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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Im Augenblicke, wo der Zug vortrat, stieg der Mond über den
Gebäuden auf, als wolle er auch dabei sein, auch den Kämpfer be¬
grüßen, den er ja doch so oft auf dem Schlachtfelde in manch schick¬
salsvoller Nacht getroffen.

Mitten durch dies von historischer Vergangenheit glänzende Fest
rollte die Zeit unaufhaltsam, durch den Eilwagen dargestellt, der
durch's Gedränge zur gewohnten Stunde das Postthor verließ, und
indeß auf der Bühne Alles vergeistigtes Gefühl schien, wurde hinter
den Coulissen viel Bier getrunken; Bierwagen rasselten; das Ge¬
räusch des Pöbels, der Nichts mehr zum Gassen fand, übertobte die
Musik. In Provinzen, wo die Bevölkerung noch roher im Stoffe,
wird Alles leicht zum götzenhaft barbarischen Aufzuge. Jahrhunderte
liegen im Contraste, den jene deutschen Gauen bieten, wo wir in
der Neuzeit Feste der Intelligenz gesehen haben, welche die gesammte
Menschenmasse erhoben und durchdrangen. Erinnere Dich an die
Feier Schiller's, Guttenberg's, wo der Stempel edler Würdigkeit dem
Ganzen geschichtliche Weihe gab.




"Heut wird's wohl in die Pinapothek gehen," prophezcihte die
baierische Zofe gleich am Morgen nach meiner Ankunft. In all den
Sälen, Kabinetten, Loggien -- nicht ein Mensch! In solch verlasse¬
nen Zauberbau, da wirken die Bilder weit mehr; die Phantasie ist
thätiger. Besonders merkt man's am Porträt. Van Dol'S Bür¬
germeisterin blickte mich so durchdringend an, daß ich mich fürchtete;
einmal glaubte ich wirklich ein spöttisches Zucken am Munde zu ge¬
wahren. Ich nickte ihr zu mit Angst und konnte doch nicht anders,
wartete bebend und dachte: wenn sie's erwiedert, wenn sie Dir jetzt
auch winkt -- dann verlierst Du den Verstand!

Ich weiß nicht, warum mich gegenwärtig Plastik mehr anzieht.
Es mag in der Stimmung liegen. Oder sollte es Fortschritt sein?
Da wir in der Kunst, um das Höchste zu finden, rückwärts gehen
müssen, in die Vergangenheit hinein, so dürste wohl Plastik als der
vollendetere Ausdruck erkannt werden und in seiner reinen Strenge
und unbestechlichen Wahrheit zur Würdigung mehr Reife des Ge¬
schmacks bedingen als vielleicht die Malerei -- Du siehst mich stets
geneigt, mir Alles auf'ö Günstigste auszulegen. Genug, mein Herz
jubelte den Säulen der Glyptothek entgegen, in welcher Freunde mei-


Im Augenblicke, wo der Zug vortrat, stieg der Mond über den
Gebäuden auf, als wolle er auch dabei sein, auch den Kämpfer be¬
grüßen, den er ja doch so oft auf dem Schlachtfelde in manch schick¬
salsvoller Nacht getroffen.

Mitten durch dies von historischer Vergangenheit glänzende Fest
rollte die Zeit unaufhaltsam, durch den Eilwagen dargestellt, der
durch's Gedränge zur gewohnten Stunde das Postthor verließ, und
indeß auf der Bühne Alles vergeistigtes Gefühl schien, wurde hinter
den Coulissen viel Bier getrunken; Bierwagen rasselten; das Ge¬
räusch des Pöbels, der Nichts mehr zum Gassen fand, übertobte die
Musik. In Provinzen, wo die Bevölkerung noch roher im Stoffe,
wird Alles leicht zum götzenhaft barbarischen Aufzuge. Jahrhunderte
liegen im Contraste, den jene deutschen Gauen bieten, wo wir in
der Neuzeit Feste der Intelligenz gesehen haben, welche die gesammte
Menschenmasse erhoben und durchdrangen. Erinnere Dich an die
Feier Schiller's, Guttenberg's, wo der Stempel edler Würdigkeit dem
Ganzen geschichtliche Weihe gab.




