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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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solches zu kaufen -- aber das will ich nicht. Du leimst mich zu
gut, Ludwiga, als daß ich Dir erst sagen müßte, weder Trotz noch
Verschlossenheit hält mich davon zurück. Meine Eltern hatten nie¬
mals dergleichen Bedürfnisse; sie würden vielleicht glauben, die Toch¬
ter wolle sich über ihren Stand erheben, und würden eine Krän¬
kung darin finden... deshalb leiste ich lieber auf die Erfüllung mei¬
nes Wunsches Verzicht. Aber singen thu' ich fast den ganzen Tag,
Gott im Himmel dankend, daß er uns eine helltönende Stimme ge¬
schenkt hat. Sie ist das beste Instrument, und ich beklage die Ar¬
men recht herzlich, denen die Natur diese Gabe versagte."

Zum Schlafen hatte Georgine keine Rast; es trieb sie, das
Vorgefallene ohne Zögern in die Brust der Freundin niederzulegen.
Sie nahm die Feder, und vollendete den angefangenen Brief:

"Vierundzwanzig Stunden später."

"Ich konnte unmöglich Ruhe finden, wenn ich Dir nicht zuvor
gesagt hätte, was ich heute erlebt. Jetzt fühle ich erst klar, daß
Du meine einzig liebe Freundin bist, und wie schmerzlich ich Deine
traute Gegenwart auch vermisse, so gibt es mir doch einen süßen
Trost, Dir brieflich mittheilen zu können, was in mir vorgeht.

Ludwiga, ich bin Braut! -- Mein Verlobter heißt Bims, er
ist aus Schlesien, arbeitet beim Vater, und hat sich die Liebe der
Eltern erworben. Zwar kann mich niemals eine Neigung an ihn
fesseln, doch bin ich überzeugt: Pflichtgefühl und Gewohnheit werden
dafür sorgen, daß ich ihm stets eine brave, ergebne Hausfrau sei.
Nein! konnte ich nicht sagen, denn ich sah, es galt, einen Lieblings-
wunsch der Eltern zu erfüllen. Fehlt dem Manne, der mir bestimmt
worden, auch jener Bildungsgrad, welcher über die Fläche des Ge¬
wöhnlichen erhebt, so soll es mir dennoch nie aus der Erinnerung
schwinden, daß ich ihm freiwillig die Hand gereicht, und daß ich
keine höhere Ansprüche zu machen habe. Die rosigen Traume, auf
deren Blüthenranken sich Andre wiegen dürfen, sind mir verschlossen,
und ich glaube Kraft genug zu besitzen, selbst die Sehnsucht nach
ihnen unterdrücken zu können.

Sei unbesorgt um mich, meine Freundin! Das Jawort, welches
ich gab, wurde nicht ohne Nuhe und Bewußtsein ausgesprochen.
Soll ich mein Leben mit ungeregelten Phantasien erfüllen, mit Wün¬
schen und Hoffnungen, die mir nicht zustehn? Soll ich den Eltern


solches zu kaufen — aber das will ich nicht. Du leimst mich zu
gut, Ludwiga, als daß ich Dir erst sagen müßte, weder Trotz noch
Verschlossenheit hält mich davon zurück. Meine Eltern hatten nie¬
mals dergleichen Bedürfnisse; sie würden vielleicht glauben, die Toch¬
ter wolle sich über ihren Stand erheben, und würden eine Krän¬
kung darin finden... deshalb leiste ich lieber auf die Erfüllung mei¬
nes Wunsches Verzicht. Aber singen thu' ich fast den ganzen Tag,
Gott im Himmel dankend, daß er uns eine helltönende Stimme ge¬
schenkt hat. Sie ist das beste Instrument, und ich beklage die Ar¬
men recht herzlich, denen die Natur diese Gabe versagte."

Zum Schlafen hatte Georgine keine Rast; es trieb sie, das
Vorgefallene ohne Zögern in die Brust der Freundin niederzulegen.
Sie nahm die Feder, und vollendete den angefangenen Brief:

„Vierundzwanzig Stunden später."

„Ich konnte unmöglich Ruhe finden, wenn ich Dir nicht zuvor
gesagt hätte, was ich heute erlebt. Jetzt fühle ich erst klar, daß
Du meine einzig liebe Freundin bist, und wie schmerzlich ich Deine
traute Gegenwart auch vermisse, so gibt es mir doch einen süßen
Trost, Dir brieflich mittheilen zu können, was in mir vorgeht.

