Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Leser auf der Adelsbank werden in diesem Buche gewiß viel Neues
finden. Wir Anderen an dem fleißigen Bürgertisch haben unser Ur¬
theil über die "Menschen", welche uns Therese vorführt, längst fer¬
tig. George Sand, Gräfin Hahn-Hahn, Gustav Kühne sind für
uns gute alte Bekannte. Wenn sie es nicht wären, so würden wir
aus dem vorliegenden Buche eben nicht viel lernen. Bei aller Rück¬
sicht, die uns das Geschlecht der Verfasserin auferlegt, müssen wir ihr
sagen, daß sie sich es diesmal gar zu bequem gemacht hat. Derlei
Auszüge und unfertige Causerien laßt man im Pulte liegen, sie ver¬
öffentlichen, das riecht zu sehr nach Vnchmach -- Pardon! -- Uebri-
gens sind die "Gegenden" der Verfasserin besser gerathen als die
"Menschen." Schade, daß der Aufsatz "in Odenwalde" so kurz ist --
er ist das Beste in diesem ganzen Buche.

-- Jedes Schauspiel will seine Parodie. Die Deutsch-Katholiken
haben ihr parodistisches Gegenstück an einem Häuflein jüdischer Refor¬
mers in Berlin gesunden, die nun ihrerseits erklaren, daß sie sich von
dem jüdischen Rom, von Jerusalem lossagen, daß sie an den Talmud
nicht glauben u. s. w. Als ob es irgend einem gebildeten Jeden in
den Sinn gekommen wäre, an diese Satzungen der mittelalterlichen
jüdischen Scholastik wirklich zu, glauben. Die polnischen Barte, welche
die Leipziger Messe besuchen und denen die talmudische Charte noch
eine Wahrheit ist, werden durch die Berliner Reformatoren um kein
Haar breit aus ihrem Glauben gerissen werden. Für die Nichtbärte
bedürfte es nicht erst der Weisheit des Stern und seiner Gefähr¬
ten. Es wäre besser, die Juden gäben den Emancipationsfeinden durch
ihre Protestationen gegen alte halbvergesscne Märchen keine neuen Waf¬
fen in die Hände. "Il kund laver "on lin^e s.'no e" simiillv," sagte
Napoleon. Wenn ein durch schmähliche Ungerechtigkeit um seine Vür-
gcransprüche verkürzter Theil der deutschen Nation, die Presse benutzt,
um zu protestiren und für sein heiliges Recht zu kämpfen, so wird
sich Jeder -- wenn auch im verschiedenen Sinne -- dafür interesstren.
Wenn man aber den Millionen deutschen Lesern zumuthet, sie sollen
sich für die Reformen im Schooße einer kleinen religiösen Fraction
interessiren, als wäre dies eine allgemeine deutsche Angelegenheit, so
ist dies ein Mißgriff, der mit dem bewahrten praktischen Sinne der Ju¬
den im vollständigen Gegensatze steht. -- Ein wahrer Sancho Pansa
dieses reformatorischen Don Quirotismus ist ein Schullehrer Lehmann
in Soest; der in einem offenen Briefe als eine leibhaftige Caricatur
Ronge's auftritt und den die deutschen Zeitungen, lächerlich genug, mit
einer Wichtigkeit nachdrucken, die eine Beleidigung für alle gebildete
Jsraeliten ist.

-- In Kurhessen nimmt das Verbot von Zeitschriften jetzt über¬
Hand. Die Weserzeitung, Mannheimer Abendzeitung, Aachner Zei-


Die Leser auf der Adelsbank werden in diesem Buche gewiß viel Neues
finden. Wir Anderen an dem fleißigen Bürgertisch haben unser Ur¬
theil über die „Menschen", welche uns Therese vorführt, längst fer¬
tig. George Sand, Gräfin Hahn-Hahn, Gustav Kühne sind für
uns gute alte Bekannte. Wenn sie es nicht wären, so würden wir
aus dem vorliegenden Buche eben nicht viel lernen. Bei aller Rück¬
sicht, die uns das Geschlecht der Verfasserin auferlegt, müssen wir ihr
sagen, daß sie sich es diesmal gar zu bequem gemacht hat. Derlei
Auszüge und unfertige Causerien laßt man im Pulte liegen, sie ver¬
öffentlichen, das riecht zu sehr nach Vnchmach — Pardon! — Uebri-
gens sind die „Gegenden" der Verfasserin besser gerathen als die
„Menschen." Schade, daß der Aufsatz „in Odenwalde" so kurz ist —
er ist das Beste in diesem ganzen Buche.

