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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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anstreterwen mittellosen Zöglingen war zwar die Rede, doch Giovanelli
knüpfte daran seinen breitgeschlagenen Vortrag über die Betrammg der
Jesuiten mit der Obhut desselben und der mit Leitung der lateinischen
Schulen. Für die. Geistlichkeit, deren erste zwei Stimmen dem Ver¬
nehmen nach schon früher von Rom aus diesfalls bedeutet wur¬
den, trug er das Ansehen des kirchlichen Ordens, für den Adel sei¬
ne früheren Erzieher, für Alle das beliebte Thema der Bekämpfung
des Lutherthums und der Wiederbelebung des katholischen Glaubens
im verworfenen atheistischen Frankreich zur Schau. Wer mochte wohl
aus seinen geduldigen Zuhörern von Bellarmin und Escobar, von
den reinigenden Ruck- und Vorbehalten, von der tausendfachen Glie¬
derung der Moral, die sie zu einem biegsamen Gelenkmann gestal¬
tet, wissen; die aber davon gehört hatten, zogen die süße Gewohn¬
heit des Bejahenö und Nickens der gefüllten Schaale des Geifers
und dem Brandmahle der Verketzerung vor. So verhielt es sich
mit den "Bitten" der tirolischen Stände. Giovanelli ermangelte nicht
das Schaugericht noch besser zu schmücken, als kurz nachher mit
seinem Hofe der Kaiser zur Erbhuldigung ins Land kam. Endlich
bewilligte dieser, was als besondere Gnade von ihm erfleht wurde,
und die frommen Väter dankten des Himmels heiliger Fügung.

Sie waren kaum recht eingenistet in ihre neuen Sitze, als ih¬
nen schon der Raum ihrer Mauern zu enge wurde; die Jugend
von ganz Tirol sollte sich vor ihren Triumphzug spannen, Nord
und Süd Gaben auf ihre Altäre schichten. War ihnen doch auch
nur der niedere Theil des öffentlichen Unterrichts anvertraut; wenn
die Jugend unter den Formen alter Zungen den Geschmack am
deutschen Mutterlande verlernte, schien die Arbeit nur halb gethan,
der Geist sollte die Ketten des Siechthums durch die ganze
Frist seiner Erdenpilgerschaft mit Anstand zu tragen wissen. Erst
galt's nur ein Geschoß der Universität nach dem andern, dann die
Kanzeln ihrer Lehrer. Mit dem verneinenden Entscheide der ersten
Instanz nicht zufrieden wiederholte man die Bitte unter scheinbar
günstigern Auspicien, und erhielt die einstimmige Abweisung zweier
Oberbehörden, der das Gemeinwohl leitenden und der besondern für
die Studien. Dazwischen wurde die Convictserrichtung betrieben.
Es war diesmal schon nicht mehr von der bloßen Pflege der stil¬
len Sonnenblume der Gottseligkeit die Rede, sondern von bedeuten-


anstreterwen mittellosen Zöglingen war zwar die Rede, doch Giovanelli
knüpfte daran seinen breitgeschlagenen Vortrag über die Betrammg der
Jesuiten mit der Obhut desselben und der mit Leitung der lateinischen
Schulen. Für die. Geistlichkeit, deren erste zwei Stimmen dem Ver¬
nehmen nach schon früher von Rom aus diesfalls bedeutet wur¬
den, trug er das Ansehen des kirchlichen Ordens, für den Adel sei¬
ne früheren Erzieher, für Alle das beliebte Thema der Bekämpfung
des Lutherthums und der Wiederbelebung des katholischen Glaubens
im verworfenen atheistischen Frankreich zur Schau. Wer mochte wohl
aus seinen geduldigen Zuhörern von Bellarmin und Escobar, von
den reinigenden Ruck- und Vorbehalten, von der tausendfachen Glie¬
derung der Moral, die sie zu einem biegsamen Gelenkmann gestal¬
tet, wissen; die aber davon gehört hatten, zogen die süße Gewohn¬
heit des Bejahenö und Nickens der gefüllten Schaale des Geifers
und dem Brandmahle der Verketzerung vor. So verhielt es sich
mit den „Bitten" der tirolischen Stände. Giovanelli ermangelte nicht
das Schaugericht noch besser zu schmücken, als kurz nachher mit
seinem Hofe der Kaiser zur Erbhuldigung ins Land kam. Endlich
bewilligte dieser, was als besondere Gnade von ihm erfleht wurde,
und die frommen Väter dankten des Himmels heiliger Fügung.

