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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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neue hauste. Gewiß es ist besser, daß Alles so bürgerlich und gesetz¬
lich und civilisirt vor sich ging. Die erste Schriststcllcrvcrfammlung
hat ihre treffliche Seite, sie hat dadurch nicht nur allen zukünftigen
vorgearbeitet, sie hat auch gezeigt, daß der Schriftsteller einen Stand
hat, daß er sich gegenseitig zu achten und zu unterstützen weiß. Sie
hat den Regierungen gegenüber bewiesen, daß der Schriftsteller reif ist
zu seinem politischen Beruf, daß er sich zu beherrschen weiß und daß
einer so herangewachsenen, von gesetzlichem Geist und Selbstwürde
erfüllten Körperschaft das ihm zukommende Recht des freien Worts
unter keiner Ausflucht mehr entzogen werden kann. Aber auch eine
andere Seite hat diese erste Versammlung deutscher Schriftsteller,
denn die Nation kann sagen, ja ihr seid ein Stand geworden, aber
ihr habt die Individualität verloren, ihr seid reif, männlich geworden,
aber ihr habt eure Jugend eingebüßt, ihr seid practisch geworden, aber
eure Romantik ist in alle Winde gefahren. Ist es wirklich eine
Schriftstellerversammlung, die hier stattgefunden? Sind es wirklich
Männer der Schrift, der Poesie, des freien Gedankentz, die sich
zusammengethan? Ist es wirklich ein Theil der besten Geister unserer
Literatur, die drei Tage gemeinsam verkehrten? Und wodurch unter¬
schiedet Ihr Euch von der Versammlung der Landwirthe, Architekten,
Philologen u. s. w. Ihr habt an Mäßigung und Anstand meine
Erwartung übertroffen; aber was ich erwartete: den Schwung, die
Poesie, die Blitze des Genius -- danach suchte ich vergebens. Euer
Selbstbewußtsein, Eure Standeswürde will ich gerne achten, aber
als Ihr noch vereinzelt, abenteuerlich, tollköpsig, aber phantastisch, pro-
ductiv durch die Welt irrtet, da habe ich Euch geliebt!

Die erste Schriflstellerversammlung ist ein Spiegelbild der gegen¬
wärtigen Literaturrichtung gewesen. Die politische und materielle Rich¬
tung war in überwiegender Majorität vertreten, das künstlerische, ideal"
Element kam nicht zur Geltung. Zum großen Theile lag dies in der
Oertlichkeit. Leipzig ist vorwiegend ein Heerd der praktischen Literatur.
Bei der nächsten Versammlung in Stuttgart, im Kreise der schwäbi¬
schen Dichterschule, in der Atmosphäre einer üppigem Natur, wird
dies hoffentlich ausgeglichen werden, und die poetische Literatur eine kräf¬
tigere Vertretung finden. Uebrigens ist dieser literarische Reichstag mit
seinem Versuch zu einer Art ewigen Landfrieden, zu einer organischem
Einrichtung des deutschen Schriftstellerreichs, aller Anerkennung werth.
Wenn es auch an eigentlichem Inhalte fehlte, wenn die Phantasie
auch dabei leer ausging, so wurde doch die Form gewonnen, für alle
spätern Wiederholungen. Der Vorsitzende, so wie die Anordner haben
mit Energie und vielem Tacte dem Ganzen eine harmonische Abrun-
dung gegeben und den fremden Gästen hat sich die sächsische Politesse
und die Gastfreundlichkeit Leipzigs von der besten Seite sich präsentirt.


I. Kuranoa.

neue hauste. Gewiß es ist besser, daß Alles so bürgerlich und gesetz¬
lich und civilisirt vor sich ging. Die erste Schriststcllcrvcrfammlung
hat ihre treffliche Seite, sie hat dadurch nicht nur allen zukünftigen
vorgearbeitet, sie hat auch gezeigt, daß der Schriftsteller einen Stand
hat, daß er sich gegenseitig zu achten und zu unterstützen weiß. Sie
hat den Regierungen gegenüber bewiesen, daß der Schriftsteller reif ist
zu seinem politischen Beruf, daß er sich zu beherrschen weiß und daß
einer so herangewachsenen, von gesetzlichem Geist und Selbstwürde
erfüllten Körperschaft das ihm zukommende Recht des freien Worts
unter keiner Ausflucht mehr entzogen werden kann. Aber auch eine
andere Seite hat diese erste Versammlung deutscher Schriftsteller,
denn die Nation kann sagen, ja ihr seid ein Stand geworden, aber
ihr habt die Individualität verloren, ihr seid reif, männlich geworden,
aber ihr habt eure Jugend eingebüßt, ihr seid practisch geworden, aber
eure Romantik ist in alle Winde gefahren. Ist es wirklich eine
Schriftstellerversammlung, die hier stattgefunden? Sind es wirklich
Männer der Schrift, der Poesie, des freien Gedankentz, die sich
zusammengethan? Ist es wirklich ein Theil der besten Geister unserer
Literatur, die drei Tage gemeinsam verkehrten? Und wodurch unter¬
schiedet Ihr Euch von der Versammlung der Landwirthe, Architekten,
Philologen u. s. w. Ihr habt an Mäßigung und Anstand meine
Erwartung übertroffen; aber was ich erwartete: den Schwung, die
Poesie, die Blitze des Genius — danach suchte ich vergebens. Euer
Selbstbewußtsein, Eure Standeswürde will ich gerne achten, aber
als Ihr noch vereinzelt, abenteuerlich, tollköpsig, aber phantastisch, pro-
ductiv durch die Welt irrtet, da habe ich Euch geliebt!

