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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Blick, aus welchem die rührendste Andacht spricht, die Königin; wei¬
ter zurück, noch im Kahn geborgen, stehen und knien die fürstlichen
Kinder. Bittend, betend sind die kleinen Hände gefaltet; dem jung"
sten unter ihnen, noch unbewußt der Handlung Sinn, legt einer der
Begleiter die Händchen in einander. Das zahlreiche Gefolge, von
den Segnungen der neuen Glaubenslehre durchdrungen, blickt voll
Andacht zu den Boten des Lichts und zum Himmel auf.

Wenden wir uns zu dem Fries, so werden wir ihn in entspre¬
chendem Einklange zu den erwähnten Bildern finden und einen dich¬
terischen Reichthum in demselben wahrnehmen, welcher in einem jeden
der vierzehn Felder sich offenbart und den schöpferischen Genius des
Künstlers bezeichnet. Eine umfassendere Mittheilung über diese Ar¬
beit, so auffordernd der reiche Stoff auch ist, würde zu weit führen,
und so wollen wir ihrer nur dem Hauptinhalte nach in der Kürze
gedenken. -- Der Künstler hat sich die Aufgabe gestellt, die ver¬
schiedenen Zustände des Lebens, von der Geburt bis zum Tode, in
allen innern und äußern Erscheinungen zu veranschaulichen, und die
Gedankenkette, welche ein Glied an das andre schließt, ist folgende:
Aus dem ursprünglichen Zustande der Unschuld, der durch das erste
Bild, da" Paradies, bezeichnet ist, geht die menschliche Seele durch
daS irdische, vom Bewußtsein der Sünde getrübte Leben ihrer Erlö¬
sung und Verklärung durch das Christenthum entgegen, welches im
letzten Felde, im himmlischen Paradiese, dargestellt ist.

I. Feld: Paradies. Erschaffung Adam's und Eva's; Sünden¬
fall; Austreibung; Fluch: "im Schweiße Deines Angesichts sollst Du
Dein Brod essen." 2. Feld: Geburt. Ein Engel bringt das Kind
herab; die erste Pflege desselben Kindesalters, überaus lieblich durch'
Kinderspiele bezeichnet. 3. Feld: Vorgerücktes Kindesalter. Schule;
ritterliche Spiele der Knaben; mannigfache Beschäftigungen der Mäd¬
chen. 4. Feld: Liebe. Hochzeit. Es ist in dieser Bildtafel ein rei¬
ches Maß von Poesie, innigem Empfinden und heiterer Anmuth aus¬
geströmt. 5. Feld: Männliches Alter. Ackerbau; Viehzucht.

In vier Feldern über den Gesetzgebern, in nächster Nähe deS-
Thrones, sind die vier Gestalten der irdischen oder Cardinaltugenden,
grau in grau gemalt, angebracht, welche für die Gegenstände der ge¬
nannten Felder leitend gewesen sind.

6. Feld: In der Mitte die Tapferkeit, links Raub und Gewalt-


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Blick, aus welchem die rührendste Andacht spricht, die Königin; wei¬
ter zurück, noch im Kahn geborgen, stehen und knien die fürstlichen
Kinder. Bittend, betend sind die kleinen Hände gefaltet; dem jung»
sten unter ihnen, noch unbewußt der Handlung Sinn, legt einer der
Begleiter die Händchen in einander. Das zahlreiche Gefolge, von
den Segnungen der neuen Glaubenslehre durchdrungen, blickt voll
Andacht zu den Boten des Lichts und zum Himmel auf.

Wenden wir uns zu dem Fries, so werden wir ihn in entspre¬
chendem Einklange zu den erwähnten Bildern finden und einen dich¬
terischen Reichthum in demselben wahrnehmen, welcher in einem jeden
der vierzehn Felder sich offenbart und den schöpferischen Genius des
Künstlers bezeichnet. Eine umfassendere Mittheilung über diese Ar¬
beit, so auffordernd der reiche Stoff auch ist, würde zu weit führen,
und so wollen wir ihrer nur dem Hauptinhalte nach in der Kürze
gedenken. — Der Künstler hat sich die Aufgabe gestellt, die ver¬
schiedenen Zustände des Lebens, von der Geburt bis zum Tode, in
allen innern und äußern Erscheinungen zu veranschaulichen, und die
Gedankenkette, welche ein Glied an das andre schließt, ist folgende:
Aus dem ursprünglichen Zustande der Unschuld, der durch das erste
Bild, da« Paradies, bezeichnet ist, geht die menschliche Seele durch
daS irdische, vom Bewußtsein der Sünde getrübte Leben ihrer Erlö¬
sung und Verklärung durch das Christenthum entgegen, welches im
letzten Felde, im himmlischen Paradiese, dargestellt ist.