— Jedes Schauspiel will seine Parodie. Die Deutsch-Katholiken
haben ihr parodistisches Gegenstück an einem Häuflein jüdischer Refor¬
mers in Berlin gesunden, die nun ihrerseits erklaren, daß sie sich von
dem jüdischen Rom, von Jerusalem lossagen, daß sie an den Talmud
nicht glauben u. s. w. Als ob es irgend einem gebildeten Jeden in
den Sinn gekommen wäre, an diese Satzungen der mittelalterlichen
jüdischen Scholastik wirklich zu, glauben. Die polnischen Barte, welche
die Leipziger Messe besuchen und denen die talmudische Charte noch
eine Wahrheit ist, werden durch die Berliner Reformatoren um kein
Haar breit aus ihrem Glauben gerissen werden. Für die Nichtbärte
bedürfte es nicht erst der Weisheit des Stern und seiner Gefähr¬
ten. Es wäre besser, die Juden gäben den Emancipationsfeinden durch
ihre Protestationen gegen alte halbvergesscne Märchen keine neuen Waf¬
fen in die Hände. „Il kund laver «on lin^e s.'no e» simiillv," sagte
Napoleon. Wenn ein durch schmähliche Ungerechtigkeit um seine Vür-
gcransprüche verkürzter Theil der deutschen Nation, die Presse benutzt,
um zu protestiren und für sein heiliges Recht zu kämpfen, so wird
sich Jeder — wenn auch im verschiedenen Sinne — dafür interesstren.
Wenn man aber den Millionen deutschen Lesern zumuthet, sie sollen
sich für die Reformen im Schooße einer kleinen religiösen Fraction
interessiren, als wäre dies eine allgemeine deutsche Angelegenheit, so
ist dies ein Mißgriff, der mit dem bewahrten praktischen Sinne der Ju¬
den im vollständigen Gegensatze steht. — Ein wahrer Sancho Pansa
dieses reformatorischen Don Quirotismus ist ein Schullehrer Lehmann
in Soest; der in einem offenen Briefe als eine leibhaftige Caricatur
Ronge's auftritt und den die deutschen Zeitungen, lächerlich genug, mit
einer Wichtigkeit nachdrucken, die eine Beleidigung für alle gebildete
Jsraeliten ist.

