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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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überrascht, wenn die deutsche und französische Kanzelbcredsamkeit der
Katholiken durch einen Salter und Lacordaire erschüttert, wenn die
katholische Presse jenseits und diesseits des Rheins durch einen La-
meimais und Görres die Gemmher poetisch entflammt, so hat der
belgische Katholicismus Nichts von dem Allen in die Schale zu
werfen"). Die untere Geistlichkeit namentlich, von der die flamändische
Hälfte nicht ein Mal die Musterredncr der Franzosen lesen kann,
weil sie der Sprache nicht mächtig ist, entbehrt alle Waffen, die eine
tüchtige, wenn auch einseitige Schulbildung dein Manne von Talent
i" die Hände gibt. Zum großen Theile Söhne als den untern
Bolksklassen, haben sie weder jene angeborene, noch die anerzogene
Bildung, die gegenüber dem modernen Geiste ihrem Stande jetzt nö¬
thiger als je zu sein scheint. Aber diese ganze Geistlichkeit, gewöhnt
an freie Institutionen, gestärkt durch die Diskussionen einer freien
Presse, ist voll politischer Regsamkeit, voll begeisterter Anhänglichkeit
für ihr Land, voll Popularität und von einem sichern Takt in prak¬
tischen Dingen, der manches Höhere ihr ersetzt. An der Spitze die,
ser willenlosen, gedankenlosen, aber rührigen Körperschaft stehen
nun einige politische Geister, wie der Ubbo de Ram, einige ener¬
gische Feuerköpfe, wie der Bischof Van Bommel, und bewegen die
Gruppen und berechnen die Mittel mit einer Kühnheit und einer
Weltkenntniß, die man selbst als ihr Feind bewunrern muß. Diese
Bewunderung steigert sich noch, wenn man bedenkt, daß die belgische
Hierarchie nicht wie die deutsche und italienische von einer bewaff¬
neten Polizcimacht, von einer geknebelten Presse gegen die Angriffe
ihrer Gegner geschützt ist, sondern auf einem freien uneingczäuiiten
Schlachtfelde ihre Kämpfe und Manöver ausführen muß, Mann
gegen Mann.

Darum ist auch die Politik der belgischen Hierarchie nicht blos
von einer localen, sondern von einer großen europäischen Bedeutung.
Freund und Feind können hier wichtige Erfahrungen machen. Denn
hier sieht man das erste Beispiel, wie die katholische Kirche in Mitte
zweier so mächtiger und heißgewünschter Freiheiten sich bewegt: in
Mitte einer Presse, die nicht ein Mal die Septembergesetze^.ke"ut, und



Der Pater DechompS ist der einzige Kanzelredner, der in letzterer
Zeit sich in Belgien hervorgethan.

überrascht, wenn die deutsche und französische Kanzelbcredsamkeit der
Katholiken durch einen Salter und Lacordaire erschüttert, wenn die
katholische Presse jenseits und diesseits des Rheins durch einen La-
meimais und Görres die Gemmher poetisch entflammt, so hat der
belgische Katholicismus Nichts von dem Allen in die Schale zu
werfen»). Die untere Geistlichkeit namentlich, von der die flamändische
Hälfte nicht ein Mal die Musterredncr der Franzosen lesen kann,
weil sie der Sprache nicht mächtig ist, entbehrt alle Waffen, die eine
tüchtige, wenn auch einseitige Schulbildung dein Manne von Talent
i» die Hände gibt. Zum großen Theile Söhne als den untern
Bolksklassen, haben sie weder jene angeborene, noch die anerzogene
Bildung, die gegenüber dem modernen Geiste ihrem Stande jetzt nö¬
thiger als je zu sein scheint. Aber diese ganze Geistlichkeit, gewöhnt
an freie Institutionen, gestärkt durch die Diskussionen einer freien
Presse, ist voll politischer Regsamkeit, voll begeisterter Anhänglichkeit
für ihr Land, voll Popularität und von einem sichern Takt in prak¬
tischen Dingen, der manches Höhere ihr ersetzt. An der Spitze die,
ser willenlosen, gedankenlosen, aber rührigen Körperschaft stehen
nun einige politische Geister, wie der Ubbo de Ram, einige ener¬
gische Feuerköpfe, wie der Bischof Van Bommel, und bewegen die
Gruppen und berechnen die Mittel mit einer Kühnheit und einer
Weltkenntniß, die man selbst als ihr Feind bewunrern muß. Diese
Bewunderung steigert sich noch, wenn man bedenkt, daß die belgische
Hierarchie nicht wie die deutsche und italienische von einer bewaff¬
neten Polizcimacht, von einer geknebelten Presse gegen die Angriffe
ihrer Gegner geschützt ist, sondern auf einem freien uneingczäuiiten
Schlachtfelde ihre Kämpfe und Manöver ausführen muß, Mann
gegen Mann.

