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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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der Erzähler steh's zur Aufgabe machte, gleichzeitig seine Ideenwelt
auch auf höhere Strebungen hinzulenken, muß sonach die Hauptauf¬
gabe der heutigen Kalcnderliteratur sein. Und dazu ein Bild. Das
Bild braucht nicht künstlerisch schön zusein; aber es muß "packen" --
man verzeihe diesen Ausdruck; es ist der einzig passende. -- Diese
Anforderungen sämmtlich erfüllen allerdings viele der neuern und
illustrirten Volkskalcnder; doch vor allen der "Gevattersmann."
Besonders auch darum, weil in seine gemüthliche Behaglichkeit nirgends der
Hauch des Gemachtem und Absichtlichen hereinweht, weil seine Moral und
seine Belehrung so vollkommen natürlich und nächstliegend ist. Jetzt
kam er denn zum Zweitenmale und bietet sogar noch weit reichere
Abwechslung, als in seinem ersten Jahrgang. Aber damit soll nicht
gesagt sein, dieser zweite Jahrgang sei noch besser und zweckmäßiger
als der erste. Ja, man möchte jenen wohl vorzüglicher nennen; es ist
hier manche anekdotische Erzählung, die sogar wegzuwünschen wäre,
weil sie eben ganz bedeutungslos. Allein dafür entschädigen wieder
andere Artikel im reichsten Maaß, und als die Krone aller ist jeden¬
falls die Erzählung vom "Kindsmord" zu nennen. Auf diefen vier¬
zehn Seiten ist warlich mehr Stoss zu Betrachtungen und Nach¬
denken gegeben, ist mehr wahres und volles Leben gezeichnet, alö sonst
mitunter in mancher zwanzigbogigen Schrift. -- Dicht neben diesen
Kalender, dem man in seinem ganzen Charakter den Süddeutschen
anmerkt, muß der viel ernstere norddeutsche, der "Oldenburgische
Volksbote" gestellt werden. Er enthalt neben kleinen Geschichten
vorzüglich auch eine Menge gemeinnützlicher Belehrungen, Recepte für
Haus- und Landwirthschaft u. s. w. Besonders erwähnenswerth erscheint
außerdem auch für Kreise, die sich nicht zum Volke rechnen, die Samm¬
lung charakteristischer platt - deutscher Sprichwörter -- ein prächtiges
Spiegelbild des norddeutschen Volkes. Leider fehlen jedoch dem Ka¬
lender Illustrationen. -- Diese bietet nun in reicher Auswahl der
"Oesterreichische Vo l ks ka im d e r" von I. K. Vogt, welcher
mit 1846 seinen zweiten Jahrgang erlebt und bereits in seinem ersten
Jahrgang zweimal aufgelegt werden mußte. Seinem Inhalte nach
schließt er sich an die beiden genannten an, entbehrt aber der charak¬
teristischen Färbung ihrer Volksgeschichten. Außerdem tritt er zu
absolut didaktisch auf; er enthält für einen Volkskalcnder zu viel
rein Historisches, statistisches, Ethnographisches ohne Hindeutung auf
die aus derartigen Resultaten der Gelehrsamkeit zu ziehenden Anwen¬
dungen auf die Zustände der Gegenwart und die Bedürfnisse der Zu¬
kunft. Vielleicht mag die strenge österreichische Censur einen nicht
ganz unbedeutenden Theil der Schuld an diesem Mangel tragen. --
Der erste Versuch eines historischen Taschenbuchs für das Volk ist
"DerTribun,"herausgegeben vonAdolfBock. Als Versuch ist es
gelungen; allein zu einem wirklich tief eindringenden und mächtigen


der Erzähler steh's zur Aufgabe machte, gleichzeitig seine Ideenwelt
auch auf höhere Strebungen hinzulenken, muß sonach die Hauptauf¬
gabe der heutigen Kalcnderliteratur sein. Und dazu ein Bild. Das
Bild braucht nicht künstlerisch schön zusein; aber es muß „packen" —
man verzeihe diesen Ausdruck; es ist der einzig passende. — Diese
Anforderungen sämmtlich erfüllen allerdings viele der neuern und
illustrirten Volkskalcnder; doch vor allen der „Gevattersmann."
