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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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früh Morgens, im Gehölz von Vincennes statt. Die beiden Geg¬
ner feuerten und fielen gleichzeitig; Girardin leicht am Schenkel,
Carrel schwer in der Hüfte verwundet. Carrels erste Frage war
nach dem Befinden seines Gegners. Er wurde nach dem Dorfe
Se. Manto gebracht, wo er im Hause eines alten Cameraden aus
der Militairschule, der ihm jetzt eine neuauflebende Jugenderinne¬
rung war, nach zwei schmerzvollen Tagen in einem, wie man sagt,
merkwürdigen und beredten Delirium hinüberging, den 24. Juli
um 5 Uhr des Morgens, in einem Alter von 36 Jahren.

Dieser frühzeitige Tod ward wie ein öffentliches Unglück be¬
trauert und dle Journale aller Farben vereinigten sich im selben
Ton der Klage. Halb Paris strömte zum Begräbniß nach Se.
Manto, dessen bescheidener Kirchhof ein historisches Relief erhielt
durch Carrel's Grab, welches eine Bronzestatue von der Hand
Davids (aus Angers) ziert. Dieses Denkmal stellt den Journa¬
listen dar, den rechten Arm ausstreckend, das Haupt ein wenig zu¬
rückgeworfen, in jener stolzen rhetorischen Haltung, die er hatte,
als er vor dem Pairshof den Schatten Neys heraufbeschwor.

Man versichert, daß Carrel in seinen letzten Tagen, müde des
unfruchtbaren Kampfes gegen den Lauf der Dinge, daran dachte,
zu den großen historischen Arbeiten zurückzukehren; namentlich trug
er sich mit einer Geschichte Napoleons. Eben so lockte ihn von
einer andern Seite die Tribune, auf der ihm gewiß große Erfolge
vorauszusagen waren. Gewiß ist, daß Carrel nicht nach dem
was er geleistet hat, sondern nach dem was er noch hätte leisten
können, beurtheilt werden muß: sein Leben gleicht jenen classischen
Torsos, jenen halbvollendeten Monumenten, deren fragmentarische
Schönheit nur den Verlust des Ganzen um so bitterer empfin¬
den läßt.

In seinem Privatleben war der berühmte Redacteur des Na¬
tional ein bewunderungswürdiges Muster von Güte und Gro߬
muth. So herb und schneidend er als öffentlicher Charakter auf¬
trat, so sehr er da etwas vom altrömischen Brutus hatte; so viel¬
fach erinnerte er bei sich zu Hause durch Anmuth, Eleganz und
Liebenswürdigkeit an den altfranzösischen Edelmann. Wer ihn vor
I83V sah, damals, da sein Name sich kaum zu verbreiten anfing,
da nur die uneigennützigen unter seinen Freunden sein Talent prie-


früh Morgens, im Gehölz von Vincennes statt. Die beiden Geg¬
ner feuerten und fielen gleichzeitig; Girardin leicht am Schenkel,
Carrel schwer in der Hüfte verwundet. Carrels erste Frage war
nach dem Befinden seines Gegners. Er wurde nach dem Dorfe
Se. Manto gebracht, wo er im Hause eines alten Cameraden aus
der Militairschule, der ihm jetzt eine neuauflebende Jugenderinne¬
rung war, nach zwei schmerzvollen Tagen in einem, wie man sagt,
merkwürdigen und beredten Delirium hinüberging, den 24. Juli
um 5 Uhr des Morgens, in einem Alter von 36 Jahren.

Dieser frühzeitige Tod ward wie ein öffentliches Unglück be¬
trauert und dle Journale aller Farben vereinigten sich im selben
Ton der Klage. Halb Paris strömte zum Begräbniß nach Se.
Manto, dessen bescheidener Kirchhof ein historisches Relief erhielt
durch Carrel's Grab, welches eine Bronzestatue von der Hand
Davids (aus Angers) ziert. Dieses Denkmal stellt den Journa¬
listen dar, den rechten Arm ausstreckend, das Haupt ein wenig zu¬
rückgeworfen, in jener stolzen rhetorischen Haltung, die er hatte,
als er vor dem Pairshof den Schatten Neys heraufbeschwor.

