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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Verketzerung der Leute, welche für Geld schreiben, wieder hervorsuchen
zu wollen, um aus diese Weise die neuen Gedanken in persönliche Ein¬
bildungen oder gar willkürliche Erfindungen aus Geldspeculation um¬
zuwandeln. Allein man irrt sich, wenn man glaubt, heutigen Tages
noch die Literatur von der öffentlichen Meinung des Volkes scheiden
zu können: niemals noch, in keiner früheren Zeit des Friedens, gin¬
gen beide so innig Hand in Hand, wie gegenwärtig. Der zum Be¬
wußtsein der eigenen Würde endlich allmälig erwachende Geist des
deutschen Volkes hat die Kinderschuhe der absoluten Abhängigkeit vom
gedruckten Worte ausgetreten und desavouirt aus sich selber das, was
an Unwahrheiten in der Presse auftritt. Aber auch diese hat sich mit
der Regenerirung des Volksgeistes zu höherer Gesinnungstüchtigkeit,
politischer Einsicht und Consrquenz erhoben, und wenn noch hier und
da Unkraut wuchert, so rottet man dasselbe gewiß durch keine Untcr-
drückungsmaaßregeln aus. Nur wenn man die frischen Ströme eines
freien Staatslebens in die Adern des Volkes leitet, nur dann wird
man dem gemeinen Handel mit politischer Meinung und politischer
Farbe Einhalt thun können, nur dann wird man die unvermittelter
Extreme zu positiver Parteiung auf dem Boden einer regen Staats-
unv Volksentwickelung abzuklären vermögen! -->

Dem hier anwesenden Di. juiis Ernst Dronte, der in Folge
einer Erbschaft sich ein Haus kaufen wollte und deshalb das Bürger¬
recht nachsuchte, wurde dies letztere abgeschlagen und ihm bedeutet, er
habe binnen acht Tagen die Stadt zu verlassen. Herr Dronte hat
sich in einer Eingabe über diese Maaßregel beschwert und dagegen ver¬
wahrt. Ob darauf bereits ein neuer Bescheid erfolgte, ist mir noch
nicht bekannt geworden.

Soll ich Ihnen nach so trüben Meldungen noch etwas von der
Kunst berichten? In der That, man verliert unter solchen Verhält¬
nissen fast den Geschmack am Schönen, denn man vermag kaum einen
Augenblick sich ungetrübt dem Genuß zu überlassen. Doch muß ich
die Aufführung der David'schen Symphonie-Ode "Die Wüste" im
Opernhause als ein Kunstereigniß von Bedeutung erwähnen. Fetialen
David hat damit den lebhaftesten Beifall unsrer Musikfreunde und
Musikkenner erobert. Er ist vor Allem aber ein Poet im echtesten
Sinne des Wortes, ein Poet im Elemente der Musik. Ich gehe
nicht näher aus seine Compositionen ein, weil David sich von Berlin
nach Leipzig wandte, und man dort also sehr bald Gelegenheit haben
wird, selbst zu hören und zu urtheilen.

Dagegen darf ich eine Rüge der Anmaßung nicht zurückhalten,
die ein hiesiger Schauspieler, Herr Hendrichs, sich zu Schulden kom¬
men läßt. Er war kurz vor seinem zu Anfang des April angetrete¬
nen Urlaub von einer schweren Krankheit genesen. Trotzdem begab er
sich zum Gastspiel nach Hamburg, obwohl die hiesige Intendanz sich


Verketzerung der Leute, welche für Geld schreiben, wieder hervorsuchen
zu wollen, um aus diese Weise die neuen Gedanken in persönliche Ein¬
bildungen oder gar willkürliche Erfindungen aus Geldspeculation um¬
zuwandeln. Allein man irrt sich, wenn man glaubt, heutigen Tages
noch die Literatur von der öffentlichen Meinung des Volkes scheiden
zu können: niemals noch, in keiner früheren Zeit des Friedens, gin¬
gen beide so innig Hand in Hand, wie gegenwärtig. Der zum Be¬
wußtsein der eigenen Würde endlich allmälig erwachende Geist des
deutschen Volkes hat die Kinderschuhe der absoluten Abhängigkeit vom
gedruckten Worte ausgetreten und desavouirt aus sich selber das, was
an Unwahrheiten in der Presse auftritt. Aber auch diese hat sich mit
der Regenerirung des Volksgeistes zu höherer Gesinnungstüchtigkeit,
politischer Einsicht und Consrquenz erhoben, und wenn noch hier und
da Unkraut wuchert, so rottet man dasselbe gewiß durch keine Untcr-
drückungsmaaßregeln aus. Nur wenn man die frischen Ströme eines
freien Staatslebens in die Adern des Volkes leitet, nur dann wird
man dem gemeinen Handel mit politischer Meinung und politischer
Farbe Einhalt thun können, nur dann wird man die unvermittelter
Extreme zu positiver Parteiung auf dem Boden einer regen Staats-
unv Volksentwickelung abzuklären vermögen! —>

Dem hier anwesenden Di. juiis Ernst Dronte, der in Folge
einer Erbschaft sich ein Haus kaufen wollte und deshalb das Bürger¬
recht nachsuchte, wurde dies letztere abgeschlagen und ihm bedeutet, er
habe binnen acht Tagen die Stadt zu verlassen. Herr Dronte hat
sich in einer Eingabe über diese Maaßregel beschwert und dagegen ver¬
wahrt. Ob darauf bereits ein neuer Bescheid erfolgte, ist mir noch
nicht bekannt geworden.

Soll ich Ihnen nach so trüben Meldungen noch etwas von der
Kunst berichten? In der That, man verliert unter solchen Verhält¬
nissen fast den Geschmack am Schönen, denn man vermag kaum einen
Augenblick sich ungetrübt dem Genuß zu überlassen. Doch muß ich
die Aufführung der David'schen Symphonie-Ode „Die Wüste" im
Opernhause als ein Kunstereigniß von Bedeutung erwähnen. Fetialen
David hat damit den lebhaftesten Beifall unsrer Musikfreunde und
Musikkenner erobert. Er ist vor Allem aber ein Poet im echtesten
Sinne des Wortes, ein Poet im Elemente der Musik. Ich gehe
nicht näher aus seine Compositionen ein, weil David sich von Berlin
nach Leipzig wandte, und man dort also sehr bald Gelegenheit haben
wird, selbst zu hören und zu urtheilen.

Dagegen darf ich eine Rüge der Anmaßung nicht zurückhalten,
die ein hiesiger Schauspieler, Herr Hendrichs, sich zu Schulden kom¬
men läßt. Er war kurz vor seinem zu Anfang des April angetrete¬
nen Urlaub von einer schweren Krankheit genesen. Trotzdem begab er
sich zum Gastspiel nach Hamburg, obwohl die hiesige Intendanz sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/591>, abgerufen am 09.05.2024.