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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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so fühlbar wie bei der jetzt eben vorübergegangenen Ministerkrise
herausstellt, sogleich aufs angelegentlichste beschäftigt, Theorien der
neuen Verhältnisse auszubilden; die Theorien, für welche sich die
verschiedenen Parteien entscheiden, werden sie dann mit aller An¬
strengung, mit der größten Beharrlichkeit und mit allen erdenklichen
Mitteln durchzusetzen, ins Leben einzuführen suchen. Die Fran¬
zosen sind dagegen ein idealistisches Volk; nicht Theorien bilden sie
aus, sondern Ideale, die sie, sobald sie sich mit denselben er¬
füllt haben, mit Begeisterung, mit Gewalt, mit Ungestüm ver¬
wirklichen. Frankreich ist daher das Land der Baurisse für eine
neue Gesellschaftsordnung, jener Menge von platonischen Republi¬
ken des Socialismus, die wir nach einander entstehen sahen. Wie
die Ideen des Rousseauschen Lauer.U foci-it in Saft und Blut des
Volkes übergingen und eine Revolution im Staatskörper erzeugten,
welche die mörderische Bürgertugend auf den Thron hob, um nach
langen und furchtbaren Krämpfen zuletzt, nachdem alle Schranken
der alten Zeit niedergestürzt, freies Feld für den Triumphzug des
Geldsacks zu machen, so werden nun vielleicht die Fouriersche"
Ideen in Blut und Saft des Volkes übergehen, und was dann
geschehen wird -- wer weiß es?

Und in Deutschland? -- Nun in Deutschland haben wir von
dem Allen die Religion, -- heiße sie nun Religion im engeren
Sinne, oder heiße sie Philosophie, oder Poesie. Als die Religion
im eigentlichen Sinne an der Zeit war, als das Christenthum
wirklich die Welt beherrschte, als die Menschen insgemein danach
rangen, Geist zu sein, und Fleisch und Blut zu tödten -- da
war Deutschland oben an, da war Deutschland das Land der
That, da war Deutschland "die Welt", das sichtbare Gottesreich,
das Land, dem die Macht des weltlichen Schwerts gegeben war,
da brachte Deutschland endlich aus seinem Schooße seine Refor¬
mation hervor, und richtete die Weltanschauung und den Welt¬
zustand, dessen vornehmster Träger es gewesen war, zu Grunde.
Deutschland gebar das Kind der neuen Zeit, und säugte es mit
seine? Milch; aber die andern Völker rissen es bald vom Mutter¬
busen, und in ihren Händen wuchs es zum wilden Jungen auf,
und durchtobte seine Pflegeljah'rc. Erst als es in das tiefsinnige
Jünglingsalter trat, besann sich Deutschland wieder auf sein Kind


so fühlbar wie bei der jetzt eben vorübergegangenen Ministerkrise
herausstellt, sogleich aufs angelegentlichste beschäftigt, Theorien der
neuen Verhältnisse auszubilden; die Theorien, für welche sich die
verschiedenen Parteien entscheiden, werden sie dann mit aller An¬
strengung, mit der größten Beharrlichkeit und mit allen erdenklichen
Mitteln durchzusetzen, ins Leben einzuführen suchen. Die Fran¬
zosen sind dagegen ein idealistisches Volk; nicht Theorien bilden sie
aus, sondern Ideale, die sie, sobald sie sich mit denselben er¬
füllt haben, mit Begeisterung, mit Gewalt, mit Ungestüm ver¬
wirklichen. Frankreich ist daher das Land der Baurisse für eine
neue Gesellschaftsordnung, jener Menge von platonischen Republi¬
ken des Socialismus, die wir nach einander entstehen sahen. Wie
die Ideen des Rousseauschen Lauer.U foci-it in Saft und Blut des
Volkes übergingen und eine Revolution im Staatskörper erzeugten,
welche die mörderische Bürgertugend auf den Thron hob, um nach
langen und furchtbaren Krämpfen zuletzt, nachdem alle Schranken
der alten Zeit niedergestürzt, freies Feld für den Triumphzug des
Geldsacks zu machen, so werden nun vielleicht die Fouriersche»
Ideen in Blut und Saft des Volkes übergehen, und was dann
geschehen wird — wer weiß es?