Ludwiga, ich bin Braut! — Mein Verlobter heißt Bims, er
ist aus Schlesien, arbeitet beim Vater, und hat sich die Liebe der
Eltern erworben. Zwar kann mich niemals eine Neigung an ihn
fesseln, doch bin ich überzeugt: Pflichtgefühl und Gewohnheit werden
dafür sorgen, daß ich ihm stets eine brave, ergebne Hausfrau sei.
Nein! konnte ich nicht sagen, denn ich sah, es galt, einen Lieblings-
wunsch der Eltern zu erfüllen. Fehlt dem Manne, der mir bestimmt
worden, auch jener Bildungsgrad, welcher über die Fläche des Ge¬
wöhnlichen erhebt, so soll es mir dennoch nie aus der Erinnerung
schwinden, daß ich ihm freiwillig die Hand gereicht, und daß ich
keine höhere Ansprüche zu machen habe. Die rosigen Traume, auf
deren Blüthenranken sich Andre wiegen dürfen, sind mir verschlossen,
und ich glaube Kraft genug zu besitzen, selbst die Sehnsucht nach
ihnen unterdrücken zu können.

Sei unbesorgt um mich, meine Freundin! Das Jawort, welches
ich gab, wurde nicht ohne Nuhe und Bewußtsein ausgesprochen.
Soll ich mein Leben mit ungeregelten Phantasien erfüllen, mit Wün¬
schen und Hoffnungen, die mir nicht zustehn? Soll ich den Eltern


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[0388] solches zu kaufen — aber das will ich nicht. Du leimst mich zu gut, Ludwiga, als daß ich Dir erst sagen müßte, weder Trotz noch Verschlossenheit hält mich davon zurück. Meine Eltern hatten nie¬ mals dergleichen Bedürfnisse; sie würden vielleicht glauben, die Toch¬ ter wolle sich über ihren Stand erheben, und würden eine Krän¬ kung darin finden... deshalb leiste ich lieber auf die Erfüllung mei¬ nes Wunsches Verzicht. Aber singen thu' ich fast den ganzen Tag, Gott im Himmel dankend, daß er uns eine helltönende Stimme ge¬ schenkt hat. Sie ist das beste Instrument, und ich beklage die Ar¬ men recht herzlich, denen die Natur diese Gabe versagte." Zum Schlafen hatte Georgine keine Rast; es trieb sie, das Vorgefallene ohne Zögern in die Brust der Freundin niederzulegen. Sie nahm die Feder, und vollendete den angefangenen Brief: „Vierundzwanzig Stunden später." „Ich konnte unmöglich Ruhe finden, wenn ich Dir nicht zuvor gesagt hätte, was ich heute erlebt. Jetzt fühle ich erst klar, daß Du meine einzig liebe Freundin bist, und wie schmerzlich ich Deine traute Gegenwart auch vermisse, so gibt es mir doch einen süßen Trost, Dir brieflich mittheilen zu können, was in mir vorgeht. Ludwiga, ich bin Braut! — Mein Verlobter heißt Bims, er ist aus Schlesien, arbeitet beim Vater, und hat sich die Liebe der Eltern erworben. Zwar kann mich niemals eine Neigung an ihn fesseln, doch bin ich überzeugt: Pflichtgefühl und Gewohnheit werden dafür sorgen, daß ich ihm stets eine brave, ergebne Hausfrau sei. Nein! konnte ich nicht sagen, denn ich sah, es galt, einen Lieblings- wunsch der Eltern zu erfüllen. Fehlt dem Manne, der mir bestimmt worden, auch jener Bildungsgrad, welcher über die Fläche des Ge¬ wöhnlichen erhebt, so soll es mir dennoch nie aus der Erinnerung schwinden, daß ich ihm freiwillig die Hand gereicht, und daß ich keine höhere Ansprüche zu machen habe. Die rosigen Traume, auf deren Blüthenranken sich Andre wiegen dürfen, sind mir verschlossen, und ich glaube Kraft genug zu besitzen, selbst die Sehnsucht nach ihnen unterdrücken zu können. Sei unbesorgt um mich, meine Freundin! Das Jawort, welches ich gab, wurde nicht ohne Nuhe und Bewußtsein ausgesprochen. Soll ich mein Leben mit ungeregelten Phantasien erfüllen, mit Wün¬ schen und Hoffnungen, die mir nicht zustehn? Soll ich den Eltern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/388>, abgerufen am 09.05.2024.