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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Trappe. Da sitzt die Mamsell Athanasia, und liest Tag ein, Tag
aus unnütze Romanbücher, die ihr den Kopf noch mehr verdrehen.
Darum ist sie auch nur krank und nimmt immerfort Medizin ein.
Hätte sie sich von Jugend auf um die Wirthschaft gekümmert, hätte
den Staub, der fingerdick auf den schönen Meubeln liegt, selber ab¬
gewischt, so würde sie gesund geblieben sein und würde einen Mann
bekommen haben. Nun aber hat sie bereits ihre fünf und zwanzig
auf dem Rücken . . .

-- Das merkt man ihr gar nicht an! schaltete Zebedäus ein.

-- Und Keiner denkt dran, sie zu freien -- fuhr die Mei¬
sterin fort, ohne sich stören zu lassen -- denn tie Männer sind ver¬
nünftiger; sie wissen wohl, daß bei all' dem Zeichnen und Malen
und überstudirten Wesen nichts herauskommt, daß davon keine Ehe
glücklich wird. Sie nehmen sich, wenn sie auch noch so vornehm
sind, lieber ein gutgezognes Mädchen, das die Wirthschaft versteht;
solch hochnäsige, untaugliche Fräuleins aber, wie die Athanasia, las¬
sen sie sitzen.

Meister Trappe stand auf, eine gesegnete Mahlzeit wünschend,
Bims folgte ihm, und beide gingen an die Arbeit. Auf den Letzte¬
ren hatten die Worte der Meisterin einen ganz anderen Eindruck
gemacht, als zu erwarten war. Für alles Vornehme, Aetherische,
Romantische trug er eine gewisse angeborne Vorliebe im Herzen.
Das Bild des blassen Mädchens schwebte ihm Tag und Nacht vor
Augen. Er verachtete die prosaischen Jünglinge der Gegenwart,
welche, wie Frau Trappe gesagt hatte, nur aus häusliche Tugenden
sehen und das Höhere nicht zu schätzen wissen. Bims wünschte sich,
ein reicher Graf zu sein, um dann vor die Verlassene hinzutreten, um
ihr zu entdecken, daß er ihre Vorzüge begreife, daß er sie liebe
und als Gattin heimführen wolle. Weil das dermalen indeß noch
nicht anging, so legte unser Parchwitzer sich auf die Schwärmerei;
er mied jetzt die Tabagie und die Kegelbahn, wo ihn der Chirurgus
sammt dem Aktuar sehnsüchtig erwarteten. Statt dessen suchte er
einsame Spaziergänge auf, und wenn der Mond hoch über den
Pappeln stand, wenn der Flieder duftete und die Nachtigall schlug,
dann seufzte Bims aus tiefer Seele: "Athanasia!"




Trappe. Da sitzt die Mamsell Athanasia, und liest Tag ein, Tag
aus unnütze Romanbücher, die ihr den Kopf noch mehr verdrehen.
Darum ist sie auch nur krank und nimmt immerfort Medizin ein.
Hätte sie sich von Jugend auf um die Wirthschaft gekümmert, hätte
den Staub, der fingerdick auf den schönen Meubeln liegt, selber ab¬
gewischt, so würde sie gesund geblieben sein und würde einen Mann
bekommen haben. Nun aber hat sie bereits ihre fünf und zwanzig
auf dem Rücken . . .

— Das merkt man ihr gar nicht an! schaltete Zebedäus ein.

— Und Keiner denkt dran, sie zu freien — fuhr die Mei¬
sterin fort, ohne sich stören zu lassen — denn tie Männer sind ver¬
nünftiger; sie wissen wohl, daß bei all' dem Zeichnen und Malen
und überstudirten Wesen nichts herauskommt, daß davon keine Ehe
glücklich wird. Sie nehmen sich, wenn sie auch noch so vornehm
sind, lieber ein gutgezognes Mädchen, das die Wirthschaft versteht;
solch hochnäsige, untaugliche Fräuleins aber, wie die Athanasia, las¬
sen sie sitzen.

