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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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sich mancher Staatsmann Nichts träumen laßt, obgleich man daraus
die schönsten politischen Märchen componiren könnte. Genug, sie
sprachen von ihren Steuern und Abgaben, von ihren Vertretern beim
Landtag, kurz von tausend Angelegenheiten, welche sie nichts angin¬
gen. Wenn die Censur ein Journal beim Schreiben nicht genug im
Zaum halten kann, so wird das Journal verboten; da man aber
auf das Reden nicht einmal eine Censur hat, so müssen andere
Präventivmaßregeln ergriffen werden. Eines Abends also macht sich
die Polizei auf und intervenirt in jenem Wirthshäuschen; es waren
grade nur It oder 12 Personen an dem verdächtigen Tische beisam¬
men, aber die hochweise Polizei durchschaute die List, die darin lag,
daß sie stets in so geringer Anzahl zusammenkamen; sie wollten näm¬
lich das Gesetz umgehen, indem sie sich genau an den Buchstaben
desselben hielten. Die Polizei also rief: Im Namen des Bundes¬
tags! Ihr seid eine Volksversammlung! Jedermann gehe ausein¬
ander! -- Und sie gingen auseinander. Der Rhein. Beob. ist ent¬
zückt über diese Maßregel, da er seine väterliche Besorgniß nicht ver¬
hehlen mag, die guten Landeskinder möchten über solchen Abendplau¬
dereien ihr Gewerbe vernachlässigen und sich ruiniren. Der gute
Professor Berche! Man dankt es ihm nicht einmal, daß er sich
dazu hergicbt, das Kindermädchen des großen Vengels von deutschem
Volk zu machen. Indeß der wahre Patriotismus rechnet auf keinen
Dank. Noch nicht beruhigt durch jene Polizeimaßregel, hofft er,
die Behörden würden das Ihrige thun. Vi"1e"t I^oüceiil, <u>ick
i'öSsiublic.t "letrimvnti ni^int! -- Leider müssen wir auch das
Unsrige thun, und auf die Gefahr hin, daß man uns für Denun¬
cianten hält, offenherzig erklären, daß dergleichen Volksversammlun¬
gen, wie die in Trier, in ganz Deutschland nicht zu den Selten¬
heiten gehören. Ueberall, am Rhein wie in Schwaben, in Altpreu¬
ßen wie in Sachsen, giebt es solche verderbliche Wirthshäuser. Wir
erinnern uns, daß bei Noack in Leipzig sehr oft zwanzig, ja ein-
vis zweiundzwanzig Personen an einem einzigen großen Tische
zusammensaßen, lauter tägliche und regelmäßige Stammgäste, die
mitunter am hellen lichten Tage, Nichts als Politik sprachen. Wäre
es nicht an der Zeit, für die Größe der Wirthshaustische ein bestimm¬
tes polizeiliches Maaß festzustellen und vor Allem das Ausammenrücken
mehrerer kleinen Tischchen ohne obrigkeitliche Erlaubniß zu verbieten?
Gewiß. -- Wenn wir uns indessen das Gesetz und die Art seiner An¬
wendung recht überlegen, so scheint uns darin blos eine Demonstra¬
tion gegen das Ausland zu liegen. Man will Denen ein der Seine
und an der Themse zeigen, was wir für gewaltige und furchtbare Kerle
sind. Wenn sich in England zwanzigtausend Menschen auf freiem
Felde versammeln und politische Reden halten, so ist das noch gar
Nichts; da kräht kein Hahn darnach, da kümmert sich keine Maus


sich mancher Staatsmann Nichts träumen laßt, obgleich man daraus
die schönsten politischen Märchen componiren könnte. Genug, sie
sprachen von ihren Steuern und Abgaben, von ihren Vertretern beim
Landtag, kurz von tausend Angelegenheiten, welche sie nichts angin¬
gen. Wenn die Censur ein Journal beim Schreiben nicht genug im
Zaum halten kann, so wird das Journal verboten; da man aber
auf das Reden nicht einmal eine Censur hat, so müssen andere
Präventivmaßregeln ergriffen werden. Eines Abends also macht sich
die Polizei auf und intervenirt in jenem Wirthshäuschen; es waren
grade nur It oder 12 Personen an dem verdächtigen Tische beisam¬
men, aber die hochweise Polizei durchschaute die List, die darin lag,
daß sie stets in so geringer Anzahl zusammenkamen; sie wollten näm¬
lich das Gesetz umgehen, indem sie sich genau an den Buchstaben
desselben hielten. Die Polizei also rief: Im Namen des Bundes¬
tags! Ihr seid eine Volksversammlung! Jedermann gehe ausein¬
ander! — Und sie gingen auseinander. Der Rhein. Beob. ist ent¬
zückt über diese Maßregel, da er seine väterliche Besorgniß nicht ver¬
hehlen mag, die guten Landeskinder möchten über solchen Abendplau¬
dereien ihr Gewerbe vernachlässigen und sich ruiniren. Der gute
Professor Berche! Man dankt es ihm nicht einmal, daß er sich
dazu hergicbt, das Kindermädchen des großen Vengels von deutschem
Volk zu machen. Indeß der wahre Patriotismus rechnet auf keinen
Dank. Noch nicht beruhigt durch jene Polizeimaßregel, hofft er,
die Behörden würden das Ihrige thun. Vi«1e»t I^oüceiil, <u>ick
i'öSsiublic.t «letrimvnti ni^int! — Leider müssen wir auch das
Unsrige thun, und auf die Gefahr hin, daß man uns für Denun¬
cianten hält, offenherzig erklären, daß dergleichen Volksversammlun¬
gen, wie die in Trier, in ganz Deutschland nicht zu den Selten¬
heiten gehören. Ueberall, am Rhein wie in Schwaben, in Altpreu¬
ßen wie in Sachsen, giebt es solche verderbliche Wirthshäuser. Wir
erinnern uns, daß bei Noack in Leipzig sehr oft zwanzig, ja ein-
vis zweiundzwanzig Personen an einem einzigen großen Tische
zusammensaßen, lauter tägliche und regelmäßige Stammgäste, die
mitunter am hellen lichten Tage, Nichts als Politik sprachen. Wäre
es nicht an der Zeit, für die Größe der Wirthshaustische ein bestimm¬
tes polizeiliches Maaß festzustellen und vor Allem das Ausammenrücken
mehrerer kleinen Tischchen ohne obrigkeitliche Erlaubniß zu verbieten?
Gewiß. — Wenn wir uns indessen das Gesetz und die Art seiner An¬
wendung recht überlegen, so scheint uns darin blos eine Demonstra¬
tion gegen das Ausland zu liegen. Man will Denen ein der Seine
und an der Themse zeigen, was wir für gewaltige und furchtbare Kerle
sind. Wenn sich in England zwanzigtausend Menschen auf freiem
Felde versammeln und politische Reden halten, so ist das noch gar
Nichts; da kräht kein Hahn darnach, da kümmert sich keine Maus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/255>, abgerufen am 15.05.2024.