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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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hat sich Gottlob in Madrid noch ein Anflug maurischer Gastfreund¬
schaft erhalten. Nicht nur, daß die Madrider Tauen dir bei der
ersten Begrüßung ohne Umstände das Händchen reichen: sie stellen
dir gleich ihr Haus, ihren Tisch, ihre Freundschaft zur Verfügung;
ihnen brauchst du nicht, wie den Ladies von Albion, dreimal vor¬
gestellt zu sein, ehe sie dich kennen. Und aus der Freundschaft
erwächst sehr oft, mit der Geschwindigkeit des südlichen Pflanzen¬
wuchses, ein innigeres Verhältniß, welches, ohne grade Liebe und
sentimentale Seelenverschmelzung zu sein, Früchte trägt, die der
spanische Katechismus Todsünden nennt, aber süße, leicht abzubü¬
ßende und darum sehr populäre kleine Todsünden.

Der Geist der Reform und Nivellirung hat sich auch in die
weibliche Toilette eingeschlichen; die nationale Basquina verschwin¬
det täglich mehr, die Frauen vom guten Ton bilden sich, zu ihrem
eigenen Schaden, nach den lithographirten Pariser Modenbildern;
und das Schwarz, die castilische Lieblingsfarbe, wird allmälig von
einer Mosaik bunter Farben verdrängt. Nur die Mantille und der
Fächer sind auf dem Thron geblieben. Aber welch ein zauberisches
Scepter, welch ein vielsagender Telegraph ist auch der Fächer zwi¬
schen den weißen Fingern der spanischen Sennora. Er ist ein Dra¬
goman des Herzens, ein Herold der Liebe, ein Beichtvater, ein
Wächter und Warner zu gleicher Zeit. Zwar verstehen sich die
Madriderinnen nicht so ausgezeichnet auf die hieroglyphische Fä-
chcrsprache, wie die Damen von Cadir und Sevilla, aber Stüm¬
perinnen sind sie eben auch nicht darin. Eben so tragen sie, trotz
der Invasion nordischer Spitzenhauben und Federhute, die maleri¬
sche Mantille aus Politik. Die Mantille ist eine Kleidung voll
diplomatischer Schelmereien und eben so unentbehrlich wie der Fä¬
cher. Sie ist bald ein durchsichtiger, bald ein undurchdringlicher
Schleier, ganz nach Belieben; die Taktik ist sehr einfach. Die
Sennora tritt aus der Hausthüre; will sie erkannt sein, so schlägt
sie die Mantille in die Hohe: wo nicht, wirft sie sie in drei Fal¬
ten, und ist maskirt. Es ist wohl nicht nöthig zu bemerken, welche
Vortheile ein solcher Schleier bietet und wie oft er, im Lande der
Abenteuer und Intriguen, ärgerlichen oder blutigen Katastrophen
zuvorkommt. Auch ist zu hoffen, daß die spanischen Damen diese
Liebestracht noch lange nicht ablegen werden, und mehr als Eine


hat sich Gottlob in Madrid noch ein Anflug maurischer Gastfreund¬
schaft erhalten. Nicht nur, daß die Madrider Tauen dir bei der
ersten Begrüßung ohne Umstände das Händchen reichen: sie stellen
dir gleich ihr Haus, ihren Tisch, ihre Freundschaft zur Verfügung;
ihnen brauchst du nicht, wie den Ladies von Albion, dreimal vor¬
gestellt zu sein, ehe sie dich kennen. Und aus der Freundschaft
erwächst sehr oft, mit der Geschwindigkeit des südlichen Pflanzen¬
wuchses, ein innigeres Verhältniß, welches, ohne grade Liebe und
sentimentale Seelenverschmelzung zu sein, Früchte trägt, die der
spanische Katechismus Todsünden nennt, aber süße, leicht abzubü¬
ßende und darum sehr populäre kleine Todsünden.