Darum ist auch die Politik der belgischen Hierarchie nicht blos
von einer localen, sondern von einer großen europäischen Bedeutung.
Freund und Feind können hier wichtige Erfahrungen machen. Denn
hier sieht man das erste Beispiel, wie die katholische Kirche in Mitte
zweier so mächtiger und heißgewünschter Freiheiten sich bewegt: in
Mitte einer Presse, die nicht ein Mal die Septembergesetze^.ke»ut, und



Der Pater DechompS ist der einzige Kanzelredner, der in letzterer
Zeit sich in Belgien hervorgethan.
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[0015] überrascht, wenn die deutsche und französische Kanzelbcredsamkeit der Katholiken durch einen Salter und Lacordaire erschüttert, wenn die katholische Presse jenseits und diesseits des Rheins durch einen La- meimais und Görres die Gemmher poetisch entflammt, so hat der belgische Katholicismus Nichts von dem Allen in die Schale zu werfen»). Die untere Geistlichkeit namentlich, von der die flamändische Hälfte nicht ein Mal die Musterredncr der Franzosen lesen kann, weil sie der Sprache nicht mächtig ist, entbehrt alle Waffen, die eine tüchtige, wenn auch einseitige Schulbildung dein Manne von Talent i» die Hände gibt. Zum großen Theile Söhne als den untern Bolksklassen, haben sie weder jene angeborene, noch die anerzogene Bildung, die gegenüber dem modernen Geiste ihrem Stande jetzt nö¬ thiger als je zu sein scheint. Aber diese ganze Geistlichkeit, gewöhnt an freie Institutionen, gestärkt durch die Diskussionen einer freien Presse, ist voll politischer Regsamkeit, voll begeisterter Anhänglichkeit für ihr Land, voll Popularität und von einem sichern Takt in prak¬ tischen Dingen, der manches Höhere ihr ersetzt. An der Spitze die, ser willenlosen, gedankenlosen, aber rührigen Körperschaft stehen nun einige politische Geister, wie der Ubbo de Ram, einige ener¬ gische Feuerköpfe, wie der Bischof Van Bommel, und bewegen die Gruppen und berechnen die Mittel mit einer Kühnheit und einer Weltkenntniß, die man selbst als ihr Feind bewunrern muß. Diese Bewunderung steigert sich noch, wenn man bedenkt, daß die belgische Hierarchie nicht wie die deutsche und italienische von einer bewaff¬ neten Polizcimacht, von einer geknebelten Presse gegen die Angriffe ihrer Gegner geschützt ist, sondern auf einem freien uneingczäuiiten Schlachtfelde ihre Kämpfe und Manöver ausführen muß, Mann gegen Mann. Darum ist auch die Politik der belgischen Hierarchie nicht blos von einer localen, sondern von einer großen europäischen Bedeutung. Freund und Feind können hier wichtige Erfahrungen machen. Denn hier sieht man das erste Beispiel, wie die katholische Kirche in Mitte zweier so mächtiger und heißgewünschter Freiheiten sich bewegt: in Mitte einer Presse, die nicht ein Mal die Septembergesetze^.ke»ut, und Der Pater DechompS ist der einzige Kanzelredner, der in letzterer Zeit sich in Belgien hervorgethan.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/15>, abgerufen am 09.05.2024.