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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Knoll). Oesterreichisch-Schlesien, die Heimath dieses jungen Poeten,
hat unseres Wissens noch wenig Vertreter im deutschen Dichterwalde;
vielleicht dürfen wir in Knoll's Liedern den ersten Flügelschlag begrüßen,
Mit welchem der moderne Geist auch dort sich ankündigt. Liest man
folgendes allerliebste Gedicht:

so möchte man wohl nicht denken, daß aus derselben weichen Brust
auch sogenannte politische Gedichte tönen können. Und doch ist es so.
Knoll's Muse ist noch im Stadium jener Kindlichkeit, die Alles sagen
darf und kann, ohne unpoetisch zu werden. Jedenfalls ist diese na¬
türliche Kindlichkeit der doctrinären Bewußtseinspoesie weit vorzuziehen.
Sehr glücklich hat Knoll den Volkston getroffen in dem "Nachtlied"
mit dem Refrain: Der Kaiser (Joseph) ist schlafen gangen. Noch
mehrere Gedichte der Art fanden wir in der kleinen Sammlung; sehr
frischen Humor und viel Sinnigkeit verräth das "Bierlied." Interessant
dürfte auch folgende biographische Notiz sein. Knoll, der an einem
gefährlichen chronischen Leiden darniederlag, war von den Aerzten auf¬
gegeben worden. Er hatte nie daran gedacht, mit seinen Versen vor
die Oeffentlichkeit zu treten; nun er sich aber dem Tode nahe glaubte,,
übergab er seine lyrischen Blatter einem Freunde, damit sie nach dem
Tode ihres Verfassers, als Andenken für die Seinigen erhalten wür¬
den. Der Freund wartete aber nicht und ließ sie drucken. Unverhoff¬
ter Weise wurde der kranke Dichter geheilt, und was sein Vermächt-
niß, gleichsam seine Grabschrift sein sollte, überraschte ihn nun selbst
als Morgengruß und Aufmunterung zum neuen Leben. Knoll hat sich
jetzt ganz der Poesie gewidmet und eine größere Arbeit begonnen.

-- Der Weimar'sche Hofmaler I. H. Schramm aus Teschen
besitzt eines der merkwürdigsten Albums, die wir gesehen haben. Schramm
hat eine unglaubliche Meisterschaft im Portratiren mit dem bloßen
Bleistift; die größten Notabilitäten in Kunst, Politik, Literatur und
Wissenschaft haben ihm gesessen und, wie zur dankbaren Bestätigung
ihrer Identität, auch ihr Autograph darunter gesetzt. Die Porträts
sind sehr ausdrucksvoll und stets von der charakteristischesten Seite auf¬
gefaßt. Metternich, Hormaier, Mosen, Paulus, Raden-Sales, Pück-
ler, Herwegh, Freiligrath, eine indische Bajadere, Professor Göttling,
Tholuck, David Strauß :c. in. liegen sehr friedlich neben einander in


Knoll). Oesterreichisch-Schlesien, die Heimath dieses jungen Poeten,
hat unseres Wissens noch wenig Vertreter im deutschen Dichterwalde;
vielleicht dürfen wir in Knoll's Liedern den ersten Flügelschlag begrüßen,
Mit welchem der moderne Geist auch dort sich ankündigt. Liest man
folgendes allerliebste Gedicht:

so möchte man wohl nicht denken, daß aus derselben weichen Brust
auch sogenannte politische Gedichte tönen können. Und doch ist es so.
Knoll's Muse ist noch im Stadium jener Kindlichkeit, die Alles sagen
darf und kann, ohne unpoetisch zu werden. Jedenfalls ist diese na¬
türliche Kindlichkeit der doctrinären Bewußtseinspoesie weit vorzuziehen.
Sehr glücklich hat Knoll den Volkston getroffen in dem „Nachtlied"
mit dem Refrain: Der Kaiser (Joseph) ist schlafen gangen. Noch
mehrere Gedichte der Art fanden wir in der kleinen Sammlung; sehr
frischen Humor und viel Sinnigkeit verräth das „Bierlied." Interessant
dürfte auch folgende biographische Notiz sein. Knoll, der an einem
gefährlichen chronischen Leiden darniederlag, war von den Aerzten auf¬
gegeben worden. Er hatte nie daran gedacht, mit seinen Versen vor
die Oeffentlichkeit zu treten; nun er sich aber dem Tode nahe glaubte,,
übergab er seine lyrischen Blatter einem Freunde, damit sie nach dem
Tode ihres Verfassers, als Andenken für die Seinigen erhalten wür¬
den. Der Freund wartete aber nicht und ließ sie drucken. Unverhoff¬
ter Weise wurde der kranke Dichter geheilt, und was sein Vermächt-
niß, gleichsam seine Grabschrift sein sollte, überraschte ihn nun selbst
als Morgengruß und Aufmunterung zum neuen Leben. Knoll hat sich
jetzt ganz der Poesie gewidmet und eine größere Arbeit begonnen.

