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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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hat es denn auch redlich gethan, und dem vergnügungssüchtigen Volke
mag die Familie Ziemer in ihrer scheuen Entsagung, recht possier¬
lich vorgekommen sein; solche Exemplare mögen hier wohl einzeln zu
finden sein, aber als Gattung eristiren sie bei uns gar nicht. Dem
hiesigen Publicum erscheinen diese Frömmler wie Zerrbilder in Hogarrhs
Manier, als ergötzliche Phantasiegeburten, welche komisch wirken, denen
man aber keine Lebensfähigkeit zutraut. Das Pfaffenthum ist bei
uns hier in Wien ein ganz anderes, da wird das Fleisch nicht tyran-
nisirt, sondern genießt der vollsten Emanzipation, die Gelüste können
sich behaglich ergehen, und die Willenskraft und Intelligenz gehen
unter in der süßen Knechtschaft der Sinne.

Der arme Tartüffe, laut dem Hofburgtheatcr ein Commissions-
rath, im Original wohl ein Consistorialrath, verbietet Musik und
Tanz; hier denkt man, musicirt und tanzt nur zu, dabei kommt ihr
auf keine andern Ideen, und es ist zu verwundern, daß die Herren
Strauß und Nabel nicht im Solde der Jesuiten stehen, damit sie nicht
unterlassen, die Wiener mit neuen Walzern und neuen Quadrillen
zu versorgen. Das Stück gefiel und wird oft gegeben.

Gutzkow, der hier verweilt und ein fleißiger Besucher des Burg-
theatcrs ist, hat bei der Direction desselben ein neues Drama: "Der
dreizehnte November" eingereicht; ein anderes Lustspiel, das die Zei¬
tungen: "Einst" betitelten, verleugnet Gutzkow. Man kommt ihm
überall freundlich entgegen, aber Freunde im wahren Sinne hat er
hier keine, und darum wird es wohl auch nicht zu einer Festessens-
Demonstration kommen, wie bei Oehlenschlager, List, Thorwaldsen,
Cornelius u. s. w. Alles schätzt in ihm den scharfsinnigen Kopf, den
geistreichen Schriftsteller, den vielseitig anregenden Journalisten, aber
von echter Sympathie ist dabei nichts zu findend) Es ist kein Zwei¬
fel, daß es noch andere Zwecke sind, als die Autopsie des Hoftheaters,
welche ihn nach der österreichischen Hauptstadt geführt; manche wollen
wissen, es handele sich um eine Stelle als Dramaturg beim Burg¬
theater, um welche Saphir bereits zwei Mal angehalten, und welche
ihm trotz hoher Fürsprache stets wegen der entschiedenen Abneigung
des Herrn von Holbein verweigert wurde. Es haben sich in Folge
dieser angedeuteten Verhältnisse ärgerliche Reibungen herausgestellt, die



Ein anderer Brief meldet uns: "Gutzkow findet hier die zuvorkom¬
mendste Aufnahme. Er wird auf eine kurze Zeit nach Ischl reisen und dann
der Aufführung seines "dreizehnten Novembers" beiwohnen. Der Held dieses
neuen Stückes ist ein junger Mann, der von der fixen Idee besessen ist, er
müsse durch Selbstmord sterbe", da diese Todesart in seiner Familie heimisch
"se- Ein Freund, der auf die Erbschaft lauert, umgibt ihn wie eine Art Me¬
phisto und sucht seine trüben Ideen noch mehr zu eraltircn. Der dreizehnte
November ist der verhängnißvolle Tag u. s. w." Wir wolle icht Alles ver¬
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hat es denn auch redlich gethan, und dem vergnügungssüchtigen Volke
mag die Familie Ziemer in ihrer scheuen Entsagung, recht possier¬
lich vorgekommen sein; solche Exemplare mögen hier wohl einzeln zu
finden sein, aber als Gattung eristiren sie bei uns gar nicht. Dem
hiesigen Publicum erscheinen diese Frömmler wie Zerrbilder in Hogarrhs
Manier, als ergötzliche Phantasiegeburten, welche komisch wirken, denen
man aber keine Lebensfähigkeit zutraut. Das Pfaffenthum ist bei
uns hier in Wien ein ganz anderes, da wird das Fleisch nicht tyran-
nisirt, sondern genießt der vollsten Emanzipation, die Gelüste können
sich behaglich ergehen, und die Willenskraft und Intelligenz gehen
unter in der süßen Knechtschaft der Sinne.

Der arme Tartüffe, laut dem Hofburgtheatcr ein Commissions-
rath, im Original wohl ein Consistorialrath, verbietet Musik und
Tanz; hier denkt man, musicirt und tanzt nur zu, dabei kommt ihr
auf keine andern Ideen, und es ist zu verwundern, daß die Herren
Strauß und Nabel nicht im Solde der Jesuiten stehen, damit sie nicht
unterlassen, die Wiener mit neuen Walzern und neuen Quadrillen
zu versorgen. Das Stück gefiel und wird oft gegeben.

