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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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was O'Connell ist, sondern malen nur, wie er im Licht einer roman¬
tischen Einbildungskrast sich ausnimmt. Dies ist übrigens ein
Fehler, den Schücking mit den meisten modernen Poeten theilt.

Wir machen dem Verf. keinen Vorwurf daraus, daß er nicht
Tendenz- oder Parteidichter ist. Man kann dem vollen Leben der
Gegenwart angehören, ohne die Kunst zu verläugnen oder durch ten¬
denziöse Absichtlichkeit zu trüben. Dies gerade ist ja die Aufgabe des
Dichters. Die Gegenwart an sich ist eben so wenig prosaisch wie
die Vergangenheit. Wir machen ihm auch keinen Vorwurf daraus,
wenn er die Vergangenheit besingt, sondern wenn nur ihre verschwim¬
menden fcrnblauen Umrisse seine Poesie bilden. Es kommt nie auf
das Was, sondern auf das Wie an. Eine gewisse Halbheit, die den
Dingen nicht recht zu Leibe geht, scheint uns daher eine Hauptschwä¬
che dieser Lyrik, welche sonst so viele Züge der Lieblichkeit und so
viele harmonische Klänge hat. Nachdem wir unsern Tadel in der
Hauprsache unumwunden ausgesprochen haben, freut es uns doppelt,
daß wir auch aufrichtig loben können.

Der romantische Hang des Verfassers ist kein gemachter, und
nur wo er Modernes in die Poesie des Vergilbten kleiden will, wirkt
,e, wie Dekorationsmalerei auf uns. Wer das reizende Gedicht
^Jugenderinn-rungen" oder "der Burghof" liest, wird erkennen, daß
der Dichter in seiner Romantik nur den natürlichen Einflüssen einer
eigenthümlich und glücklich verlebten Jugend folgt. Daher erhielt sich
ihm die Lust, träumerisches Stillleben in Wald - und Ruineneinsam¬
keit zu zeichnen. Als Knabe, die grüne Tanne in der Faust, auf
dem steinernen Leuen reitend, da hatte er naiven Glauben an die
alten Traditionen, da waren sie ihm ein Lebendiges und Gegenwär¬
tiges; und wo er, im Sinn dieses Glaubens, singt, ist er ungemein
glücklich und wahr. Denselben Eindruck poetischer Wahrheit machen
die Momente des Erwachens, wo das Bewußtsein und die Erkennt:
riß mit der Sympathie für die Heiligthümer der Kindheit kämpfen.
"Das alte Stift," "Beim Hochamt," "Kirchenmusik" sind drei
ergreifende Gedichte, denn sie schildern einen Schmerz und Kampf, den
die ganze religiöse Welt einmal durchmachen muß. Freilich erfahren
wir nicht den Ausgang und das Resultat dieses Seelenstreites, unser
Dichter scheint sich an dem poetischen Schimmer der sinkenden Glau¬
benswelt zu halten und damit über alle Zweifel zu beruhigen; denn
in der auf jene Gedichte folgenden "Fahncnwahl" entscheidet er sich
für Gottestreue und Poesie; eine Wahl, die sich von selbst
versteht; eine Fahne, die in allen Lagern erhoben wird."

Unter den Liebesliedern verdienen "Warst Du im Wald,
"WMsprüche" u. a. besonders hervorgehoben zu werden. Größer,
als das rein lyrische, scheint uns das lyrisch-epische Talent des Ver¬
fassers. "Herzog Ludwig vor Augsburg" ist eine sehr erquickliche


was O'Connell ist, sondern malen nur, wie er im Licht einer roman¬
tischen Einbildungskrast sich ausnimmt. Dies ist übrigens ein
Fehler, den Schücking mit den meisten modernen Poeten theilt.

Wir machen dem Verf. keinen Vorwurf daraus, daß er nicht
Tendenz- oder Parteidichter ist. Man kann dem vollen Leben der
Gegenwart angehören, ohne die Kunst zu verläugnen oder durch ten¬
denziöse Absichtlichkeit zu trüben. Dies gerade ist ja die Aufgabe des
Dichters. Die Gegenwart an sich ist eben so wenig prosaisch wie
die Vergangenheit. Wir machen ihm auch keinen Vorwurf daraus,
wenn er die Vergangenheit besingt, sondern wenn nur ihre verschwim¬
menden fcrnblauen Umrisse seine Poesie bilden. Es kommt nie auf
das Was, sondern auf das Wie an. Eine gewisse Halbheit, die den
Dingen nicht recht zu Leibe geht, scheint uns daher eine Hauptschwä¬
che dieser Lyrik, welche sonst so viele Züge der Lieblichkeit und so
viele harmonische Klänge hat. Nachdem wir unsern Tadel in der
Hauprsache unumwunden ausgesprochen haben, freut es uns doppelt,
daß wir auch aufrichtig loben können.