Der Geist der Reform und Nivellirung hat sich auch in die
weibliche Toilette eingeschlichen; die nationale Basquina verschwin¬
det täglich mehr, die Frauen vom guten Ton bilden sich, zu ihrem
eigenen Schaden, nach den lithographirten Pariser Modenbildern;
und das Schwarz, die castilische Lieblingsfarbe, wird allmälig von
einer Mosaik bunter Farben verdrängt. Nur die Mantille und der
Fächer sind auf dem Thron geblieben. Aber welch ein zauberisches
Scepter, welch ein vielsagender Telegraph ist auch der Fächer zwi¬
schen den weißen Fingern der spanischen Sennora. Er ist ein Dra¬
goman des Herzens, ein Herold der Liebe, ein Beichtvater, ein
Wächter und Warner zu gleicher Zeit. Zwar verstehen sich die
Madriderinnen nicht so ausgezeichnet auf die hieroglyphische Fä-
chcrsprache, wie die Damen von Cadir und Sevilla, aber Stüm¬
perinnen sind sie eben auch nicht darin. Eben so tragen sie, trotz
der Invasion nordischer Spitzenhauben und Federhute, die maleri¬
sche Mantille aus Politik. Die Mantille ist eine Kleidung voll
diplomatischer Schelmereien und eben so unentbehrlich wie der Fä¬
cher. Sie ist bald ein durchsichtiger, bald ein undurchdringlicher
Schleier, ganz nach Belieben; die Taktik ist sehr einfach. Die
Sennora tritt aus der Hausthüre; will sie erkannt sein, so schlägt
sie die Mantille in die Hohe: wo nicht, wirft sie sie in drei Fal¬
ten, und ist maskirt. Es ist wohl nicht nöthig zu bemerken, welche
Vortheile ein solcher Schleier bietet und wie oft er, im Lande der
Abenteuer und Intriguen, ärgerlichen oder blutigen Katastrophen
zuvorkommt. Auch ist zu hoffen, daß die spanischen Damen diese
Liebestracht noch lange nicht ablegen werden, und mehr als Eine


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[0233] hat sich Gottlob in Madrid noch ein Anflug maurischer Gastfreund¬ schaft erhalten. Nicht nur, daß die Madrider Tauen dir bei der ersten Begrüßung ohne Umstände das Händchen reichen: sie stellen dir gleich ihr Haus, ihren Tisch, ihre Freundschaft zur Verfügung; ihnen brauchst du nicht, wie den Ladies von Albion, dreimal vor¬ gestellt zu sein, ehe sie dich kennen. Und aus der Freundschaft erwächst sehr oft, mit der Geschwindigkeit des südlichen Pflanzen¬ wuchses, ein innigeres Verhältniß, welches, ohne grade Liebe und sentimentale Seelenverschmelzung zu sein, Früchte trägt, die der spanische Katechismus Todsünden nennt, aber süße, leicht abzubü¬ ßende und darum sehr populäre kleine Todsünden. Der Geist der Reform und Nivellirung hat sich auch in die weibliche Toilette eingeschlichen; die nationale Basquina verschwin¬ det täglich mehr, die Frauen vom guten Ton bilden sich, zu ihrem eigenen Schaden, nach den lithographirten Pariser Modenbildern; und das Schwarz, die castilische Lieblingsfarbe, wird allmälig von einer Mosaik bunter Farben verdrängt. Nur die Mantille und der Fächer sind auf dem Thron geblieben. Aber welch ein zauberisches Scepter, welch ein vielsagender Telegraph ist auch der Fächer zwi¬ schen den weißen Fingern der spanischen Sennora. Er ist ein Dra¬ goman des Herzens, ein Herold der Liebe, ein Beichtvater, ein Wächter und Warner zu gleicher Zeit. Zwar verstehen sich die Madriderinnen nicht so ausgezeichnet auf die hieroglyphische Fä- chcrsprache, wie die Damen von Cadir und Sevilla, aber Stüm¬ perinnen sind sie eben auch nicht darin. Eben so tragen sie, trotz der Invasion nordischer Spitzenhauben und Federhute, die maleri¬ sche Mantille aus Politik. Die Mantille ist eine Kleidung voll diplomatischer Schelmereien und eben so unentbehrlich wie der Fä¬ cher. Sie ist bald ein durchsichtiger, bald ein undurchdringlicher Schleier, ganz nach Belieben; die Taktik ist sehr einfach. Die Sennora tritt aus der Hausthüre; will sie erkannt sein, so schlägt sie die Mantille in die Hohe: wo nicht, wirft sie sie in drei Fal¬ ten, und ist maskirt. Es ist wohl nicht nöthig zu bemerken, welche Vortheile ein solcher Schleier bietet und wie oft er, im Lande der Abenteuer und Intriguen, ärgerlichen oder blutigen Katastrophen zuvorkommt. Auch ist zu hoffen, daß die spanischen Damen diese Liebestracht noch lange nicht ablegen werden, und mehr als Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/233>, abgerufen am 29.05.2024.