Die erste Schriflstellerversammlung ist ein Spiegelbild der gegen¬
wärtigen Literaturrichtung gewesen. Die politische und materielle Rich¬
tung war in überwiegender Majorität vertreten, das künstlerische, ideal«
Element kam nicht zur Geltung. Zum großen Theile lag dies in der
Oertlichkeit. Leipzig ist vorwiegend ein Heerd der praktischen Literatur.
Bei der nächsten Versammlung in Stuttgart, im Kreise der schwäbi¬
schen Dichterschule, in der Atmosphäre einer üppigem Natur, wird
dies hoffentlich ausgeglichen werden, und die poetische Literatur eine kräf¬
tigere Vertretung finden. Uebrigens ist dieser literarische Reichstag mit
seinem Versuch zu einer Art ewigen Landfrieden, zu einer organischem
Einrichtung des deutschen Schriftstellerreichs, aller Anerkennung werth.
Wenn es auch an eigentlichem Inhalte fehlte, wenn die Phantasie
auch dabei leer ausging, so wurde doch die Form gewonnen, für alle
spätern Wiederholungen. Der Vorsitzende, so wie die Anordner haben
mit Energie und vielem Tacte dem Ganzen eine harmonische Abrun-
dung gegeben und den fremden Gästen hat sich die sächsische Politesse
und die Gastfreundlichkeit Leipzigs von der besten Seite sich präsentirt.


I. Kuranoa.
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[0287] neue hauste. Gewiß es ist besser, daß Alles so bürgerlich und gesetz¬ lich und civilisirt vor sich ging. Die erste Schriststcllcrvcrfammlung hat ihre treffliche Seite, sie hat dadurch nicht nur allen zukünftigen vorgearbeitet, sie hat auch gezeigt, daß der Schriftsteller einen Stand hat, daß er sich gegenseitig zu achten und zu unterstützen weiß. Sie hat den Regierungen gegenüber bewiesen, daß der Schriftsteller reif ist zu seinem politischen Beruf, daß er sich zu beherrschen weiß und daß einer so herangewachsenen, von gesetzlichem Geist und Selbstwürde erfüllten Körperschaft das ihm zukommende Recht des freien Worts unter keiner Ausflucht mehr entzogen werden kann. Aber auch eine andere Seite hat diese erste Versammlung deutscher Schriftsteller, denn die Nation kann sagen, ja ihr seid ein Stand geworden, aber ihr habt die Individualität verloren, ihr seid reif, männlich geworden, aber ihr habt eure Jugend eingebüßt, ihr seid practisch geworden, aber eure Romantik ist in alle Winde gefahren. Ist es wirklich eine Schriftstellerversammlung, die hier stattgefunden? Sind es wirklich Männer der Schrift, der Poesie, des freien Gedankentz, die sich zusammengethan? Ist es wirklich ein Theil der besten Geister unserer Literatur, die drei Tage gemeinsam verkehrten? Und wodurch unter¬ schiedet Ihr Euch von der Versammlung der Landwirthe, Architekten, Philologen u. s. w. Ihr habt an Mäßigung und Anstand meine Erwartung übertroffen; aber was ich erwartete: den Schwung, die Poesie, die Blitze des Genius — danach suchte ich vergebens. Euer Selbstbewußtsein, Eure Standeswürde will ich gerne achten, aber als Ihr noch vereinzelt, abenteuerlich, tollköpsig, aber phantastisch, pro- ductiv durch die Welt irrtet, da habe ich Euch geliebt! Die erste Schriflstellerversammlung ist ein Spiegelbild der gegen¬ wärtigen Literaturrichtung gewesen. Die politische und materielle Rich¬ tung war in überwiegender Majorität vertreten, das künstlerische, ideal« Element kam nicht zur Geltung. Zum großen Theile lag dies in der Oertlichkeit. Leipzig ist vorwiegend ein Heerd der praktischen Literatur. Bei der nächsten Versammlung in Stuttgart, im Kreise der schwäbi¬ schen Dichterschule, in der Atmosphäre einer üppigem Natur, wird dies hoffentlich ausgeglichen werden, und die poetische Literatur eine kräf¬ tigere Vertretung finden. Uebrigens ist dieser literarische Reichstag mit seinem Versuch zu einer Art ewigen Landfrieden, zu einer organischem Einrichtung des deutschen Schriftstellerreichs, aller Anerkennung werth. Wenn es auch an eigentlichem Inhalte fehlte, wenn die Phantasie auch dabei leer ausging, so wurde doch die Form gewonnen, für alle spätern Wiederholungen. Der Vorsitzende, so wie die Anordner haben mit Energie und vielem Tacte dem Ganzen eine harmonische Abrun- dung gegeben und den fremden Gästen hat sich die sächsische Politesse und die Gastfreundlichkeit Leipzigs von der besten Seite sich präsentirt. I. Kuranoa.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/287>, abgerufen am 08.05.2024.