Der romantische Hang des Verfassers ist kein gemachter, und
nur wo er Modernes in die Poesie des Vergilbten kleiden will, wirkt
,e, wie Dekorationsmalerei auf uns. Wer das reizende Gedicht
^Jugenderinn-rungen" oder „der Burghof" liest, wird erkennen, daß
der Dichter in seiner Romantik nur den natürlichen Einflüssen einer
eigenthümlich und glücklich verlebten Jugend folgt. Daher erhielt sich
ihm die Lust, träumerisches Stillleben in Wald - und Ruineneinsam¬
keit zu zeichnen. Als Knabe, die grüne Tanne in der Faust, auf
dem steinernen Leuen reitend, da hatte er naiven Glauben an die
alten Traditionen, da waren sie ihm ein Lebendiges und Gegenwär¬
tiges; und wo er, im Sinn dieses Glaubens, singt, ist er ungemein
glücklich und wahr. Denselben Eindruck poetischer Wahrheit machen
die Momente des Erwachens, wo das Bewußtsein und die Erkennt:
riß mit der Sympathie für die Heiligthümer der Kindheit kämpfen.
„Das alte Stift," „Beim Hochamt," „Kirchenmusik" sind drei
ergreifende Gedichte, denn sie schildern einen Schmerz und Kampf, den
die ganze religiöse Welt einmal durchmachen muß. Freilich erfahren
wir nicht den Ausgang und das Resultat dieses Seelenstreites, unser
Dichter scheint sich an dem poetischen Schimmer der sinkenden Glau¬
benswelt zu halten und damit über alle Zweifel zu beruhigen; denn
in der auf jene Gedichte folgenden „Fahncnwahl" entscheidet er sich
für Gottestreue und Poesie; eine Wahl, die sich von selbst
versteht; eine Fahne, die in allen Lagern erhoben wird."

Unter den Liebesliedern verdienen „Warst Du im Wald,
„WMsprüche" u. a. besonders hervorgehoben zu werden. Größer,
als das rein lyrische, scheint uns das lyrisch-epische Talent des Ver¬
fassers. „Herzog Ludwig vor Augsburg" ist eine sehr erquickliche


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[0389] was O'Connell ist, sondern malen nur, wie er im Licht einer roman¬ tischen Einbildungskrast sich ausnimmt. Dies ist übrigens ein Fehler, den Schücking mit den meisten modernen Poeten theilt. Wir machen dem Verf. keinen Vorwurf daraus, daß er nicht Tendenz- oder Parteidichter ist. Man kann dem vollen Leben der Gegenwart angehören, ohne die Kunst zu verläugnen oder durch ten¬ denziöse Absichtlichkeit zu trüben. Dies gerade ist ja die Aufgabe des Dichters. Die Gegenwart an sich ist eben so wenig prosaisch wie die Vergangenheit. Wir machen ihm auch keinen Vorwurf daraus, wenn er die Vergangenheit besingt, sondern wenn nur ihre verschwim¬ menden fcrnblauen Umrisse seine Poesie bilden. Es kommt nie auf das Was, sondern auf das Wie an. Eine gewisse Halbheit, die den Dingen nicht recht zu Leibe geht, scheint uns daher eine Hauptschwä¬ che dieser Lyrik, welche sonst so viele Züge der Lieblichkeit und so viele harmonische Klänge hat. Nachdem wir unsern Tadel in der Hauprsache unumwunden ausgesprochen haben, freut es uns doppelt, daß wir auch aufrichtig loben können. Der romantische Hang des Verfassers ist kein gemachter, und nur wo er Modernes in die Poesie des Vergilbten kleiden will, wirkt ,e, wie Dekorationsmalerei auf uns. Wer das reizende Gedicht ^Jugenderinn-rungen" oder „der Burghof" liest, wird erkennen, daß der Dichter in seiner Romantik nur den natürlichen Einflüssen einer eigenthümlich und glücklich verlebten Jugend folgt. Daher erhielt sich ihm die Lust, träumerisches Stillleben in Wald - und Ruineneinsam¬ keit zu zeichnen. Als Knabe, die grüne Tanne in der Faust, auf dem steinernen Leuen reitend, da hatte er naiven Glauben an die alten Traditionen, da waren sie ihm ein Lebendiges und Gegenwär¬ tiges; und wo er, im Sinn dieses Glaubens, singt, ist er ungemein glücklich und wahr. Denselben Eindruck poetischer Wahrheit machen die Momente des Erwachens, wo das Bewußtsein und die Erkennt: riß mit der Sympathie für die Heiligthümer der Kindheit kämpfen. „Das alte Stift," „Beim Hochamt," „Kirchenmusik" sind drei ergreifende Gedichte, denn sie schildern einen Schmerz und Kampf, den die ganze religiöse Welt einmal durchmachen muß. Freilich erfahren wir nicht den Ausgang und das Resultat dieses Seelenstreites, unser Dichter scheint sich an dem poetischen Schimmer der sinkenden Glau¬ benswelt zu halten und damit über alle Zweifel zu beruhigen; denn in der auf jene Gedichte folgenden „Fahncnwahl" entscheidet er sich für Gottestreue und Poesie; eine Wahl, die sich von selbst versteht; eine Fahne, die in allen Lagern erhoben wird." Unter den Liebesliedern verdienen „Warst Du im Wald, „WMsprüche" u. a. besonders hervorgehoben zu werden. Größer, als das rein lyrische, scheint uns das lyrisch-epische Talent des Ver¬ fassers. „Herzog Ludwig vor Augsburg" ist eine sehr erquickliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/389>, abgerufen am 14.05.2024.