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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Wiener Handelshäuser, die in Prag Speditionslager halten, haben
sehr beträchtliche Einbußen erlitten. Karolinenthal glich in den zwei
Schreckenstagen einem ungeheuern See, und in einigen schlechtge¬
bauten Theilen der Stadt stürzten die Häuser ein. In den dem
Flusse nächstliegenden Straßen stand das Wasser sieben Fuß hoch,
und obschon die steinerne Brücke sowohl als die Kettenbrücke keinen
Schaden litt, so waren doch die Zufahrten derselben durch die starke
Strömung der Fluten, die sich durch die Gassen wälzten, ganzlich
unzugänglich, und das Militär stellte darum oberhalb eine Schiffbrücke
her. Die härteste Angst mußten indeß die Bewohner der Moldau¬
inseln erleiden, welche bis an das Dach der Häuser unter Wasser
standen; um hier Rettung zu schaffen, mußte man sich von der
Brücke auf die Insel herablassen und so allmälig die jammernd Har¬
renden aus der Todesgefahr befreien. Die wild rollenden Fluten hat¬
ten auch den in der Nähe des Iiskabergcs liegenden Militärkirchhof um¬
gewühlt, und die Bewohner Prags erlebten nun das gräßliche Schau¬
spiel, halb verfaulte, nackte Leichen durch die Straßen der Stadt an
den Fenstern vorübertreiben zu sehen. Noch graulicher soll jedoch die
Verwüstung des empörten Elements auf dem platten Lande gehaust
haben, wo eine ärmliche Bauart seinen Verheerungen Vorschub leistete
und der Erntesegen des verflossenen Jahres, die Saat des jetzigen von
den Wogen mit fortgeführt wurde. Uebrigens hört man die Thätig"
keit des Erzherzogs Stephan allgemein rühmen, der in der Verwir¬
rung überall Rath zu schaffen suchte, so wie nicht minder die Uner-
schrockenheit des Erzherzogs Karl, eines Sohnes des berühmten Feld¬
herrn, der als Brigadier in Prag lebt, und stets auf den gefährlich¬
sten Punkten zu sehen war.

Auf die erste Kunde von diesem Unglück ließ der Kaiser sogleich
für die Wasserbeschädigten in Böhmen 40,000 si. anweisen und seinem
Beispiele folgten die übrigen Mitglieder des Hofes, indem die beiden
Kaiserinnen zusammen 10,000 si., Erzherzog Franz Karl 4000 si.
u. s. w. an das Prager Gubernium übersandten. Sehr großmüthig
benahmen sich auch die vier ersten Bankhäuser Wiens, Rothschild,
Sina, Todesco und Arnstein <8- Eskeles, wovon jedes 10,000 si. C. M.
für diesen Zweck bestimmte. Zugleich haben die Wiener Zeitung und
die Theaterzeitung Subfcriptionen eröffnet, die einen glänzenden Fort¬
gang haben und Ball- und Theateranfchlagzettel verkünden an allen
Straßenecken, wie eilig man sei den bedrängten Brüdern im Norden
hilfreich beizuspringen. In diesen Dingen sind die Oesterreicher mu¬
sterhaft. ")



*) Ein Privatbries aus Wien meldet uns: Für die Prager kommen hier
ungeheure Summen zusammen. Fast jedes Handlungshaus gibt einen bedeu¬
tenden Beitrag, ja sogar jeder Hausherr geht zu seinen Einwohnern sammeln.

Wiener Handelshäuser, die in Prag Speditionslager halten, haben
sehr beträchtliche Einbußen erlitten. Karolinenthal glich in den zwei
Schreckenstagen einem ungeheuern See, und in einigen schlechtge¬
bauten Theilen der Stadt stürzten die Häuser ein. In den dem
Flusse nächstliegenden Straßen stand das Wasser sieben Fuß hoch,
und obschon die steinerne Brücke sowohl als die Kettenbrücke keinen
Schaden litt, so waren doch die Zufahrten derselben durch die starke
Strömung der Fluten, die sich durch die Gassen wälzten, ganzlich
unzugänglich, und das Militär stellte darum oberhalb eine Schiffbrücke
her. Die härteste Angst mußten indeß die Bewohner der Moldau¬
inseln erleiden, welche bis an das Dach der Häuser unter Wasser
standen; um hier Rettung zu schaffen, mußte man sich von der
Brücke auf die Insel herablassen und so allmälig die jammernd Har¬
renden aus der Todesgefahr befreien. Die wild rollenden Fluten hat¬
ten auch den in der Nähe des Iiskabergcs liegenden Militärkirchhof um¬
gewühlt, und die Bewohner Prags erlebten nun das gräßliche Schau¬
spiel, halb verfaulte, nackte Leichen durch die Straßen der Stadt an
den Fenstern vorübertreiben zu sehen. Noch graulicher soll jedoch die
Verwüstung des empörten Elements auf dem platten Lande gehaust
haben, wo eine ärmliche Bauart seinen Verheerungen Vorschub leistete
und der Erntesegen des verflossenen Jahres, die Saat des jetzigen von
den Wogen mit fortgeführt wurde. Uebrigens hört man die Thätig«
keit des Erzherzogs Stephan allgemein rühmen, der in der Verwir¬
rung überall Rath zu schaffen suchte, so wie nicht minder die Uner-
schrockenheit des Erzherzogs Karl, eines Sohnes des berühmten Feld¬
herrn, der als Brigadier in Prag lebt, und stets auf den gefährlich¬
sten Punkten zu sehen war.