Sie waren kaum recht eingenistet in ihre neuen Sitze, als ih¬
nen schon der Raum ihrer Mauern zu enge wurde; die Jugend
von ganz Tirol sollte sich vor ihren Triumphzug spannen, Nord
und Süd Gaben auf ihre Altäre schichten. War ihnen doch auch
nur der niedere Theil des öffentlichen Unterrichts anvertraut; wenn
die Jugend unter den Formen alter Zungen den Geschmack am
deutschen Mutterlande verlernte, schien die Arbeit nur halb gethan,
der Geist sollte die Ketten des Siechthums durch die ganze
Frist seiner Erdenpilgerschaft mit Anstand zu tragen wissen. Erst
galt's nur ein Geschoß der Universität nach dem andern, dann die
Kanzeln ihrer Lehrer. Mit dem verneinenden Entscheide der ersten
Instanz nicht zufrieden wiederholte man die Bitte unter scheinbar
günstigern Auspicien, und erhielt die einstimmige Abweisung zweier
Oberbehörden, der das Gemeinwohl leitenden und der besondern für
die Studien. Dazwischen wurde die Convictserrichtung betrieben.
Es war diesmal schon nicht mehr von der bloßen Pflege der stil¬
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[0370] anstreterwen mittellosen Zöglingen war zwar die Rede, doch Giovanelli knüpfte daran seinen breitgeschlagenen Vortrag über die Betrammg der Jesuiten mit der Obhut desselben und der mit Leitung der lateinischen Schulen. Für die. Geistlichkeit, deren erste zwei Stimmen dem Ver¬ nehmen nach schon früher von Rom aus diesfalls bedeutet wur¬ den, trug er das Ansehen des kirchlichen Ordens, für den Adel sei¬ ne früheren Erzieher, für Alle das beliebte Thema der Bekämpfung des Lutherthums und der Wiederbelebung des katholischen Glaubens im verworfenen atheistischen Frankreich zur Schau. Wer mochte wohl aus seinen geduldigen Zuhörern von Bellarmin und Escobar, von den reinigenden Ruck- und Vorbehalten, von der tausendfachen Glie¬ derung der Moral, die sie zu einem biegsamen Gelenkmann gestal¬ tet, wissen; die aber davon gehört hatten, zogen die süße Gewohn¬ heit des Bejahenö und Nickens der gefüllten Schaale des Geifers und dem Brandmahle der Verketzerung vor. So verhielt es sich mit den „Bitten" der tirolischen Stände. Giovanelli ermangelte nicht das Schaugericht noch besser zu schmücken, als kurz nachher mit seinem Hofe der Kaiser zur Erbhuldigung ins Land kam. Endlich bewilligte dieser, was als besondere Gnade von ihm erfleht wurde, und die frommen Väter dankten des Himmels heiliger Fügung. Sie waren kaum recht eingenistet in ihre neuen Sitze, als ih¬ nen schon der Raum ihrer Mauern zu enge wurde; die Jugend von ganz Tirol sollte sich vor ihren Triumphzug spannen, Nord und Süd Gaben auf ihre Altäre schichten. War ihnen doch auch nur der niedere Theil des öffentlichen Unterrichts anvertraut; wenn die Jugend unter den Formen alter Zungen den Geschmack am deutschen Mutterlande verlernte, schien die Arbeit nur halb gethan, der Geist sollte die Ketten des Siechthums durch die ganze Frist seiner Erdenpilgerschaft mit Anstand zu tragen wissen. Erst galt's nur ein Geschoß der Universität nach dem andern, dann die Kanzeln ihrer Lehrer. Mit dem verneinenden Entscheide der ersten Instanz nicht zufrieden wiederholte man die Bitte unter scheinbar günstigern Auspicien, und erhielt die einstimmige Abweisung zweier Oberbehörden, der das Gemeinwohl leitenden und der besondern für die Studien. Dazwischen wurde die Convictserrichtung betrieben. Es war diesmal schon nicht mehr von der bloßen Pflege der stil¬ len Sonnenblume der Gottseligkeit die Rede, sondern von bedeuten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/370>, abgerufen am 30.05.2024.