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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Baba. Auch von Moore's "Paradies und die Perl", wie von seiner
"Liebe der Engel" wurden viele schöne Seelen und Geister bei uns
hingerissen. Um jene Zeit kamen die Adrianschen Bvronübersetznn-
gen, die Theodor Hell'schen Verarbeitungen von Scott's erzählen¬
den Gedichten, und die Zwickauer Ausgaben seiner Romane in
Mode. Scott, Byron und Moore waren damals, in den Augen
des deutschen Publicums, drei gleich fremdartige, gleich merkwür¬
dige, gleich große Dichter! Aber wie viel hat sich seitdem geändert!
Byron, dessen Gesänge der erschütternde Wehlaut einer kreisenden
Zeit waren, hat bei uns einen Anstoß gegeben, der die junge Ge¬
neration ins innerste Herz traf, und dessen Nachwirkungen noch nicht
ansgezittert haben. Walter Scott, der im Gegentheil das klare
Bild vergangener Kämpfe und Herrlichkeiten heraufbeschwor, und des¬
sen Romane vielleicht die letzte Form historischer Dichtung in un¬
serer Periode waren, hat die Stürme, die Byron in allen Gemüthern
weckte, nur kurze Zeit aushalten lind beruhigen können. Die Wal¬
ter Scott-Manie erzeugte nur einen Heishunger, der durch eine
ganze Reihe von legitimen und illegitimen Nachfolgern des schotti¬
schen Romankönigs mit Noth gestillt wurde. Die buchhändlerische
Speculation war meistens die Autorität, welche diese Nachfolger
salbte und auf den Modethron setzte; sie aber sah, in ihrem Inte¬
resse, nur auf die Fruchtbarkeit der neuen Prätendenten. Während
daher mancher treffliche englischeMzähler, wie Hood, Monk, Lewis,
Halliburton u. A. in Deutschland kaum bekannt wurden, sahen wir
nicht blos Cooper, Bulwer und Dickens, sondern selbst einen Ains-
worth das deutsche Publicum beherrschen und gleich den englischen
Fabriken, den deutschen Markt mit seinen Waaren überschwemmen.
Längst hatte jedoch, mit der Julyrevolution und dem jungen Deutsch¬
land, der Geschmack eine höhere, wenn auch einseitige Richtung ge¬
nommen, und man schied sich schärfer in Unterhaltungs- und Ten-
zenzpublicum. War nun Thomas Moore von der Menge über
den Fleischtöpfen der Romanliteratur vergessen worden, so trat er
auch bei den Verehrern politischer und skeptischer Poesie ein wenig
in den Hintergrund; denn diese sahen nur zwei große Gestirne aus
England herüberleuchten. Wie man einst Byron und Scott, oder
Byron und Moore immer zusammen genannt hatte, so hieß es und
heißt es noch jetzt immer nur: Byron und Shelley. --


Baba. Auch von Moore's „Paradies und die Perl", wie von seiner
„Liebe der Engel" wurden viele schöne Seelen und Geister bei uns
hingerissen. Um jene Zeit kamen die Adrianschen Bvronübersetznn-
gen, die Theodor Hell'schen Verarbeitungen von Scott's erzählen¬
den Gedichten, und die Zwickauer Ausgaben seiner Romane in
Mode. Scott, Byron und Moore waren damals, in den Augen
des deutschen Publicums, drei gleich fremdartige, gleich merkwür¬
dige, gleich große Dichter! Aber wie viel hat sich seitdem geändert!
Byron, dessen Gesänge der erschütternde Wehlaut einer kreisenden
Zeit waren, hat bei uns einen Anstoß gegeben, der die junge Ge¬
neration ins innerste Herz traf, und dessen Nachwirkungen noch nicht
ansgezittert haben. Walter Scott, der im Gegentheil das klare
Bild vergangener Kämpfe und Herrlichkeiten heraufbeschwor, und des¬
sen Romane vielleicht die letzte Form historischer Dichtung in un¬
serer Periode waren, hat die Stürme, die Byron in allen Gemüthern
weckte, nur kurze Zeit aushalten lind beruhigen können. Die Wal¬
ter Scott-Manie erzeugte nur einen Heishunger, der durch eine
ganze Reihe von legitimen und illegitimen Nachfolgern des schotti¬
schen Romankönigs mit Noth gestillt wurde. Die buchhändlerische
Speculation war meistens die Autorität, welche diese Nachfolger
salbte und auf den Modethron setzte; sie aber sah, in ihrem Inte¬
resse, nur auf die Fruchtbarkeit der neuen Prätendenten. Während
daher mancher treffliche englischeMzähler, wie Hood, Monk, Lewis,
Halliburton u. A. in Deutschland kaum bekannt wurden, sahen wir
nicht blos Cooper, Bulwer und Dickens, sondern selbst einen Ains-
worth das deutsche Publicum beherrschen und gleich den englischen
Fabriken, den deutschen Markt mit seinen Waaren überschwemmen.