— In Kurhessen nimmt das Verbot von Zeitschriften jetzt über¬
Hand. Die Weserzeitung, Mannheimer Abendzeitung, Aachner Zei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270305"/>
            <p xml:id="ID_624" prev="#ID_623"> Die Leser auf der Adelsbank werden in diesem Buche gewiß viel Neues<lb/>
finden. Wir Anderen an dem fleißigen Bürgertisch haben unser Ur¬<lb/>
theil über die &#x201E;Menschen", welche uns Therese vorführt, längst fer¬<lb/>
tig. George Sand, Gräfin Hahn-Hahn, Gustav Kühne sind für<lb/>
uns gute alte Bekannte. Wenn sie es nicht wären, so würden wir<lb/>
aus dem vorliegenden Buche eben nicht viel lernen. Bei aller Rück¬<lb/>
sicht, die uns das Geschlecht der Verfasserin auferlegt, müssen wir ihr<lb/>
sagen, daß sie sich es diesmal gar zu bequem gemacht hat. Derlei<lb/>
Auszüge und unfertige Causerien laßt man im Pulte liegen, sie ver¬<lb/>
öffentlichen, das riecht zu sehr nach Vnchmach &#x2014; Pardon! &#x2014; Uebri-<lb/>
gens sind die &#x201E;Gegenden" der Verfasserin besser gerathen als die<lb/>
&#x201E;Menschen." Schade, daß der Aufsatz &#x201E;in Odenwalde" so kurz ist &#x2014;<lb/>
er ist das Beste in diesem ganzen Buche.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_625"> &#x2014; Jedes Schauspiel will seine Parodie. Die Deutsch-Katholiken<lb/>
haben ihr parodistisches Gegenstück an einem Häuflein jüdischer Refor¬<lb/>
mers in Berlin gesunden, die nun ihrerseits erklaren, daß sie sich von<lb/>
dem jüdischen Rom, von Jerusalem lossagen, daß sie an den Talmud<lb/>
nicht glauben u. s. w. Als ob es irgend einem gebildeten Jeden in<lb/>
den Sinn gekommen wäre, an diese Satzungen der mittelalterlichen<lb/>
jüdischen Scholastik wirklich zu, glauben. Die polnischen Barte, welche<lb/>
die Leipziger Messe besuchen und denen die talmudische Charte noch<lb/>
eine Wahrheit ist, werden durch die Berliner Reformatoren um kein<lb/>
Haar breit aus ihrem Glauben gerissen werden. Für die Nichtbärte<lb/>
bedürfte es nicht erst der Weisheit des Stern und seiner Gefähr¬<lb/>
ten. Es wäre besser, die Juden gäben den Emancipationsfeinden durch<lb/>
ihre Protestationen gegen alte halbvergesscne Märchen keine neuen Waf¬<lb/>
fen in die Hände. &#x201E;Il kund laver «on lin^e s.'no e» simiillv," sagte<lb/>
Napoleon. Wenn ein durch schmähliche Ungerechtigkeit um seine Vür-<lb/>
gcransprüche verkürzter Theil der deutschen Nation, die Presse benutzt,<lb/>
um zu protestiren und für sein heiliges Recht zu kämpfen, so wird<lb/>
sich Jeder &#x2014; wenn auch im verschiedenen Sinne &#x2014; dafür interesstren.<lb/>
Wenn man aber den Millionen deutschen Lesern zumuthet, sie sollen<lb/>
sich für die Reformen im Schooße einer kleinen religiösen Fraction<lb/>
interessiren, als wäre dies eine allgemeine deutsche Angelegenheit, so<lb/>
ist dies ein Mißgriff, der mit dem bewahrten praktischen Sinne der Ju¬<lb/>
den im vollständigen Gegensatze steht. &#x2014; Ein wahrer Sancho Pansa<lb/>
dieses reformatorischen Don Quirotismus ist ein Schullehrer Lehmann<lb/>
in Soest; der in einem offenen Briefe als eine leibhaftige Caricatur<lb/>
Ronge's auftritt und den die deutschen Zeitungen, lächerlich genug, mit<lb/>
einer Wichtigkeit nachdrucken, die eine Beleidigung für alle gebildete<lb/>
Jsraeliten ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_626" next="#ID_627"> &#x2014; In Kurhessen nimmt das Verbot von Zeitschriften jetzt über¬<lb/>
Hand.  Die Weserzeitung, Mannheimer Abendzeitung, Aachner Zei-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] Die Leser auf der Adelsbank werden in diesem Buche gewiß viel Neues finden. Wir Anderen an dem fleißigen Bürgertisch haben unser Ur¬ theil über die „Menschen", welche uns Therese vorführt, längst fer¬ tig. George Sand, Gräfin Hahn-Hahn, Gustav Kühne sind für uns gute alte Bekannte. Wenn sie es nicht wären, so würden wir aus dem vorliegenden Buche eben nicht viel lernen. Bei aller Rück¬ sicht, die uns das Geschlecht der Verfasserin auferlegt, müssen wir ihr sagen, daß sie sich es diesmal gar zu bequem gemacht hat. Derlei Auszüge und unfertige Causerien laßt man im Pulte liegen, sie ver¬ öffentlichen, das riecht zu sehr nach Vnchmach — Pardon! — Uebri- gens sind die „Gegenden" der Verfasserin besser gerathen als die „Menschen." Schade, daß der Aufsatz „in Odenwalde" so kurz ist — er ist das Beste in diesem ganzen Buche. — Jedes Schauspiel will seine Parodie. Die Deutsch-Katholiken haben ihr parodistisches Gegenstück an einem Häuflein jüdischer Refor¬ mers in Berlin gesunden, die nun ihrerseits erklaren, daß sie sich von dem jüdischen Rom, von Jerusalem lossagen, daß sie an den Talmud nicht glauben u. s. w. Als ob es irgend einem gebildeten Jeden in den Sinn gekommen wäre, an diese Satzungen der mittelalterlichen jüdischen Scholastik wirklich zu, glauben. Die polnischen Barte, welche die Leipziger Messe besuchen und denen die talmudische Charte noch eine Wahrheit ist, werden durch die Berliner Reformatoren um kein Haar breit aus ihrem Glauben gerissen werden. Für die Nichtbärte bedürfte es nicht erst der Weisheit des Stern und seiner Gefähr¬ ten. Es wäre besser, die Juden gäben den Emancipationsfeinden durch ihre Protestationen gegen alte halbvergesscne Märchen keine neuen Waf¬ fen in die Hände. „Il kund laver «on lin^e s.'no e» simiillv," sagte Napoleon. Wenn ein durch schmähliche Ungerechtigkeit um seine Vür- gcransprüche verkürzter Theil der deutschen Nation, die Presse benutzt, um zu protestiren und für sein heiliges Recht zu kämpfen, so wird sich Jeder — wenn auch im verschiedenen Sinne — dafür interesstren. Wenn man aber den Millionen deutschen Lesern zumuthet, sie sollen sich für die Reformen im Schooße einer kleinen religiösen Fraction interessiren, als wäre dies eine allgemeine deutsche Angelegenheit, so ist dies ein Mißgriff, der mit dem bewahrten praktischen Sinne der Ju¬ den im vollständigen Gegensatze steht. — Ein wahrer Sancho Pansa dieses reformatorischen Don Quirotismus ist ein Schullehrer Lehmann in Soest; der in einem offenen Briefe als eine leibhaftige Caricatur Ronge's auftritt und den die deutschen Zeitungen, lächerlich genug, mit einer Wichtigkeit nachdrucken, die eine Beleidigung für alle gebildete Jsraeliten ist. — In Kurhessen nimmt das Verbot von Zeitschriften jetzt über¬ Hand. Die Weserzeitung, Mannheimer Abendzeitung, Aachner Zei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/246>, abgerufen am 09.05.2024.