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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Gegensatz zu der "metallenen Kutsche" und anderen Vorsichtsmaß-
regeln, deren sich sein königlicher Bruder von England bei", Auf¬
fahren bedienen müsse.

Um dieselbe Zeit sing Thomas Moore an, den Anakreon in
englischen Versen und Reimen zu übersetzen, so glücklich und ori¬
ginell, daß ihm dafür allgemeine Aufmunterung zu Theil ward.
Er folgte hierin gewiß nur einem tiefen Triebe seines Talents, und
in der That ist der Sänger der irischen Melodien auch bei seinen
kühnsten Flügen anakreontisch geblieben, und die unnachahmliche
anakreontischc Grazie, die ihn nirgends verläßr, gehört zu seinen
Hauptvorzügen. Er legte eine Auswahl dieser Uebersetzungen dem
I)> Kearney, einem der Senioren des Kollegiums vor, der sie
sehr belobte, aber meinte, die Universität könne nicht gut die Ue-
bertragung eines so frivolen Poeten, wie Anakreon, durch irgend
eine öffentliche Aufmunterung oder Unterstützung sanctioniren. Ue-
brigens hatte dieser würdige protestantische Prälat ein Exemplar
desselben frivolen Poeten zum Geschenke vom Papst erhalten; näm¬
lich eine Copie des von Spaletti im Vatican gefundenen Manu-
scripts von Anakreons Symposien.

Eben so wichtig, wie für Moore's Entwicklung die Beschäf¬
tigung mit Anakreon war, und vielleicht noch wichtiger, waren
die Erlebnisse, aus denen später die irischen Melodien entstanden,
jene berühmten Lieder, welche, nach des Dichters bescheidenem
Geständniß, unter allen seinen Werkelt allein fortzuleben hoffen
dürften, und zwar nur deshalb, weil die nationale Musik, zu der
sie die Worte gaben, diesen gleichsam als eine köstliche "Einbal-
samirung" diene.

Die irische Musik, das einzige Element, worin die Ueberle-
genheit Irlands über England anerkannt wurde, theilte, während
der Herrschaft des Strafcoder, das Schicksal des unterdrückten
Volkes, und die alten Nationalmelodien, die kaum noch in den
Hütten ihre süße Stimme hören lassen durften, drohten vergessen
und ausgerottet zu werden. Selbst die vagabundirenden Harfner,
welche eine lange Zeit hindurch die alte Musik am Leben erhalten
hatten, waren selten geworden; und das große Musik-Meeting
zu Belfast im I. 1792, wobei noch zwei oder drei jenes populä¬
ren Minstrelgcschlechtö figurirten, war die letzte öffentliche Unseren-


Gegensatz zu der „metallenen Kutsche" und anderen Vorsichtsmaß-
regeln, deren sich sein königlicher Bruder von England bei», Auf¬
fahren bedienen müsse.

Um dieselbe Zeit sing Thomas Moore an, den Anakreon in
englischen Versen und Reimen zu übersetzen, so glücklich und ori¬
ginell, daß ihm dafür allgemeine Aufmunterung zu Theil ward.
Er folgte hierin gewiß nur einem tiefen Triebe seines Talents, und
in der That ist der Sänger der irischen Melodien auch bei seinen
kühnsten Flügen anakreontisch geblieben, und die unnachahmliche
anakreontischc Grazie, die ihn nirgends verläßr, gehört zu seinen
Hauptvorzügen. Er legte eine Auswahl dieser Uebersetzungen dem
I)> Kearney, einem der Senioren des Kollegiums vor, der sie
sehr belobte, aber meinte, die Universität könne nicht gut die Ue-
bertragung eines so frivolen Poeten, wie Anakreon, durch irgend
eine öffentliche Aufmunterung oder Unterstützung sanctioniren. Ue-
brigens hatte dieser würdige protestantische Prälat ein Exemplar
desselben frivolen Poeten zum Geschenke vom Papst erhalten; näm¬
lich eine Copie des von Spaletti im Vatican gefundenen Manu-
scripts von Anakreons Symposien.