„Heut wird's wohl in die Pinapothek gehen," prophezcihte die
baierische Zofe gleich am Morgen nach meiner Ankunft. In all den
Sälen, Kabinetten, Loggien — nicht ein Mensch! In solch verlasse¬
nen Zauberbau, da wirken die Bilder weit mehr; die Phantasie ist
thätiger. Besonders merkt man's am Porträt. Van Dol'S Bür¬
germeisterin blickte mich so durchdringend an, daß ich mich fürchtete;
einmal glaubte ich wirklich ein spöttisches Zucken am Munde zu ge¬
wahren. Ich nickte ihr zu mit Angst und konnte doch nicht anders,
wartete bebend und dachte: wenn sie's erwiedert, wenn sie Dir jetzt
auch winkt — dann verlierst Du den Verstand!

Ich weiß nicht, warum mich gegenwärtig Plastik mehr anzieht.
Es mag in der Stimmung liegen. Oder sollte es Fortschritt sein?
Da wir in der Kunst, um das Höchste zu finden, rückwärts gehen
müssen, in die Vergangenheit hinein, so dürste wohl Plastik als der
vollendetere Ausdruck erkannt werden und in seiner reinen Strenge
und unbestechlichen Wahrheit zur Würdigung mehr Reife des Ge¬
schmacks bedingen als vielleicht die Malerei — Du siehst mich stets
geneigt, mir Alles auf'ö Günstigste auszulegen. Genug, mein Herz
jubelte den Säulen der Glyptothek entgegen, in welcher Freunde mei-


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[0156] Im Augenblicke, wo der Zug vortrat, stieg der Mond über den Gebäuden auf, als wolle er auch dabei sein, auch den Kämpfer be¬ grüßen, den er ja doch so oft auf dem Schlachtfelde in manch schick¬ salsvoller Nacht getroffen. Mitten durch dies von historischer Vergangenheit glänzende Fest rollte die Zeit unaufhaltsam, durch den Eilwagen dargestellt, der durch's Gedränge zur gewohnten Stunde das Postthor verließ, und indeß auf der Bühne Alles vergeistigtes Gefühl schien, wurde hinter den Coulissen viel Bier getrunken; Bierwagen rasselten; das Ge¬ räusch des Pöbels, der Nichts mehr zum Gassen fand, übertobte die Musik. In Provinzen, wo die Bevölkerung noch roher im Stoffe, wird Alles leicht zum götzenhaft barbarischen Aufzuge. Jahrhunderte liegen im Contraste, den jene deutschen Gauen bieten, wo wir in der Neuzeit Feste der Intelligenz gesehen haben, welche die gesammte Menschenmasse erhoben und durchdrangen. Erinnere Dich an die Feier Schiller's, Guttenberg's, wo der Stempel edler Würdigkeit dem Ganzen geschichtliche Weihe gab. „Heut wird's wohl in die Pinapothek gehen," prophezcihte die baierische Zofe gleich am Morgen nach meiner Ankunft. In all den Sälen, Kabinetten, Loggien — nicht ein Mensch! In solch verlasse¬ nen Zauberbau, da wirken die Bilder weit mehr; die Phantasie ist thätiger. Besonders merkt man's am Porträt. Van Dol'S Bür¬ germeisterin blickte mich so durchdringend an, daß ich mich fürchtete; einmal glaubte ich wirklich ein spöttisches Zucken am Munde zu ge¬ wahren. Ich nickte ihr zu mit Angst und konnte doch nicht anders, wartete bebend und dachte: wenn sie's erwiedert, wenn sie Dir jetzt auch winkt — dann verlierst Du den Verstand! Ich weiß nicht, warum mich gegenwärtig Plastik mehr anzieht. Es mag in der Stimmung liegen. Oder sollte es Fortschritt sein? Da wir in der Kunst, um das Höchste zu finden, rückwärts gehen müssen, in die Vergangenheit hinein, so dürste wohl Plastik als der vollendetere Ausdruck erkannt werden und in seiner reinen Strenge und unbestechlichen Wahrheit zur Würdigung mehr Reife des Ge¬ schmacks bedingen als vielleicht die Malerei — Du siehst mich stets geneigt, mir Alles auf'ö Günstigste auszulegen. Genug, mein Herz jubelte den Säulen der Glyptothek entgegen, in welcher Freunde mei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/156>, abgerufen am 09.05.2024.