Auf die erste Kunde von diesem Unglück ließ der Kaiser sogleich
für die Wasserbeschädigten in Böhmen 40,000 si. anweisen und seinem
Beispiele folgten die übrigen Mitglieder des Hofes, indem die beiden
Kaiserinnen zusammen 10,000 si., Erzherzog Franz Karl 4000 si.
u. s. w. an das Prager Gubernium übersandten. Sehr großmüthig
benahmen sich auch die vier ersten Bankhäuser Wiens, Rothschild,
Sina, Todesco und Arnstein <8- Eskeles, wovon jedes 10,000 si. C. M.
für diesen Zweck bestimmte. Zugleich haben die Wiener Zeitung und
die Theaterzeitung Subfcriptionen eröffnet, die einen glänzenden Fort¬
gang haben und Ball- und Theateranfchlagzettel verkünden an allen
Straßenecken, wie eilig man sei den bedrängten Brüdern im Norden
hilfreich beizuspringen. In diesen Dingen sind die Oesterreicher mu¬
sterhaft. ")



*) Ein Privatbries aus Wien meldet uns: Für die Prager kommen hier
ungeheure Summen zusammen. Fast jedes Handlungshaus gibt einen bedeu¬
tenden Beitrag, ja sogar jeder Hausherr geht zu seinen Einwohnern sammeln.
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[0187] Wiener Handelshäuser, die in Prag Speditionslager halten, haben sehr beträchtliche Einbußen erlitten. Karolinenthal glich in den zwei Schreckenstagen einem ungeheuern See, und in einigen schlechtge¬ bauten Theilen der Stadt stürzten die Häuser ein. In den dem Flusse nächstliegenden Straßen stand das Wasser sieben Fuß hoch, und obschon die steinerne Brücke sowohl als die Kettenbrücke keinen Schaden litt, so waren doch die Zufahrten derselben durch die starke Strömung der Fluten, die sich durch die Gassen wälzten, ganzlich unzugänglich, und das Militär stellte darum oberhalb eine Schiffbrücke her. Die härteste Angst mußten indeß die Bewohner der Moldau¬ inseln erleiden, welche bis an das Dach der Häuser unter Wasser standen; um hier Rettung zu schaffen, mußte man sich von der Brücke auf die Insel herablassen und so allmälig die jammernd Har¬ renden aus der Todesgefahr befreien. Die wild rollenden Fluten hat¬ ten auch den in der Nähe des Iiskabergcs liegenden Militärkirchhof um¬ gewühlt, und die Bewohner Prags erlebten nun das gräßliche Schau¬ spiel, halb verfaulte, nackte Leichen durch die Straßen der Stadt an den Fenstern vorübertreiben zu sehen. Noch graulicher soll jedoch die Verwüstung des empörten Elements auf dem platten Lande gehaust haben, wo eine ärmliche Bauart seinen Verheerungen Vorschub leistete und der Erntesegen des verflossenen Jahres, die Saat des jetzigen von den Wogen mit fortgeführt wurde. Uebrigens hört man die Thätig« keit des Erzherzogs Stephan allgemein rühmen, der in der Verwir¬ rung überall Rath zu schaffen suchte, so wie nicht minder die Uner- schrockenheit des Erzherzogs Karl, eines Sohnes des berühmten Feld¬ herrn, der als Brigadier in Prag lebt, und stets auf den gefährlich¬ sten Punkten zu sehen war. Auf die erste Kunde von diesem Unglück ließ der Kaiser sogleich für die Wasserbeschädigten in Böhmen 40,000 si. anweisen und seinem Beispiele folgten die übrigen Mitglieder des Hofes, indem die beiden Kaiserinnen zusammen 10,000 si., Erzherzog Franz Karl 4000 si. u. s. w. an das Prager Gubernium übersandten. Sehr großmüthig benahmen sich auch die vier ersten Bankhäuser Wiens, Rothschild, Sina, Todesco und Arnstein <8- Eskeles, wovon jedes 10,000 si. C. M. für diesen Zweck bestimmte. Zugleich haben die Wiener Zeitung und die Theaterzeitung Subfcriptionen eröffnet, die einen glänzenden Fort¬ gang haben und Ball- und Theateranfchlagzettel verkünden an allen Straßenecken, wie eilig man sei den bedrängten Brüdern im Norden hilfreich beizuspringen. In diesen Dingen sind die Oesterreicher mu¬ sterhaft. ") *) Ein Privatbries aus Wien meldet uns: Für die Prager kommen hier ungeheure Summen zusammen. Fast jedes Handlungshaus gibt einen bedeu¬ tenden Beitrag, ja sogar jeder Hausherr geht zu seinen Einwohnern sammeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/187>, abgerufen am 08.05.2024.