Man versichert, daß Carrel in seinen letzten Tagen, müde des
unfruchtbaren Kampfes gegen den Lauf der Dinge, daran dachte,
zu den großen historischen Arbeiten zurückzukehren; namentlich trug
er sich mit einer Geschichte Napoleons. Eben so lockte ihn von
einer andern Seite die Tribune, auf der ihm gewiß große Erfolge
vorauszusagen waren. Gewiß ist, daß Carrel nicht nach dem
was er geleistet hat, sondern nach dem was er noch hätte leisten
können, beurtheilt werden muß: sein Leben gleicht jenen classischen
Torsos, jenen halbvollendeten Monumenten, deren fragmentarische
Schönheit nur den Verlust des Ganzen um so bitterer empfin¬
den läßt.

In seinem Privatleben war der berühmte Redacteur des Na¬
tional ein bewunderungswürdiges Muster von Güte und Gro߬
muth. So herb und schneidend er als öffentlicher Charakter auf¬
trat, so sehr er da etwas vom altrömischen Brutus hatte; so viel¬
fach erinnerte er bei sich zu Hause durch Anmuth, Eleganz und
Liebenswürdigkeit an den altfranzösischen Edelmann. Wer ihn vor
I83V sah, damals, da sein Name sich kaum zu verbreiten anfing,
da nur die uneigennützigen unter seinen Freunden sein Talent prie-


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[0172] früh Morgens, im Gehölz von Vincennes statt. Die beiden Geg¬ ner feuerten und fielen gleichzeitig; Girardin leicht am Schenkel, Carrel schwer in der Hüfte verwundet. Carrels erste Frage war nach dem Befinden seines Gegners. Er wurde nach dem Dorfe Se. Manto gebracht, wo er im Hause eines alten Cameraden aus der Militairschule, der ihm jetzt eine neuauflebende Jugenderinne¬ rung war, nach zwei schmerzvollen Tagen in einem, wie man sagt, merkwürdigen und beredten Delirium hinüberging, den 24. Juli um 5 Uhr des Morgens, in einem Alter von 36 Jahren. Dieser frühzeitige Tod ward wie ein öffentliches Unglück be¬ trauert und dle Journale aller Farben vereinigten sich im selben Ton der Klage. Halb Paris strömte zum Begräbniß nach Se. Manto, dessen bescheidener Kirchhof ein historisches Relief erhielt durch Carrel's Grab, welches eine Bronzestatue von der Hand Davids (aus Angers) ziert. Dieses Denkmal stellt den Journa¬ listen dar, den rechten Arm ausstreckend, das Haupt ein wenig zu¬ rückgeworfen, in jener stolzen rhetorischen Haltung, die er hatte, als er vor dem Pairshof den Schatten Neys heraufbeschwor. Man versichert, daß Carrel in seinen letzten Tagen, müde des unfruchtbaren Kampfes gegen den Lauf der Dinge, daran dachte, zu den großen historischen Arbeiten zurückzukehren; namentlich trug er sich mit einer Geschichte Napoleons. Eben so lockte ihn von einer andern Seite die Tribune, auf der ihm gewiß große Erfolge vorauszusagen waren. Gewiß ist, daß Carrel nicht nach dem was er geleistet hat, sondern nach dem was er noch hätte leisten können, beurtheilt werden muß: sein Leben gleicht jenen classischen Torsos, jenen halbvollendeten Monumenten, deren fragmentarische Schönheit nur den Verlust des Ganzen um so bitterer empfin¬ den läßt. In seinem Privatleben war der berühmte Redacteur des Na¬ tional ein bewunderungswürdiges Muster von Güte und Gro߬ muth. So herb und schneidend er als öffentlicher Charakter auf¬ trat, so sehr er da etwas vom altrömischen Brutus hatte; so viel¬ fach erinnerte er bei sich zu Hause durch Anmuth, Eleganz und Liebenswürdigkeit an den altfranzösischen Edelmann. Wer ihn vor I83V sah, damals, da sein Name sich kaum zu verbreiten anfing, da nur die uneigennützigen unter seinen Freunden sein Talent prie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/172>, abgerufen am 29.05.2024.