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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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sylvanische Gefängnißsystem ist in Nordamerika, wo doch methodistische
Wuth und mechanische Anschauung des Menschen Hand in Hand gehen,
von 23 Staaten der Union, nachdem es eingeführt war, wieder ab¬
geschafft worden. Als Strafe ist die einsame Haft eine Höllenstrafe,
eben so unwürdig unserer Zeit, wie die leibliche Folter; als moralische
Medizin ist sie das verderblichste Gift, das man anwenden kann. Die
Erfahrung hat gelehrt, daß die einsame Hast in vielen Fallen Wahn¬
sinn, in den meisten Fallen Blödsinn, geistige und körperliche Verkrüp-
pelung und fast in allen Fallen ein abscheuliches, den Menschen zum Assen
erniedrigendes Laster hervorbringt. Boz (in den amerikanischen "Notes")
entwirft ein schauerliches Gemälde von diesen Trappistengefängnissen,
deren eines er besuchte und wo er fast in jeder Zelle Creaturen fand,
die entweder noch mit den Schreckbildern ihrer Phantasie kämpften oder
die bereits Verstand, Gehör und Gesichtssinn verloren hatten; es waren
zum Theil jugendliche Verbrecher, die da gebessert werden sollten, und
er war überzeugt, daß sie unschädlich, aber auch untauglich gemacht für
das gesellschaftliche Leben, aus ihrer Zelle hervorgehen würden. Leider
hat man in Deutschland, wo man auf die gesundem Resultate nord-
amerikanischen Lebens so schlecht zu sprechen ist, für diese Ausgeburt
der Freistaaten sich schnell begeistert und auf die voreiligen und ober-
flächlichen Berichte pietistelndcr Gelehrten hin pcnsylvanische Gefäng¬
nisse errichtet. Die Klöster sind abgeschafft" und die Nachtseiten des
Klosterlebens sind eben so zur Fabel geworden, wie ihre Lichtseiten;
dafür macht man die Gefängnisse zu Trappistcnklöstern und rccrutirt
sich die sündhaften Mönche und Nonnen aus den Verbrecherlistcn.
Vielleicht will man der untergehenden Romantik ein wenig auf die
Beine helfen. Die Presse kennt jedoch ihre Pflicht, und in der That
haben die meisten Zeitungen (die Cölnische, die Trierer u. s. w.) ihre
Stimme geg<n das pensylvanische System erhoben. Das Arresthaus
dieser Art in Cöln, mit 170 Zellen, findet am ganzen Rhein kein
günstiges Auge und wird gewiß nur nach dem Aubure'sehen System
(gemeinsame Arbeit bei Tage und Einsamkeit blos bei Nacht) benutzt
werden können. Möchte doch auch in den andern preußischen Provin¬
zen die Opposition gegen den pensylvanischen Wahnsinn sich erheben.
In Baden, wo man ebenfalls auf die Trappistenkerker versessen scheint,
wird hoffentlich der gesunde Sinn der Kammer dagegen Opposition
machen. Tragikomisch aber ist die deutsche Gemüthlichkeit, die in jedem
Käsig dieser pensylvanischen Höllenanstalt eine Turnvorrichtung
angebracht hat! Warum nicht lieber ein Billard? In jeder Zelle be¬
findet sich also ein Arbeitstisch, eine Hängematte, ein Abtritt und eine
Turnvorrichtung. Heilige Einfalt! Ein Beweis, daß die Menschen,
die das gethan, sich unter Turnen und einsamer Haft zwei sehr har¬
monische Amüsements vorstellen und von Beiden gleichviel verstehen
müssen. Es gehört wohl einiger Humor dazu, um, wenn man sich


Grenze'ot-n, t84S. II. 71

sylvanische Gefängnißsystem ist in Nordamerika, wo doch methodistische
Wuth und mechanische Anschauung des Menschen Hand in Hand gehen,
von 23 Staaten der Union, nachdem es eingeführt war, wieder ab¬
geschafft worden. Als Strafe ist die einsame Haft eine Höllenstrafe,
eben so unwürdig unserer Zeit, wie die leibliche Folter; als moralische
Medizin ist sie das verderblichste Gift, das man anwenden kann. Die
Erfahrung hat gelehrt, daß die einsame Hast in vielen Fallen Wahn¬
sinn, in den meisten Fallen Blödsinn, geistige und körperliche Verkrüp-
pelung und fast in allen Fallen ein abscheuliches, den Menschen zum Assen
erniedrigendes Laster hervorbringt. Boz (in den amerikanischen „Notes")
entwirft ein schauerliches Gemälde von diesen Trappistengefängnissen,
deren eines er besuchte und wo er fast in jeder Zelle Creaturen fand,
die entweder noch mit den Schreckbildern ihrer Phantasie kämpften oder
die bereits Verstand, Gehör und Gesichtssinn verloren hatten; es waren
zum Theil jugendliche Verbrecher, die da gebessert werden sollten, und
er war überzeugt, daß sie unschädlich, aber auch untauglich gemacht für
das gesellschaftliche Leben, aus ihrer Zelle hervorgehen würden. Leider
hat man in Deutschland, wo man auf die gesundem Resultate nord-
amerikanischen Lebens so schlecht zu sprechen ist, für diese Ausgeburt
der Freistaaten sich schnell begeistert und auf die voreiligen und ober-
flächlichen Berichte pietistelndcr Gelehrten hin pcnsylvanische Gefäng¬
nisse errichtet. Die Klöster sind abgeschafft" und die Nachtseiten des
Klosterlebens sind eben so zur Fabel geworden, wie ihre Lichtseiten;
dafür macht man die Gefängnisse zu Trappistcnklöstern und rccrutirt
sich die sündhaften Mönche und Nonnen aus den Verbrecherlistcn.
Vielleicht will man der untergehenden Romantik ein wenig auf die
Beine helfen. Die Presse kennt jedoch ihre Pflicht, und in der That
haben die meisten Zeitungen (die Cölnische, die Trierer u. s. w.) ihre
Stimme geg<n das pensylvanische System erhoben. Das Arresthaus
dieser Art in Cöln, mit 170 Zellen, findet am ganzen Rhein kein
günstiges Auge und wird gewiß nur nach dem Aubure'sehen System
(gemeinsame Arbeit bei Tage und Einsamkeit blos bei Nacht) benutzt
werden können. Möchte doch auch in den andern preußischen Provin¬
zen die Opposition gegen den pensylvanischen Wahnsinn sich erheben.
In Baden, wo man ebenfalls auf die Trappistenkerker versessen scheint,
wird hoffentlich der gesunde Sinn der Kammer dagegen Opposition
machen. Tragikomisch aber ist die deutsche Gemüthlichkeit, die in jedem
Käsig dieser pensylvanischen Höllenanstalt eine Turnvorrichtung
angebracht hat! Warum nicht lieber ein Billard? In jeder Zelle be¬
findet sich also ein Arbeitstisch, eine Hängematte, ein Abtritt und eine
Turnvorrichtung. Heilige Einfalt! Ein Beweis, daß die Menschen,
die das gethan, sich unter Turnen und einsamer Haft zwei sehr har¬
monische Amüsements vorstellen und von Beiden gleichviel verstehen
müssen. Es gehört wohl einiger Humor dazu, um, wenn man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/557>, abgerufen am 08.05.2024.