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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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land nicht, die Noth und den Hunger des Landvolkes zu benutzen;
für den Bissen Brod, für den Kopeken Almosen, den der Pope dem
esthnischen, kurischen und lettischen Bauer vorhält, lockt und scha¬
chert und wuchert er den Verzweifelnden ihr Lutherthum ab, bis
zuletzt die deutschen Adelöfamtlien von einem ganz griechisch-rus¬
sischen Volk umgeben, abgerissen und vereinzelt allmälig der
"Landeskirche" zu folgen gezwungen sein werden. Gemischte Ehen
mit den ins deutsche Land gepflanzten Nüssen und Anstellungen
die den Deutschen nur im Innern gegeben werden, thun ohnedies
schon jetzt das ihrige.

Wenn diese Taktik gegen die Ostseeprovinzen noch eine zahme
und geduldige zu nennen ist, was soll man von dem Vernichtungs¬
krieg gegen das wehrlose Polen sagen? Weder in Böhmen noch
in Irland ist im 17. Jahrhundert so unbarmherzig gewüthet wor¬
den, als man jenes katholisch und dieses protestantisch machen
wollte. Die russische Politik in Polen läßt sich nicht einmal mit
dem Zorn über den letzten Auserstehungsversuch des unglücklichen
Volkes entschuldigen, denn es sind vierzehn Jahre verflossen, seit
jene Flamme erstickt ward; und gerade je ohnmächtiger nun Polen
wurde, je tiefer es mit gebundenen Händen in den Moorboden der
langsamen Vernichtung einsank, desto muthiger fing das gewaltige
Rußland an, ihm auf das Haupt zu treten. Erst wandte sich sein
Grimm nur gegen die nationalen Erinnerungen, gegen die politi¬
schen Träume; Weiber, Jünglinge, ja Schulknaben, die polnische
Geschichte lasen, wurden wie Hochverräther, mit dem Holzblock am
Fuße, nach Sibirien geschleppt, und die absoluten Nachbarstaaten
sahen darin blos Strenge gegen subversive Tendenzen. Aber als
Polen kein Angedenken mehr aus bessern Zeiten geblieben war,
außer seinem Katholicismus, da fing es an, auch diesen wie einen
Verschwörer zu verfolgen. Nach Deutschland dringt höchstens das
Geschrei über die brillanten Gräuelscenen, über Nonnen, die man
mit Kunden bekehrt, über greise Pfarrer, die man ins Elend jagt
oder am Kaukasus beichten läßt: aber das ganze Gewebe des
planvollen Netzes, unter welchem Polen erstickt wird, die gewaltsa¬
men Transportationen in Masse, die künstlich geschaffenen Wü¬
sten, die man mit russischen Ansiedlern belebt, die Ueberladung des
Landes mit griechischen Kirchen, für die der Kosak die Kunden zu


GrenMi", I. Z

land nicht, die Noth und den Hunger des Landvolkes zu benutzen;
für den Bissen Brod, für den Kopeken Almosen, den der Pope dem
esthnischen, kurischen und lettischen Bauer vorhält, lockt und scha¬
chert und wuchert er den Verzweifelnden ihr Lutherthum ab, bis
zuletzt die deutschen Adelöfamtlien von einem ganz griechisch-rus¬
sischen Volk umgeben, abgerissen und vereinzelt allmälig der
„Landeskirche" zu folgen gezwungen sein werden. Gemischte Ehen
mit den ins deutsche Land gepflanzten Nüssen und Anstellungen
die den Deutschen nur im Innern gegeben werden, thun ohnedies
schon jetzt das ihrige.

Wenn diese Taktik gegen die Ostseeprovinzen noch eine zahme
und geduldige zu nennen ist, was soll man von dem Vernichtungs¬
krieg gegen das wehrlose Polen sagen? Weder in Böhmen noch
in Irland ist im 17. Jahrhundert so unbarmherzig gewüthet wor¬
den, als man jenes katholisch und dieses protestantisch machen
wollte. Die russische Politik in Polen läßt sich nicht einmal mit
dem Zorn über den letzten Auserstehungsversuch des unglücklichen
Volkes entschuldigen, denn es sind vierzehn Jahre verflossen, seit
jene Flamme erstickt ward; und gerade je ohnmächtiger nun Polen
wurde, je tiefer es mit gebundenen Händen in den Moorboden der
langsamen Vernichtung einsank, desto muthiger fing das gewaltige
Rußland an, ihm auf das Haupt zu treten. Erst wandte sich sein
Grimm nur gegen die nationalen Erinnerungen, gegen die politi¬
schen Träume; Weiber, Jünglinge, ja Schulknaben, die polnische
Geschichte lasen, wurden wie Hochverräther, mit dem Holzblock am
Fuße, nach Sibirien geschleppt, und die absoluten Nachbarstaaten
sahen darin blos Strenge gegen subversive Tendenzen. Aber als
Polen kein Angedenken mehr aus bessern Zeiten geblieben war,
außer seinem Katholicismus, da fing es an, auch diesen wie einen
Verschwörer zu verfolgen. Nach Deutschland dringt höchstens das
Geschrei über die brillanten Gräuelscenen, über Nonnen, die man
mit Kunden bekehrt, über greise Pfarrer, die man ins Elend jagt
oder am Kaukasus beichten läßt: aber das ganze Gewebe des
planvollen Netzes, unter welchem Polen erstickt wird, die gewaltsa¬
men Transportationen in Masse, die künstlich geschaffenen Wü¬
sten, die man mit russischen Ansiedlern belebt, die Ueberladung des
Landes mit griechischen Kirchen, für die der Kosak die Kunden zu


GrenMi», I. Z
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/25>, abgerufen am 15.05.2024.