Und in Deutschland? — Nun in Deutschland haben wir von
dem Allen die Religion, — heiße sie nun Religion im engeren
Sinne, oder heiße sie Philosophie, oder Poesie. Als die Religion
im eigentlichen Sinne an der Zeit war, als das Christenthum
wirklich die Welt beherrschte, als die Menschen insgemein danach
rangen, Geist zu sein, und Fleisch und Blut zu tödten — da
war Deutschland oben an, da war Deutschland das Land der
That, da war Deutschland „die Welt", das sichtbare Gottesreich,
das Land, dem die Macht des weltlichen Schwerts gegeben war,
da brachte Deutschland endlich aus seinem Schooße seine Refor¬
mation hervor, und richtete die Weltanschauung und den Welt¬
zustand, dessen vornehmster Träger es gewesen war, zu Grunde.
Deutschland gebar das Kind der neuen Zeit, und säugte es mit
seine? Milch; aber die andern Völker rissen es bald vom Mutter¬
busen, und in ihren Händen wuchs es zum wilden Jungen auf,
und durchtobte seine Pflegeljah'rc. Erst als es in das tiefsinnige
Jünglingsalter trat, besann sich Deutschland wieder auf sein Kind


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[0261] so fühlbar wie bei der jetzt eben vorübergegangenen Ministerkrise herausstellt, sogleich aufs angelegentlichste beschäftigt, Theorien der neuen Verhältnisse auszubilden; die Theorien, für welche sich die verschiedenen Parteien entscheiden, werden sie dann mit aller An¬ strengung, mit der größten Beharrlichkeit und mit allen erdenklichen Mitteln durchzusetzen, ins Leben einzuführen suchen. Die Fran¬ zosen sind dagegen ein idealistisches Volk; nicht Theorien bilden sie aus, sondern Ideale, die sie, sobald sie sich mit denselben er¬ füllt haben, mit Begeisterung, mit Gewalt, mit Ungestüm ver¬ wirklichen. Frankreich ist daher das Land der Baurisse für eine neue Gesellschaftsordnung, jener Menge von platonischen Republi¬ ken des Socialismus, die wir nach einander entstehen sahen. Wie die Ideen des Rousseauschen Lauer.U foci-it in Saft und Blut des Volkes übergingen und eine Revolution im Staatskörper erzeugten, welche die mörderische Bürgertugend auf den Thron hob, um nach langen und furchtbaren Krämpfen zuletzt, nachdem alle Schranken der alten Zeit niedergestürzt, freies Feld für den Triumphzug des Geldsacks zu machen, so werden nun vielleicht die Fouriersche» Ideen in Blut und Saft des Volkes übergehen, und was dann geschehen wird — wer weiß es? Und in Deutschland? — Nun in Deutschland haben wir von dem Allen die Religion, — heiße sie nun Religion im engeren Sinne, oder heiße sie Philosophie, oder Poesie. Als die Religion im eigentlichen Sinne an der Zeit war, als das Christenthum wirklich die Welt beherrschte, als die Menschen insgemein danach rangen, Geist zu sein, und Fleisch und Blut zu tödten — da war Deutschland oben an, da war Deutschland das Land der That, da war Deutschland „die Welt", das sichtbare Gottesreich, das Land, dem die Macht des weltlichen Schwerts gegeben war, da brachte Deutschland endlich aus seinem Schooße seine Refor¬ mation hervor, und richtete die Weltanschauung und den Welt¬ zustand, dessen vornehmster Träger es gewesen war, zu Grunde. Deutschland gebar das Kind der neuen Zeit, und säugte es mit seine? Milch; aber die andern Völker rissen es bald vom Mutter¬ busen, und in ihren Händen wuchs es zum wilden Jungen auf, und durchtobte seine Pflegeljah'rc. Erst als es in das tiefsinnige Jünglingsalter trat, besann sich Deutschland wieder auf sein Kind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/261>, abgerufen am 29.05.2024.