Besonders auch darum, weil in seine gemüthliche Behaglichkeit nirgends der
Hauch des Gemachtem und Absichtlichen hereinweht, weil seine Moral und
seine Belehrung so vollkommen natürlich und nächstliegend ist. Jetzt
kam er denn zum Zweitenmale und bietet sogar noch weit reichere
Abwechslung, als in seinem ersten Jahrgang. Aber damit soll nicht
gesagt sein, dieser zweite Jahrgang sei noch besser und zweckmäßiger
als der erste. Ja, man möchte jenen wohl vorzüglicher nennen; es ist
hier manche anekdotische Erzählung, die sogar wegzuwünschen wäre,
weil sie eben ganz bedeutungslos. Allein dafür entschädigen wieder
andere Artikel im reichsten Maaß, und als die Krone aller ist jeden¬
falls die Erzählung vom „Kindsmord" zu nennen. Auf diefen vier¬
zehn Seiten ist warlich mehr Stoss zu Betrachtungen und Nach¬
denken gegeben, ist mehr wahres und volles Leben gezeichnet, alö sonst
mitunter in mancher zwanzigbogigen Schrift. — Dicht neben diesen
Kalender, dem man in seinem ganzen Charakter den Süddeutschen
anmerkt, muß der viel ernstere norddeutsche, der „Oldenburgische
Volksbote" gestellt werden. Er enthalt neben kleinen Geschichten
vorzüglich auch eine Menge gemeinnützlicher Belehrungen, Recepte für
Haus- und Landwirthschaft u. s. w. Besonders erwähnenswerth erscheint
außerdem auch für Kreise, die sich nicht zum Volke rechnen, die Samm¬
lung charakteristischer platt - deutscher Sprichwörter — ein prächtiges
Spiegelbild des norddeutschen Volkes. Leider fehlen jedoch dem Ka¬
lender Illustrationen. — Diese bietet nun in reicher Auswahl der
„Oesterreichische Vo l ks ka im d e r" von I. K. Vogt, welcher
mit 1846 seinen zweiten Jahrgang erlebt und bereits in seinem ersten
Jahrgang zweimal aufgelegt werden mußte. Seinem Inhalte nach
schließt er sich an die beiden genannten an, entbehrt aber der charak¬
teristischen Färbung ihrer Volksgeschichten. Außerdem tritt er zu
absolut didaktisch auf; er enthält für einen Volkskalcnder zu viel
rein Historisches, statistisches, Ethnographisches ohne Hindeutung auf
die aus derartigen Resultaten der Gelehrsamkeit zu ziehenden Anwen¬
dungen auf die Zustände der Gegenwart und die Bedürfnisse der Zu¬
kunft. Vielleicht mag die strenge österreichische Censur einen nicht
ganz unbedeutenden Theil der Schuld an diesem Mangel tragen. —
Der erste Versuch eines historischen Taschenbuchs für das Volk ist
„DerTribun,"herausgegeben vonAdolfBock. Als Versuch ist es
gelungen; allein zu einem wirklich tief eindringenden und mächtigen


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[0342] der Erzähler steh's zur Aufgabe machte, gleichzeitig seine Ideenwelt auch auf höhere Strebungen hinzulenken, muß sonach die Hauptauf¬ gabe der heutigen Kalcnderliteratur sein. Und dazu ein Bild. Das Bild braucht nicht künstlerisch schön zusein; aber es muß „packen" — man verzeihe diesen Ausdruck; es ist der einzig passende. — Diese Anforderungen sämmtlich erfüllen allerdings viele der neuern und illustrirten Volkskalcnder; doch vor allen der „Gevattersmann." Besonders auch darum, weil in seine gemüthliche Behaglichkeit nirgends der Hauch des Gemachtem und Absichtlichen hereinweht, weil seine Moral und seine Belehrung so vollkommen natürlich und nächstliegend ist. Jetzt kam er denn zum Zweitenmale und bietet sogar noch weit reichere Abwechslung, als in seinem ersten Jahrgang. Aber damit soll nicht gesagt sein, dieser zweite Jahrgang sei noch besser und zweckmäßiger als der erste. Ja, man möchte jenen wohl vorzüglicher nennen; es ist hier manche anekdotische Erzählung, die sogar wegzuwünschen wäre, weil sie eben ganz bedeutungslos. Allein dafür entschädigen wieder andere Artikel im reichsten Maaß, und als die Krone aller ist jeden¬ falls die Erzählung vom „Kindsmord" zu nennen. Auf diefen vier¬ zehn Seiten ist warlich mehr Stoss zu Betrachtungen und Nach¬ denken gegeben, ist mehr wahres und volles Leben gezeichnet, alö sonst mitunter in mancher zwanzigbogigen Schrift. — Dicht neben diesen Kalender, dem man in seinem ganzen Charakter den Süddeutschen anmerkt, muß der viel ernstere norddeutsche, der „Oldenburgische Volksbote" gestellt werden. Er enthalt neben kleinen Geschichten vorzüglich auch eine Menge gemeinnützlicher Belehrungen, Recepte für Haus- und Landwirthschaft u. s. w. Besonders erwähnenswerth erscheint außerdem auch für Kreise, die sich nicht zum Volke rechnen, die Samm¬ lung charakteristischer platt - deutscher Sprichwörter — ein prächtiges Spiegelbild des norddeutschen Volkes. Leider fehlen jedoch dem Ka¬ lender Illustrationen. — Diese bietet nun in reicher Auswahl der „Oesterreichische Vo l ks ka im d e r" von I. K. Vogt, welcher mit 1846 seinen zweiten Jahrgang erlebt und bereits in seinem ersten Jahrgang zweimal aufgelegt werden mußte. Seinem Inhalte nach schließt er sich an die beiden genannten an, entbehrt aber der charak¬ teristischen Färbung ihrer Volksgeschichten. Außerdem tritt er zu absolut didaktisch auf; er enthält für einen Volkskalcnder zu viel rein Historisches, statistisches, Ethnographisches ohne Hindeutung auf die aus derartigen Resultaten der Gelehrsamkeit zu ziehenden Anwen¬ dungen auf die Zustände der Gegenwart und die Bedürfnisse der Zu¬ kunft. Vielleicht mag die strenge österreichische Censur einen nicht ganz unbedeutenden Theil der Schuld an diesem Mangel tragen. — Der erste Versuch eines historischen Taschenbuchs für das Volk ist „DerTribun,"herausgegeben vonAdolfBock. Als Versuch ist es gelungen; allein zu einem wirklich tief eindringenden und mächtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/342>, abgerufen am 14.05.2024.