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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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der Adel keine Privilegien mehr hat, der Bürgcrfleiß die aristokrati¬
schen Erbthümer entwurzelt hat, wo an der Spitze der Geschäfte Män¬
ner aus dem Volke stehen, und nun denken Sie sich die Bitterkeit,
den Ingrimm, mit welchem dieser im ganzen Hochmuth mittelalter¬
licher Junkerideen getränkte Raugraf alle diese modernen Zustände
beurtheilen wird, und Sie haben eine Idee von dem Pamphlet des
Herrn Adam Grasen Gurowsky. Doch nein, die Idee wäre unvoll¬
ständig. Denn der erbitterte Gaugraf wäre doch immer noch ein
Deutscher, der an der Blüthe der freien Reichsstädte doch einige Vor¬
bereitung zur Beurtheilung des belgischen Bürgerstaates mitgebracht
hätte. Herr Adam Gurowsky aber reist als Russe (nicht als Pole)
in ein Land, das sein Kaiser haßt und verabscheut. Seine Untertha¬
nenpflicht geht mit seinem aristokratischen Hasse Hand in Hand und
er verabscheut diesen Revolutionsstaat aus Gehorsam, wie aus Her¬
zensdrang. Und warum sollte er es nicht? Zeigt doch seine Schrift
eine so graste, unvcrholcne Ignoranz in Allem, was die alte und
neue Geschichte und Zustände Belgiens betrifft, daß man gleich auf
den ersten Seiten steht: er hat, bevor er diesen Boden betrat, auch
nicht die allereinfachsten Elementarkenntnisse niederländischer Geogra¬
phie und Geschichte mitgebracht. Das Empörendste aber ist der Hohn
und der Haß gegen alles Deutschthum, welches dieser rusflsicirte Pole
uns überall an den Kopf wirst, in unserer eigenen Sprache, mit un¬
seren eigenen Lettern gedruckt, von einem deutschen Verleger obendrein
bezahlt. Die deutsche Presse ist abwechselnd bald Don Quirote,
bald Sancho Pansa. Welchen gutmüthigen Windmühlenkampf haben
die deutschen Journale vor zwei Jahren zu Gunsten eben dieses Gra¬
fen Gurowsky gefochten, als es hieß, er sei aus Nußland geflüchtet.
(Die geheime Ursache dieser Flucht ist bis jetzt noch nicht aufgeklärt.)
Und nun erscheint eine Schrift, in welcher dieser von den Deutschen
so Versochtene uns mit Haß und Verachtung tractirt und die russische
Fahne aufpflanzt. Wir hören von ihm, daß Rußland (und nicht Po¬
len) allein den Beruf habe, den Panslavismus durchzuführen, daß erst
dann der goldene Hahn von Se. Gudulas Thürmen herabkrähen
wird(?), wenn über kurz oder lang endlich der russische Doppeladler
seine Riesensittige schützend schwingen wird über Se. Sophiens Kup¬
peln. Er findet, daß sein Kaiser ein doppeltes Recht habe, den Rus¬
sen das Reisen im Auslande zu verbieten, namentlich "der schädlichen
Abart der Liberalen, welche man hier und da im Auslande trifft, die,
mit oberflächlichem Firniß bedeckt, ... im Angesicht des Auslandes
jeder neuen Idee huldigen" u. s. w. Die Buchhandlung von Carl
Gross in Heidelberg hat dieses i'ire"',- >"">ce!toi, das dem Herrn Grafen
die Rückkehr nach seinem theuern Rußland wieder öffnen soll, auf 21
Bogen gedruckt. Wahrscheinlich dachte dieser Verleger, weniger als
20 Bogen solcher Russenapotheose würden die Censur nicht passiren,


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der Adel keine Privilegien mehr hat, der Bürgcrfleiß die aristokrati¬
schen Erbthümer entwurzelt hat, wo an der Spitze der Geschäfte Män¬
ner aus dem Volke stehen, und nun denken Sie sich die Bitterkeit,
den Ingrimm, mit welchem dieser im ganzen Hochmuth mittelalter¬
licher Junkerideen getränkte Raugraf alle diese modernen Zustände
beurtheilen wird, und Sie haben eine Idee von dem Pamphlet des
Herrn Adam Grasen Gurowsky. Doch nein, die Idee wäre unvoll¬
ständig. Denn der erbitterte Gaugraf wäre doch immer noch ein
Deutscher, der an der Blüthe der freien Reichsstädte doch einige Vor¬
bereitung zur Beurtheilung des belgischen Bürgerstaates mitgebracht
hätte. Herr Adam Gurowsky aber reist als Russe (nicht als Pole)
in ein Land, das sein Kaiser haßt und verabscheut. Seine Untertha¬
nenpflicht geht mit seinem aristokratischen Hasse Hand in Hand und
er verabscheut diesen Revolutionsstaat aus Gehorsam, wie aus Her¬
zensdrang. Und warum sollte er es nicht? Zeigt doch seine Schrift
eine so graste, unvcrholcne Ignoranz in Allem, was die alte und
neue Geschichte und Zustände Belgiens betrifft, daß man gleich auf
den ersten Seiten steht: er hat, bevor er diesen Boden betrat, auch
nicht die allereinfachsten Elementarkenntnisse niederländischer Geogra¬
phie und Geschichte mitgebracht. Das Empörendste aber ist der Hohn
und der Haß gegen alles Deutschthum, welches dieser rusflsicirte Pole
uns überall an den Kopf wirst, in unserer eigenen Sprache, mit un¬
seren eigenen Lettern gedruckt, von einem deutschen Verleger obendrein
bezahlt. Die deutsche Presse ist abwechselnd bald Don Quirote,
bald Sancho Pansa. Welchen gutmüthigen Windmühlenkampf haben
die deutschen Journale vor zwei Jahren zu Gunsten eben dieses Gra¬
fen Gurowsky gefochten, als es hieß, er sei aus Nußland geflüchtet.
(Die geheime Ursache dieser Flucht ist bis jetzt noch nicht aufgeklärt.)
Und nun erscheint eine Schrift, in welcher dieser von den Deutschen
so Versochtene uns mit Haß und Verachtung tractirt und die russische
Fahne aufpflanzt. Wir hören von ihm, daß Rußland (und nicht Po¬
len) allein den Beruf habe, den Panslavismus durchzuführen, daß erst
dann der goldene Hahn von Se. Gudulas Thürmen herabkrähen
wird(?), wenn über kurz oder lang endlich der russische Doppeladler
seine Riesensittige schützend schwingen wird über Se. Sophiens Kup¬
peln. Er findet, daß sein Kaiser ein doppeltes Recht habe, den Rus¬
sen das Reisen im Auslande zu verbieten, namentlich „der schädlichen
Abart der Liberalen, welche man hier und da im Auslande trifft, die,
mit oberflächlichem Firniß bedeckt, ... im Angesicht des Auslandes
jeder neuen Idee huldigen" u. s. w. Die Buchhandlung von Carl
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die Rückkehr nach seinem theuern Rußland wieder öffnen soll, auf 21
Bogen gedruckt. Wahrscheinlich dachte dieser Verleger, weniger als
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/595>, abgerufen am 09.05.2024.