle auch von den Volskern zerrissen oder wenig¬
stens heruntergerissen werden.




Verlag von Fr. Ludtv. Hcrbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrei.
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[0148] entweder die Bitte war nicht dringend genug oder die Jesuiten sehen ihr eigenes Interesse als gesichert und einen Bürgerkrieg als keinen zu hohen Preis für die christlich-conservativen Wohlthaten an, die sie der Schweiz zu bringen denken. So ist denn der Dämon los. Die in Folge des frühern Aufstandes flüchtigen Luzerner nebst den Frei- schaaren aus den jesuitenfeindlichen Cantonen wagten einen sehr schlecht combinirten verzweifelten Handstreich gegen Luzern und erlitten eine furchtbare Niederlage. Dreihundert Freischärler sielen — wie bei Thermopylä gegen siebzehnhundert Gefangene verherrlichten den Triumphzug, den die Jesuitenfreunde in Luzern aufführten. Die Luzerner rühmen sich in ihren Bulletins, daß sie ihrer Altvordern sich würdig gezeigt! Auch durch Blutdurst und schlachtermäßige Brutalität scheinen die Luzerner an die Zeit ihrer „Altfordern" erinnern zu wol¬ len; man hört, daß sie viele Gefangene sogleich erschossen und Alles, was in ihre Hände siel, mit empörender Rohheit behandelten; mit einer Rohheit, die zugleich einen kleinlichern und gemeinern Anstrich hat, als die vielbeschrienen Grausamkeiten des fanatischen und bereits durch langen Bürgerkrieg verwilderten spanischen Volkes. Unter den gefangenen Jesuitenfeinden befindet sich auch ein Sohn Zschocke's. Wir Deutschen müssen übrigens nicht zu sehr auf die Schweizer her¬ absehen; wir können nicht sicher behaupten, daß wir solcher Blamagen überhaupt unfähiger sind, als unsere Blutsverwandten in der Schweiz. Auch bei uns gibt es Reactionäre und Radicale. Nur sind wir zu polizeiselig erzogen, um in der Praxis so tollkühn und entschieden zu sein. In Deutschland gibt es Staaten, wo man Jesuiten einführen kann , ohne einen Bürgerkrieg zu erregen. Ueberdies behaupten Manche, gewisse fremde Elemente wollten an der Schweiz ein Experiment machen, oder, so zu sagen, am fremden barbiren lernen. — Mme. Czerska, die Mutter des Schneidemühle».' Reformators, hat (bei Manz in Regensburg) ein Sendschreiben an und gegen ihren Sohn erlassen. Wie seltsame Erscheinungen unsere Aelt bringt! Die¬ ser Kampf der Mutter gegen den Sohn könnte tragisch wirken, aber — die Buchhandlergelegenheit, der journalistische Beigeschmack macht die Sache komisch. Czerski wird wohl kein Coriolan sein und wegen der Polemik seiner Mutter die Belagerung Roms nicht aufgeben. Er würde in diesem Falle auch von den Volskern zerrissen oder wenig¬ stens heruntergerissen werden. Verlag von Fr. Ludtv. Hcrbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/148>, abgerufen am 09.05.2024.