Gutzkow, der hier verweilt und ein fleißiger Besucher des Burg-
theatcrs ist, hat bei der Direction desselben ein neues Drama: „Der
dreizehnte November" eingereicht; ein anderes Lustspiel, das die Zei¬
tungen: „Einst" betitelten, verleugnet Gutzkow. Man kommt ihm
überall freundlich entgegen, aber Freunde im wahren Sinne hat er
hier keine, und darum wird es wohl auch nicht zu einer Festessens-
Demonstration kommen, wie bei Oehlenschlager, List, Thorwaldsen,
Cornelius u. s. w. Alles schätzt in ihm den scharfsinnigen Kopf, den
geistreichen Schriftsteller, den vielseitig anregenden Journalisten, aber
von echter Sympathie ist dabei nichts zu findend) Es ist kein Zwei¬
fel, daß es noch andere Zwecke sind, als die Autopsie des Hoftheaters,
welche ihn nach der österreichischen Hauptstadt geführt; manche wollen
wissen, es handele sich um eine Stelle als Dramaturg beim Burg¬
theater, um welche Saphir bereits zwei Mal angehalten, und welche
ihm trotz hoher Fürsprache stets wegen der entschiedenen Abneigung
des Herrn von Holbein verweigert wurde. Es haben sich in Folge
dieser angedeuteten Verhältnisse ärgerliche Reibungen herausgestellt, die



Ein anderer Brief meldet uns: „Gutzkow findet hier die zuvorkom¬
mendste Aufnahme. Er wird auf eine kurze Zeit nach Ischl reisen und dann
der Aufführung seines „dreizehnten Novembers" beiwohnen. Der Held dieses
neuen Stückes ist ein junger Mann, der von der fixen Idee besessen ist, er
müsse durch Selbstmord sterbe», da diese Todesart in seiner Familie heimisch
»se- Ein Freund, der auf die Erbschaft lauert, umgibt ihn wie eine Art Me¬
phisto und sucht seine trüben Ideen noch mehr zu eraltircn. Der dreizehnte
November ist der verhängnißvolle Tag u. s. w." Wir wolle icht Alles ver¬
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[0419] hat es denn auch redlich gethan, und dem vergnügungssüchtigen Volke mag die Familie Ziemer in ihrer scheuen Entsagung, recht possier¬ lich vorgekommen sein; solche Exemplare mögen hier wohl einzeln zu finden sein, aber als Gattung eristiren sie bei uns gar nicht. Dem hiesigen Publicum erscheinen diese Frömmler wie Zerrbilder in Hogarrhs Manier, als ergötzliche Phantasiegeburten, welche komisch wirken, denen man aber keine Lebensfähigkeit zutraut. Das Pfaffenthum ist bei uns hier in Wien ein ganz anderes, da wird das Fleisch nicht tyran- nisirt, sondern genießt der vollsten Emanzipation, die Gelüste können sich behaglich ergehen, und die Willenskraft und Intelligenz gehen unter in der süßen Knechtschaft der Sinne. Der arme Tartüffe, laut dem Hofburgtheatcr ein Commissions- rath, im Original wohl ein Consistorialrath, verbietet Musik und Tanz; hier denkt man, musicirt und tanzt nur zu, dabei kommt ihr auf keine andern Ideen, und es ist zu verwundern, daß die Herren Strauß und Nabel nicht im Solde der Jesuiten stehen, damit sie nicht unterlassen, die Wiener mit neuen Walzern und neuen Quadrillen zu versorgen. Das Stück gefiel und wird oft gegeben. Gutzkow, der hier verweilt und ein fleißiger Besucher des Burg- theatcrs ist, hat bei der Direction desselben ein neues Drama: „Der dreizehnte November" eingereicht; ein anderes Lustspiel, das die Zei¬ tungen: „Einst" betitelten, verleugnet Gutzkow. Man kommt ihm überall freundlich entgegen, aber Freunde im wahren Sinne hat er hier keine, und darum wird es wohl auch nicht zu einer Festessens- Demonstration kommen, wie bei Oehlenschlager, List, Thorwaldsen, Cornelius u. s. w. Alles schätzt in ihm den scharfsinnigen Kopf, den geistreichen Schriftsteller, den vielseitig anregenden Journalisten, aber von echter Sympathie ist dabei nichts zu findend) Es ist kein Zwei¬ fel, daß es noch andere Zwecke sind, als die Autopsie des Hoftheaters, welche ihn nach der österreichischen Hauptstadt geführt; manche wollen wissen, es handele sich um eine Stelle als Dramaturg beim Burg¬ theater, um welche Saphir bereits zwei Mal angehalten, und welche ihm trotz hoher Fürsprache stets wegen der entschiedenen Abneigung des Herrn von Holbein verweigert wurde. Es haben sich in Folge dieser angedeuteten Verhältnisse ärgerliche Reibungen herausgestellt, die Ein anderer Brief meldet uns: „Gutzkow findet hier die zuvorkom¬ mendste Aufnahme. Er wird auf eine kurze Zeit nach Ischl reisen und dann der Aufführung seines „dreizehnten Novembers" beiwohnen. Der Held dieses neuen Stückes ist ein junger Mann, der von der fixen Idee besessen ist, er müsse durch Selbstmord sterbe», da diese Todesart in seiner Familie heimisch »se- Ein Freund, der auf die Erbschaft lauert, umgibt ihn wie eine Art Me¬ phisto und sucht seine trüben Ideen noch mehr zu eraltircn. Der dreizehnte November ist der verhängnißvolle Tag u. s. w." Wir wolle icht Alles ver¬ nn ^ Nedact. rathen. / » » 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/419>, abgerufen am 08.05.2024.