Eben so wichtig, wie für Moore's Entwicklung die Beschäf¬
tigung mit Anakreon war, und vielleicht noch wichtiger, waren
die Erlebnisse, aus denen später die irischen Melodien entstanden,
jene berühmten Lieder, welche, nach des Dichters bescheidenem
Geständniß, unter allen seinen Werkelt allein fortzuleben hoffen
dürften, und zwar nur deshalb, weil die nationale Musik, zu der
sie die Worte gaben, diesen gleichsam als eine köstliche „Einbal-
samirung" diene.

Die irische Musik, das einzige Element, worin die Ueberle-
genheit Irlands über England anerkannt wurde, theilte, während
der Herrschaft des Strafcoder, das Schicksal des unterdrückten
Volkes, und die alten Nationalmelodien, die kaum noch in den
Hütten ihre süße Stimme hören lassen durften, drohten vergessen
und ausgerottet zu werden. Selbst die vagabundirenden Harfner,
welche eine lange Zeit hindurch die alte Musik am Leben erhalten
hatten, waren selten geworden; und das große Musik-Meeting
zu Belfast im I. 1792, wobei noch zwei oder drei jenes populä¬
ren Minstrelgcschlechtö figurirten, war die letzte öffentliche Unseren-


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[0206] Gegensatz zu der „metallenen Kutsche" und anderen Vorsichtsmaß- regeln, deren sich sein königlicher Bruder von England bei», Auf¬ fahren bedienen müsse. Um dieselbe Zeit sing Thomas Moore an, den Anakreon in englischen Versen und Reimen zu übersetzen, so glücklich und ori¬ ginell, daß ihm dafür allgemeine Aufmunterung zu Theil ward. Er folgte hierin gewiß nur einem tiefen Triebe seines Talents, und in der That ist der Sänger der irischen Melodien auch bei seinen kühnsten Flügen anakreontisch geblieben, und die unnachahmliche anakreontischc Grazie, die ihn nirgends verläßr, gehört zu seinen Hauptvorzügen. Er legte eine Auswahl dieser Uebersetzungen dem I)> Kearney, einem der Senioren des Kollegiums vor, der sie sehr belobte, aber meinte, die Universität könne nicht gut die Ue- bertragung eines so frivolen Poeten, wie Anakreon, durch irgend eine öffentliche Aufmunterung oder Unterstützung sanctioniren. Ue- brigens hatte dieser würdige protestantische Prälat ein Exemplar desselben frivolen Poeten zum Geschenke vom Papst erhalten; näm¬ lich eine Copie des von Spaletti im Vatican gefundenen Manu- scripts von Anakreons Symposien. Eben so wichtig, wie für Moore's Entwicklung die Beschäf¬ tigung mit Anakreon war, und vielleicht noch wichtiger, waren die Erlebnisse, aus denen später die irischen Melodien entstanden, jene berühmten Lieder, welche, nach des Dichters bescheidenem Geständniß, unter allen seinen Werkelt allein fortzuleben hoffen dürften, und zwar nur deshalb, weil die nationale Musik, zu der sie die Worte gaben, diesen gleichsam als eine köstliche „Einbal- samirung" diene. Die irische Musik, das einzige Element, worin die Ueberle- genheit Irlands über England anerkannt wurde, theilte, während der Herrschaft des Strafcoder, das Schicksal des unterdrückten Volkes, und die alten Nationalmelodien, die kaum noch in den Hütten ihre süße Stimme hören lassen durften, drohten vergessen und ausgerottet zu werden. Selbst die vagabundirenden Harfner, welche eine lange Zeit hindurch die alte Musik am Leben erhalten hatten, waren selten geworden; und das große Musik-Meeting zu Belfast im I. 1792, wobei noch zwei oder drei jenes populä¬ ren Minstrelgcschlechtö figurirten, war die letzte öffentliche Unseren-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/206>, abgerufen am 29.05.2024.