Meister Trappe stand auf, eine gesegnete Mahlzeit wünschend,
Bims folgte ihm, und beide gingen an die Arbeit. Auf den Letzte¬
ren hatten die Worte der Meisterin einen ganz anderen Eindruck
gemacht, als zu erwarten war. Für alles Vornehme, Aetherische,
Romantische trug er eine gewisse angeborne Vorliebe im Herzen.
Das Bild des blassen Mädchens schwebte ihm Tag und Nacht vor
Augen. Er verachtete die prosaischen Jünglinge der Gegenwart,
welche, wie Frau Trappe gesagt hatte, nur aus häusliche Tugenden
sehen und das Höhere nicht zu schätzen wissen. Bims wünschte sich,
ein reicher Graf zu sein, um dann vor die Verlassene hinzutreten, um
ihr zu entdecken, daß er ihre Vorzüge begreife, daß er sie liebe
und als Gattin heimführen wolle. Weil das dermalen indeß noch
nicht anging, so legte unser Parchwitzer sich auf die Schwärmerei;
er mied jetzt die Tabagie und die Kegelbahn, wo ihn der Chirurgus
sammt dem Aktuar sehnsüchtig erwarteten. Statt dessen suchte er
einsame Spaziergänge auf, und wenn der Mond hoch über den
Pappeln stand, wenn der Flieder duftete und die Nachtigall schlug,
dann seufzte Bims aus tiefer Seele: „Athanasia!"




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[0352] Trappe. Da sitzt die Mamsell Athanasia, und liest Tag ein, Tag aus unnütze Romanbücher, die ihr den Kopf noch mehr verdrehen. Darum ist sie auch nur krank und nimmt immerfort Medizin ein. Hätte sie sich von Jugend auf um die Wirthschaft gekümmert, hätte den Staub, der fingerdick auf den schönen Meubeln liegt, selber ab¬ gewischt, so würde sie gesund geblieben sein und würde einen Mann bekommen haben. Nun aber hat sie bereits ihre fünf und zwanzig auf dem Rücken . . . — Das merkt man ihr gar nicht an! schaltete Zebedäus ein. — Und Keiner denkt dran, sie zu freien — fuhr die Mei¬ sterin fort, ohne sich stören zu lassen — denn tie Männer sind ver¬ nünftiger; sie wissen wohl, daß bei all' dem Zeichnen und Malen und überstudirten Wesen nichts herauskommt, daß davon keine Ehe glücklich wird. Sie nehmen sich, wenn sie auch noch so vornehm sind, lieber ein gutgezognes Mädchen, das die Wirthschaft versteht; solch hochnäsige, untaugliche Fräuleins aber, wie die Athanasia, las¬ sen sie sitzen. Meister Trappe stand auf, eine gesegnete Mahlzeit wünschend, Bims folgte ihm, und beide gingen an die Arbeit. Auf den Letzte¬ ren hatten die Worte der Meisterin einen ganz anderen Eindruck gemacht, als zu erwarten war. Für alles Vornehme, Aetherische, Romantische trug er eine gewisse angeborne Vorliebe im Herzen. Das Bild des blassen Mädchens schwebte ihm Tag und Nacht vor Augen. Er verachtete die prosaischen Jünglinge der Gegenwart, welche, wie Frau Trappe gesagt hatte, nur aus häusliche Tugenden sehen und das Höhere nicht zu schätzen wissen. Bims wünschte sich, ein reicher Graf zu sein, um dann vor die Verlassene hinzutreten, um ihr zu entdecken, daß er ihre Vorzüge begreife, daß er sie liebe und als Gattin heimführen wolle. Weil das dermalen indeß noch nicht anging, so legte unser Parchwitzer sich auf die Schwärmerei; er mied jetzt die Tabagie und die Kegelbahn, wo ihn der Chirurgus sammt dem Aktuar sehnsüchtig erwarteten. Statt dessen suchte er einsame Spaziergänge auf, und wenn der Mond hoch über den Pappeln stand, wenn der Flieder duftete und die Nachtigall schlug, dann seufzte Bims aus tiefer Seele: „Athanasia!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/352>, abgerufen am 09.05.2024.