I. Feld: Paradies. Erschaffung Adam's und Eva's; Sünden¬
fall; Austreibung; Fluch: „im Schweiße Deines Angesichts sollst Du
Dein Brod essen." 2. Feld: Geburt. Ein Engel bringt das Kind
herab; die erste Pflege desselben Kindesalters, überaus lieblich durch'
Kinderspiele bezeichnet. 3. Feld: Vorgerücktes Kindesalter. Schule;
ritterliche Spiele der Knaben; mannigfache Beschäftigungen der Mäd¬
chen. 4. Feld: Liebe. Hochzeit. Es ist in dieser Bildtafel ein rei¬
ches Maß von Poesie, innigem Empfinden und heiterer Anmuth aus¬
geströmt. 5. Feld: Männliches Alter. Ackerbau; Viehzucht.

In vier Feldern über den Gesetzgebern, in nächster Nähe deS-
Thrones, sind die vier Gestalten der irdischen oder Cardinaltugenden,
grau in grau gemalt, angebracht, welche für die Gegenstände der ge¬
nannten Felder leitend gewesen sind.

6. Feld: In der Mitte die Tapferkeit, links Raub und Gewalt-


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[0035] Blick, aus welchem die rührendste Andacht spricht, die Königin; wei¬ ter zurück, noch im Kahn geborgen, stehen und knien die fürstlichen Kinder. Bittend, betend sind die kleinen Hände gefaltet; dem jung» sten unter ihnen, noch unbewußt der Handlung Sinn, legt einer der Begleiter die Händchen in einander. Das zahlreiche Gefolge, von den Segnungen der neuen Glaubenslehre durchdrungen, blickt voll Andacht zu den Boten des Lichts und zum Himmel auf. Wenden wir uns zu dem Fries, so werden wir ihn in entspre¬ chendem Einklange zu den erwähnten Bildern finden und einen dich¬ terischen Reichthum in demselben wahrnehmen, welcher in einem jeden der vierzehn Felder sich offenbart und den schöpferischen Genius des Künstlers bezeichnet. Eine umfassendere Mittheilung über diese Ar¬ beit, so auffordernd der reiche Stoff auch ist, würde zu weit führen, und so wollen wir ihrer nur dem Hauptinhalte nach in der Kürze gedenken. — Der Künstler hat sich die Aufgabe gestellt, die ver¬ schiedenen Zustände des Lebens, von der Geburt bis zum Tode, in allen innern und äußern Erscheinungen zu veranschaulichen, und die Gedankenkette, welche ein Glied an das andre schließt, ist folgende: Aus dem ursprünglichen Zustande der Unschuld, der durch das erste Bild, da« Paradies, bezeichnet ist, geht die menschliche Seele durch daS irdische, vom Bewußtsein der Sünde getrübte Leben ihrer Erlö¬ sung und Verklärung durch das Christenthum entgegen, welches im letzten Felde, im himmlischen Paradiese, dargestellt ist. I. Feld: Paradies. Erschaffung Adam's und Eva's; Sünden¬ fall; Austreibung; Fluch: „im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brod essen." 2. Feld: Geburt. Ein Engel bringt das Kind herab; die erste Pflege desselben Kindesalters, überaus lieblich durch' Kinderspiele bezeichnet. 3. Feld: Vorgerücktes Kindesalter. Schule; ritterliche Spiele der Knaben; mannigfache Beschäftigungen der Mäd¬ chen. 4. Feld: Liebe. Hochzeit. Es ist in dieser Bildtafel ein rei¬ ches Maß von Poesie, innigem Empfinden und heiterer Anmuth aus¬ geströmt. 5. Feld: Männliches Alter. Ackerbau; Viehzucht. In vier Feldern über den Gesetzgebern, in nächster Nähe deS- Thrones, sind die vier Gestalten der irdischen oder Cardinaltugenden, grau in grau gemalt, angebracht, welche für die Gegenstände der ge¬ nannten Felder leitend gewesen sind. 6. Feld: In der Mitte die Tapferkeit, links Raub und Gewalt- 4»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/35>, abgerufen am 15.05.2024.