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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Osten die "Civilisation" über die "Barbaren" siegt; und man lacht,
wenn im Westen die "Uebercivilisation" von den "Naturkindern" ge¬
schlagen wird.

-- Den sächsischen Vaterlandsblättern ist in Preußen der Post-
debit entzogen worden. Das ist so viel wie ein indirectes Verbot.
Man schließt daraus, Preußen wolle jetzt doch, wenn auch nur mit¬
telbar, der deutschkatholischen Bewegung Einiges in den Weg legen.
Es ist zwar unmöglich anzunehmen, daß die letzten Aeußerungen Heng-
stenberg's über Norge die innerste Meinung des Cabinets ausdrückten;
allein man weiß keine andere Erklärung für die erwähnte Maßregel, da die
sächsischen Vaterlandsblätter seit geraumerZrit sich fast nur mit den reli¬
giösen Angelegenheiten beschäftigt haben. Aus ähnlichen Gründen ist
ja auch in Baiern der Deutschen Allgemeinen Zeitung die Versendung
durch die Post nicht mehr gestattet. Und eben so hat man in Sach¬
sen der kirchlichen Agitation ein Paar kleine Iügelchen angelegt.

-- Die officiellen Zeitungen in Deutschland sind immer noch ein
Muster von jenem deutschen Patriotismus, den sie so geläufig pre¬
digen, und der in nichts Anderem besteht, als in wahrer innerer Frei¬
heit und Gleichgiltigkeit gegen alle deutschen Interessen. Im alten
Schlendrian fühlen sie sich so würdig, so besonnen, so solid! Wir
wissen ein hier am Orte viel gelesenes Blatt, welches die neuesten
Nachrichten aus Paris und die spätesten aus Deutschland bringt.
Da kann man z. B. in einer und derselben Nummer lesen: Paris,
den 22. März, München, den 16. März, Dresden, den 12. März,
Wien, den 2. März in. Wir wissen nicht, was an dieser Langsam¬
keit, gerade in deutschen Dingen, Schuld ist, das officielle Deutschland
oder seine Blätter. Bezeichnend ist es jedenfalls.

-- Ueber den kleinen deutschen Kammern schwebt ein trauriger
Stern. Die größten Erfolge, die sie in allgemeinern Dingen haben
können, sind -- eine Demonstration; der Ruhm, daß ein Paar De¬
putate vergebens muthig gesprochen haben u. s. w. Auch Das wird
ihnen geschmälert. Die Paar kühnen Redner werden ausgebissen, wie
Jordan, oder sie treten zurück, wie die meisten Mitglieder der würtem-
bergischen Opposition, oder sie sterben ab. Die badische Kammer hat
einen schweren Verlust durch Sander's Tod erlitten. Noch steht ein
kleines Häuflein: Itzstein, Bassermann, Welcker, Mathy.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda. '
Druck von Friedrich Andrä.

Osten die „Civilisation" über die „Barbaren" siegt; und man lacht,
wenn im Westen die „Uebercivilisation" von den „Naturkindern" ge¬
schlagen wird.

— Den sächsischen Vaterlandsblättern ist in Preußen der Post-
debit entzogen worden. Das ist so viel wie ein indirectes Verbot.
Man schließt daraus, Preußen wolle jetzt doch, wenn auch nur mit¬
telbar, der deutschkatholischen Bewegung Einiges in den Weg legen.
Es ist zwar unmöglich anzunehmen, daß die letzten Aeußerungen Heng-
stenberg's über Norge die innerste Meinung des Cabinets ausdrückten;
allein man weiß keine andere Erklärung für die erwähnte Maßregel, da die
sächsischen Vaterlandsblätter seit geraumerZrit sich fast nur mit den reli¬
giösen Angelegenheiten beschäftigt haben. Aus ähnlichen Gründen ist
ja auch in Baiern der Deutschen Allgemeinen Zeitung die Versendung
durch die Post nicht mehr gestattet. Und eben so hat man in Sach¬
sen der kirchlichen Agitation ein Paar kleine Iügelchen angelegt.

