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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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pathe in Stettin erwartet worden, von dort würden die beiden Rei¬
senden direct nach Hamburg sich begeben haben. Man mußte andere
Gründe aussuchen, und das Widersprechendste kam dabei zum Vor¬
schein. Die letzte Auslegung ist folgende. Itzstein und Hecker,
wird gesagt, hätten auf der Herreise von Leipzig sich sehr scharf und
bitter tadelnd über die neuesten Maßregeln der preußischen Regie¬
rung und sogar gegen hochstehende Personen geäußert. Als De¬
nuncianten werden zwei Männer mit Namen angeführt, die sich
mit Jenen in einem Coupv befanden. Aber selbst eine solche An¬
nahme, die übrigens dem bekannten gesinnungsvollen Ernst der beiden
Abgeordneten gegenüber sehr gewagt scheint, würde eine Ausweisung
ohne vorheriges Verhör gesetzlich nicht rechtfertigen, und wir kommen
so immer auf die erwähnte Eabinets-Ordre zurück, welche eine plötz¬
liche Verweisung solcher Männer, von deren Anwesenheit ahnliche libe¬
rale Demonstrationen möglicher Weise ausgehen könnten, wie einst
von der Welcker's, uneingeschränkt in die Hände des Ministers
des Innern und der Polizei legte. Allein Itzstein und Hecker hatten
auf ihrer ganzen Reise jede Auszeichnung im Voraus abgelehnt, sich
auch hier bereits fast gänzlich unbemerkt aufgehalten, sie sind Männer
von anerkannter Ehrenhaftigkeit, geliebt und gefeiert in Baden, hoch¬
geachtet in ganz Deutschland -- was konnte man befürchten? Wir
stehen vor einem Räthsel der neuesten Politik, an der wir, während
Alles nach Oeffentlichkeit drängt, nur zu oft schon ein Streben in's
heimliche Dunk.l der Mystik wahrnehmen mußten.

Der landwirthschaftliche Verein der Mark Brandenburg versam¬
melte sich dieser Tage hier. Nachdem er eine großartige Thierschau,
eine Ausstellung bewundernswerther Rinder, Schaafe u. s. w., die sogar
von den höchsten Herrschaften besucht wurde, angeordnet hatte, besprach
er sich in mehreren Sitzungen über wichtige ökonomische Fragen. Als
ein erfreulicher Beleg für die wachsende Erkenntniß der Aeitsordcrungm
darf es angesehen werden, daß auch das Wohl der arbeitenden und
dienenden Klassen auf dem Lande, so wie die steigende Jmmoralität
im Kreise der letzteren zur Besprechung kam, daß man über die Mittel
zur Abhilfe sich berieth. Dies Thema war im Programme angezeigt
worden, und es war possirlich genug, wie die Vossische Zeitung einen
beißenden Artikel brachte, der sich tadelnd darüber ausließ, daß man
gerade dies wichtige Thema trotz der Anzeige im Programme unbe¬
achtet gelassen habe, während doch wirklich darüber gesprochen worden
war. Freilich, zu einem Resultate gelangte man nicht, kann man
auch nicht kommen, so lange man der Selbsterkenntniß fern bleibt,
daß die steigende Entsittlichung in den sogenannten unteren Klassen
nichts als eine Wirkung der Entsittlichung in den sogenannten höhe¬
ren ist. Der übertriebene Luxus, der cokette Müßiggang, die Jagd
nach Vergnügungen, das sind neben den staatlichen Uebelständen die


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pathe in Stettin erwartet worden, von dort würden die beiden Rei¬
senden direct nach Hamburg sich begeben haben. Man mußte andere
Gründe aussuchen, und das Widersprechendste kam dabei zum Vor¬
schein. Die letzte Auslegung ist folgende. Itzstein und Hecker,
wird gesagt, hätten auf der Herreise von Leipzig sich sehr scharf und
bitter tadelnd über die neuesten Maßregeln der preußischen Regie¬
rung und sogar gegen hochstehende Personen geäußert. Als De¬
nuncianten werden zwei Männer mit Namen angeführt, die sich
mit Jenen in einem Coupv befanden. Aber selbst eine solche An¬
nahme, die übrigens dem bekannten gesinnungsvollen Ernst der beiden
Abgeordneten gegenüber sehr gewagt scheint, würde eine Ausweisung
ohne vorheriges Verhör gesetzlich nicht rechtfertigen, und wir kommen
so immer auf die erwähnte Eabinets-Ordre zurück, welche eine plötz¬
liche Verweisung solcher Männer, von deren Anwesenheit ahnliche libe¬
rale Demonstrationen möglicher Weise ausgehen könnten, wie einst
von der Welcker's, uneingeschränkt in die Hände des Ministers
des Innern und der Polizei legte. Allein Itzstein und Hecker hatten
auf ihrer ganzen Reise jede Auszeichnung im Voraus abgelehnt, sich
auch hier bereits fast gänzlich unbemerkt aufgehalten, sie sind Männer
von anerkannter Ehrenhaftigkeit, geliebt und gefeiert in Baden, hoch¬
geachtet in ganz Deutschland — was konnte man befürchten? Wir
stehen vor einem Räthsel der neuesten Politik, an der wir, während
Alles nach Oeffentlichkeit drängt, nur zu oft schon ein Streben in's
heimliche Dunk.l der Mystik wahrnehmen mußten.

Der landwirthschaftliche Verein der Mark Brandenburg versam¬
melte sich dieser Tage hier. Nachdem er eine großartige Thierschau,
eine Ausstellung bewundernswerther Rinder, Schaafe u. s. w., die sogar
von den höchsten Herrschaften besucht wurde, angeordnet hatte, besprach
er sich in mehreren Sitzungen über wichtige ökonomische Fragen. Als
ein erfreulicher Beleg für die wachsende Erkenntniß der Aeitsordcrungm
darf es angesehen werden, daß auch das Wohl der arbeitenden und
dienenden Klassen auf dem Lande, so wie die steigende Jmmoralität
im Kreise der letzteren zur Besprechung kam, daß man über die Mittel
zur Abhilfe sich berieth. Dies Thema war im Programme angezeigt
worden, und es war possirlich genug, wie die Vossische Zeitung einen
beißenden Artikel brachte, der sich tadelnd darüber ausließ, daß man
gerade dies wichtige Thema trotz der Anzeige im Programme unbe¬
achtet gelassen habe, während doch wirklich darüber gesprochen worden
war. Freilich, zu einem Resultate gelangte man nicht, kann man
auch nicht kommen, so lange man der Selbsterkenntniß fern bleibt,
daß die steigende Entsittlichung in den sogenannten unteren Klassen
nichts als eine Wirkung der Entsittlichung in den sogenannten höhe¬
ren ist. Der übertriebene Luxus, der cokette Müßiggang, die Jagd
nach Vergnügungen, das sind neben den staatlichen Uebelständen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/509>, abgerufen am 09.05.2024.