Längst hatte jedoch, mit der Julyrevolution und dem jungen Deutsch¬
land, der Geschmack eine höhere, wenn auch einseitige Richtung ge¬
nommen, und man schied sich schärfer in Unterhaltungs- und Ten-
zenzpublicum. War nun Thomas Moore von der Menge über
den Fleischtöpfen der Romanliteratur vergessen worden, so trat er
auch bei den Verehrern politischer und skeptischer Poesie ein wenig
in den Hintergrund; denn diese sahen nur zwei große Gestirne aus
England herüberleuchten. Wie man einst Byron und Scott, oder
Byron und Moore immer zusammen genannt hatte, so hieß es und
heißt es noch jetzt immer nur: Byron und Shelley. —


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[0202] Baba. Auch von Moore's „Paradies und die Perl", wie von seiner „Liebe der Engel" wurden viele schöne Seelen und Geister bei uns hingerissen. Um jene Zeit kamen die Adrianschen Bvronübersetznn- gen, die Theodor Hell'schen Verarbeitungen von Scott's erzählen¬ den Gedichten, und die Zwickauer Ausgaben seiner Romane in Mode. Scott, Byron und Moore waren damals, in den Augen des deutschen Publicums, drei gleich fremdartige, gleich merkwür¬ dige, gleich große Dichter! Aber wie viel hat sich seitdem geändert! Byron, dessen Gesänge der erschütternde Wehlaut einer kreisenden Zeit waren, hat bei uns einen Anstoß gegeben, der die junge Ge¬ neration ins innerste Herz traf, und dessen Nachwirkungen noch nicht ansgezittert haben. Walter Scott, der im Gegentheil das klare Bild vergangener Kämpfe und Herrlichkeiten heraufbeschwor, und des¬ sen Romane vielleicht die letzte Form historischer Dichtung in un¬ serer Periode waren, hat die Stürme, die Byron in allen Gemüthern weckte, nur kurze Zeit aushalten lind beruhigen können. Die Wal¬ ter Scott-Manie erzeugte nur einen Heishunger, der durch eine ganze Reihe von legitimen und illegitimen Nachfolgern des schotti¬ schen Romankönigs mit Noth gestillt wurde. Die buchhändlerische Speculation war meistens die Autorität, welche diese Nachfolger salbte und auf den Modethron setzte; sie aber sah, in ihrem Inte¬ resse, nur auf die Fruchtbarkeit der neuen Prätendenten. Während daher mancher treffliche englischeMzähler, wie Hood, Monk, Lewis, Halliburton u. A. in Deutschland kaum bekannt wurden, sahen wir nicht blos Cooper, Bulwer und Dickens, sondern selbst einen Ains- worth das deutsche Publicum beherrschen und gleich den englischen Fabriken, den deutschen Markt mit seinen Waaren überschwemmen. Längst hatte jedoch, mit der Julyrevolution und dem jungen Deutsch¬ land, der Geschmack eine höhere, wenn auch einseitige Richtung ge¬ nommen, und man schied sich schärfer in Unterhaltungs- und Ten- zenzpublicum. War nun Thomas Moore von der Menge über den Fleischtöpfen der Romanliteratur vergessen worden, so trat er auch bei den Verehrern politischer und skeptischer Poesie ein wenig in den Hintergrund; denn diese sahen nur zwei große Gestirne aus England herüberleuchten. Wie man einst Byron und Scott, oder Byron und Moore immer zusammen genannt hatte, so hieß es und heißt es noch jetzt immer nur: Byron und Shelley. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/202>, abgerufen am 14.05.2024.