— Die officiellen Zeitungen in Deutschland sind immer noch ein
Muster von jenem deutschen Patriotismus, den sie so geläufig pre¬
digen, und der in nichts Anderem besteht, als in wahrer innerer Frei¬
heit und Gleichgiltigkeit gegen alle deutschen Interessen. Im alten
Schlendrian fühlen sie sich so würdig, so besonnen, so solid! Wir
wissen ein hier am Orte viel gelesenes Blatt, welches die neuesten
Nachrichten aus Paris und die spätesten aus Deutschland bringt.
Da kann man z. B. in einer und derselben Nummer lesen: Paris,
den 22. März, München, den 16. März, Dresden, den 12. März,
Wien, den 2. März in. Wir wissen nicht, was an dieser Langsam¬
keit, gerade in deutschen Dingen, Schuld ist, das officielle Deutschland
oder seine Blätter. Bezeichnend ist es jedenfalls.

— Ueber den kleinen deutschen Kammern schwebt ein trauriger
Stern. Die größten Erfolge, die sie in allgemeinern Dingen haben
können, sind — eine Demonstration; der Ruhm, daß ein Paar De¬
putate vergebens muthig gesprochen haben u. s. w. Auch Das wird
ihnen geschmälert. Die Paar kühnen Redner werden ausgebissen, wie
Jordan, oder sie treten zurück, wie die meisten Mitglieder der würtem-
bergischen Opposition, oder sie sterben ab. Die badische Kammer hat
einen schweren Verlust durch Sander's Tod erlitten. Noch steht ein
kleines Häuflein: Itzstein, Bassermann, Welcker, Mathy.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. '
Druck von Friedrich Andrä.
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[0048] Osten die „Civilisation" über die „Barbaren" siegt; und man lacht, wenn im Westen die „Uebercivilisation" von den „Naturkindern" ge¬ schlagen wird. — Den sächsischen Vaterlandsblättern ist in Preußen der Post- debit entzogen worden. Das ist so viel wie ein indirectes Verbot. Man schließt daraus, Preußen wolle jetzt doch, wenn auch nur mit¬ telbar, der deutschkatholischen Bewegung Einiges in den Weg legen. Es ist zwar unmöglich anzunehmen, daß die letzten Aeußerungen Heng- stenberg's über Norge die innerste Meinung des Cabinets ausdrückten; allein man weiß keine andere Erklärung für die erwähnte Maßregel, da die sächsischen Vaterlandsblätter seit geraumerZrit sich fast nur mit den reli¬ giösen Angelegenheiten beschäftigt haben. Aus ähnlichen Gründen ist ja auch in Baiern der Deutschen Allgemeinen Zeitung die Versendung durch die Post nicht mehr gestattet. Und eben so hat man in Sach¬ sen der kirchlichen Agitation ein Paar kleine Iügelchen angelegt. — Die officiellen Zeitungen in Deutschland sind immer noch ein Muster von jenem deutschen Patriotismus, den sie so geläufig pre¬ digen, und der in nichts Anderem besteht, als in wahrer innerer Frei¬ heit und Gleichgiltigkeit gegen alle deutschen Interessen. Im alten Schlendrian fühlen sie sich so würdig, so besonnen, so solid! Wir wissen ein hier am Orte viel gelesenes Blatt, welches die neuesten Nachrichten aus Paris und die spätesten aus Deutschland bringt. Da kann man z. B. in einer und derselben Nummer lesen: Paris, den 22. März, München, den 16. März, Dresden, den 12. März, Wien, den 2. März in. Wir wissen nicht, was an dieser Langsam¬ keit, gerade in deutschen Dingen, Schuld ist, das officielle Deutschland oder seine Blätter. Bezeichnend ist es jedenfalls. — Ueber den kleinen deutschen Kammern schwebt ein trauriger Stern. Die größten Erfolge, die sie in allgemeinern Dingen haben können, sind — eine Demonstration; der Ruhm, daß ein Paar De¬ putate vergebens muthig gesprochen haben u. s. w. Auch Das wird ihnen geschmälert. Die Paar kühnen Redner werden ausgebissen, wie Jordan, oder sie treten zurück, wie die meisten Mitglieder der würtem- bergischen Opposition, oder sie sterben ab. Die badische Kammer hat einen schweren Verlust durch Sander's Tod erlitten. Noch steht ein kleines Häuflein: Itzstein, Bassermann, Welcker, Mathy. Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. ' Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/48>, abgerufen am 09.05.2024.