— Der Weimar'sche Hofmaler I. H. Schramm aus Teschen
besitzt eines der merkwürdigsten Albums, die wir gesehen haben. Schramm
hat eine unglaubliche Meisterschaft im Portratiren mit dem bloßen
Bleistift; die größten Notabilitäten in Kunst, Politik, Literatur und
Wissenschaft haben ihm gesessen und, wie zur dankbaren Bestätigung
ihrer Identität, auch ihr Autograph darunter gesetzt. Die Porträts
sind sehr ausdrucksvoll und stets von der charakteristischesten Seite auf¬
gefaßt. Metternich, Hormaier, Mosen, Paulus, Raden-Sales, Pück-
ler, Herwegh, Freiligrath, eine indische Bajadere, Professor Göttling,
Tholuck, David Strauß :c. in. liegen sehr friedlich neben einander in


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[0324] Knoll). Oesterreichisch-Schlesien, die Heimath dieses jungen Poeten, hat unseres Wissens noch wenig Vertreter im deutschen Dichterwalde; vielleicht dürfen wir in Knoll's Liedern den ersten Flügelschlag begrüßen, Mit welchem der moderne Geist auch dort sich ankündigt. Liest man folgendes allerliebste Gedicht: so möchte man wohl nicht denken, daß aus derselben weichen Brust auch sogenannte politische Gedichte tönen können. Und doch ist es so. Knoll's Muse ist noch im Stadium jener Kindlichkeit, die Alles sagen darf und kann, ohne unpoetisch zu werden. Jedenfalls ist diese na¬ türliche Kindlichkeit der doctrinären Bewußtseinspoesie weit vorzuziehen. Sehr glücklich hat Knoll den Volkston getroffen in dem „Nachtlied" mit dem Refrain: Der Kaiser (Joseph) ist schlafen gangen. Noch mehrere Gedichte der Art fanden wir in der kleinen Sammlung; sehr frischen Humor und viel Sinnigkeit verräth das „Bierlied." Interessant dürfte auch folgende biographische Notiz sein. Knoll, der an einem gefährlichen chronischen Leiden darniederlag, war von den Aerzten auf¬ gegeben worden. Er hatte nie daran gedacht, mit seinen Versen vor die Oeffentlichkeit zu treten; nun er sich aber dem Tode nahe glaubte,, übergab er seine lyrischen Blatter einem Freunde, damit sie nach dem Tode ihres Verfassers, als Andenken für die Seinigen erhalten wür¬ den. Der Freund wartete aber nicht und ließ sie drucken. Unverhoff¬ ter Weise wurde der kranke Dichter geheilt, und was sein Vermächt- niß, gleichsam seine Grabschrift sein sollte, überraschte ihn nun selbst als Morgengruß und Aufmunterung zum neuen Leben. Knoll hat sich jetzt ganz der Poesie gewidmet und eine größere Arbeit begonnen. — Der Weimar'sche Hofmaler I. H. Schramm aus Teschen besitzt eines der merkwürdigsten Albums, die wir gesehen haben. Schramm hat eine unglaubliche Meisterschaft im Portratiren mit dem bloßen Bleistift; die größten Notabilitäten in Kunst, Politik, Literatur und Wissenschaft haben ihm gesessen und, wie zur dankbaren Bestätigung ihrer Identität, auch ihr Autograph darunter gesetzt. Die Porträts sind sehr ausdrucksvoll und stets von der charakteristischesten Seite auf¬ gefaßt. Metternich, Hormaier, Mosen, Paulus, Raden-Sales, Pück- ler, Herwegh, Freiligrath, eine indische Bajadere, Professor Göttling, Tholuck, David Strauß :c. in. liegen sehr friedlich neben einander in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/324>, abgerufen am 09.05.2024.