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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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nerlied, bald ein jauchzender Dithyrambus, bald ein elegisches Liebes-
lied. Er hieß Adolph Brvta, und starb im September des Jah¬
res 1842 in seinem vierundzwanzigsten Lebensjahre. Sein Leben
war eine schwere Eisenkette, mit Blumen umwunden; ein ewiges
Trübsal, das sich in die Maske des ausgelassensten Humor kleidet;
ein Weinen, das sich in Lachen versteckt.

In einem stillen Dorfe des stillen Mähren ward er geboren
und wuchs er auf, wild im Freien, unter der Pflege einer starken,
aber zärtlichen Mutter und der Natur. -- Später im Qualme der
großen Stadt, mitten im Genusse des Lebens schrieb er an einen
Freund:

Von Ihr, die sich mein Lied erkoren,
Neben' ich nicht Kuß um Kuß darum,
Daß mich ein freies Dorf geboren.
Wo nächtlich alle Fluren stumm,
Als hätt' sich jeder Ton verloren.
In Wald und Höhlen ringsherum;
Im Dorf, im Dorf nur bin ich frei,
Dem Dorf, dem Dorf nur bleib ich treu! --

Von jeher mußten die großen Städte ihre Kraft durch den Zu¬
fluß aus den Provinzen erneuern; man sehe Paris, London, Wien,
Berlin! aller Geist, der diesen Städten ihren Glanz und ihre Macht
gibt, strömt aus den Provinzen, oft aus den unscheinbarsten Dörfern
zusammen. Brvta, der auch ein solcher Ersatzmann geworden wäre,
fühlte das, und sprach es in einem begeisterten Gedichte aus, an
zwei in Dörfern geborene Dichter, seine Freunde. Es hieß: "Die
Dörfer," und ist wie die meisten seiner herrlichen Gedichte verlo¬
ren, denn er sang, wie der Vogel singt, und dachte nicht an ein
prosaisches Sammeln. -- Jedes Gedicht war ein fliegendes Blatt,
das er den Winden gab, die es hierhin und dorthin trugen.

Schon früh lernte er einen großen Schmerz kennen: er verlor
seinen Vater, und als arme, hilflose Waise wanderte der zehnjährige
Knabe, seine Geige unter dem Arme, nach der nächsten Stadt ans
die Schule.

Hier begann sein vielbewegtes, wechselvolles Leben; in kurzer
Zeit hatte er eine Schaar gleich aufgeweckter junger Seelen um
sich versammelt, die er wie ein Feldherr befehligte, bald zur Ausfüh¬
rung kühner Jugendstreiche, bald als Orchester sie benutzend, um


nerlied, bald ein jauchzender Dithyrambus, bald ein elegisches Liebes-
lied. Er hieß Adolph Brvta, und starb im September des Jah¬
res 1842 in seinem vierundzwanzigsten Lebensjahre. Sein Leben
war eine schwere Eisenkette, mit Blumen umwunden; ein ewiges
Trübsal, das sich in die Maske des ausgelassensten Humor kleidet;
ein Weinen, das sich in Lachen versteckt.

In einem stillen Dorfe des stillen Mähren ward er geboren
und wuchs er auf, wild im Freien, unter der Pflege einer starken,
aber zärtlichen Mutter und der Natur. — Später im Qualme der
großen Stadt, mitten im Genusse des Lebens schrieb er an einen
Freund:

Von Ihr, die sich mein Lied erkoren,
Neben' ich nicht Kuß um Kuß darum,
Daß mich ein freies Dorf geboren.
Wo nächtlich alle Fluren stumm,
Als hätt' sich jeder Ton verloren.
In Wald und Höhlen ringsherum;
Im Dorf, im Dorf nur bin ich frei,
Dem Dorf, dem Dorf nur bleib ich treu! —

Von jeher mußten die großen Städte ihre Kraft durch den Zu¬
fluß aus den Provinzen erneuern; man sehe Paris, London, Wien,
Berlin! aller Geist, der diesen Städten ihren Glanz und ihre Macht
gibt, strömt aus den Provinzen, oft aus den unscheinbarsten Dörfern
zusammen. Brvta, der auch ein solcher Ersatzmann geworden wäre,
fühlte das, und sprach es in einem begeisterten Gedichte aus, an
zwei in Dörfern geborene Dichter, seine Freunde. Es hieß: „Die
Dörfer," und ist wie die meisten seiner herrlichen Gedichte verlo¬
ren, denn er sang, wie der Vogel singt, und dachte nicht an ein
prosaisches Sammeln. — Jedes Gedicht war ein fliegendes Blatt,
das er den Winden gab, die es hierhin und dorthin trugen.

Schon früh lernte er einen großen Schmerz kennen: er verlor
seinen Vater, und als arme, hilflose Waise wanderte der zehnjährige
Knabe, seine Geige unter dem Arme, nach der nächsten Stadt ans
die Schule.

Hier begann sein vielbewegtes, wechselvolles Leben; in kurzer
Zeit hatte er eine Schaar gleich aufgeweckter junger Seelen um
sich versammelt, die er wie ein Feldherr befehligte, bald zur Ausfüh¬
rung kühner Jugendstreiche, bald als Orchester sie benutzend, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/528>, abgerufen am 09.05.2024.