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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Gnadenfrist wollte ich noch benutzen, meine Jugend in Freiheit zu
genießen. Italien war von jeher das Land meiner Sehnsucht;
nur riechen wollte ich zu dieser Rose und mit ihrem Dufte mich
für die lange, mir bevorstehende Verdumpfung im bürgerlichen Leben
stärken. Venedig und der Comer See waren die beiden schonen
Reiseziele, die ich mir gesteckt. Darum war ich auf dem Polizei¬
bureau. Endlich nach zweistündigem Harren war die Reihe an
mich. Was wollen Sie, herrschte mir der lange, magere, blatter¬
narbige Commissär mit barschem Tone zu. Die österreichische Po¬
lizei nämlich, die in letzten-Jahren gegen Ausländer höflicher sein
muß, läßt nicht selten ihr angeborenes Gefühl, als ein unterdrück¬
tes, nun mit desto größerer Gewalt gegen Einheimische los. Der
Beamte selbst sah wie ein incarnirter Artikel des Pvlizcistrafgesetz-
buches aus, der von stäupen, Stockprügcln und andern so schö¬
nen Dingen spricht.--Sie möchten mir diesen Paß nach österreichisch
Italien Visiren, antwortete ich gelassen. Er nahm das Papier,
drehte es hin und her und warf es mir endlich zurück. -- Das, das
ist kein Paß, das ist ein Wisch! -- Herr, wie können sie ein Doku¬
ment, das den Namen und den Fünfundzwanzig-Kreuzer-Stempel
und das Siegel eines löblichen Magistrates trägt, einen Wisch nen¬
nen? fragte ich in legaler Entrüstung. -- Ist und bleibt ein Wisch,
und haben Sie nicht einmal das Recht sich damit in Wien aufzu¬
halten, denn er gilt nur für Ihr Böhmen! -- Leider hatte er ge¬
wissermaßen und in Folge der österreichischen Einheit und innigen
Arondirung vollkommen Recht; der Paß war vom Magistrate mei¬
ner Heimat, einer kleinen böhmischen Stadt ausgestellt und galt
nach unseren Gesetzen eigentlich nur für die Provinz Böhmen. O
Vaterländer! dachte ich stille bei mir, und laut sagte ich: Aber
was soll ich thun? ich muß nun einmal nach Italien! -- Lassen Sie
sich einen Paß von Ihrem Kreisamte kommen! sagte er kurz. -- Him¬
mel! das dauert zum Mindesten ein viertel Jahr, und indessen geht
der Sommer hin Und ich habe nicht einmal so viel Zeit sür meine
Reise. --Kann nicht helfen! rief er erbost über meine Kühnheit, daß
ich es gewagt, ihm schon zweimal zu antworten. Sie sind noch in
den Jahren der Militärpflichtigkeit, da kann man Sie keine so weite
Reise machen lassen, da müssen Sie immer bei der Hand sein.
-- Danke schönstens, Herr Polizeicommissar, ich bin Doctor, also von


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Gnadenfrist wollte ich noch benutzen, meine Jugend in Freiheit zu
genießen. Italien war von jeher das Land meiner Sehnsucht;
nur riechen wollte ich zu dieser Rose und mit ihrem Dufte mich
für die lange, mir bevorstehende Verdumpfung im bürgerlichen Leben
stärken. Venedig und der Comer See waren die beiden schonen
Reiseziele, die ich mir gesteckt. Darum war ich auf dem Polizei¬
bureau. Endlich nach zweistündigem Harren war die Reihe an
mich. Was wollen Sie, herrschte mir der lange, magere, blatter¬
narbige Commissär mit barschem Tone zu. Die österreichische Po¬
lizei nämlich, die in letzten-Jahren gegen Ausländer höflicher sein
muß, läßt nicht selten ihr angeborenes Gefühl, als ein unterdrück¬
tes, nun mit desto größerer Gewalt gegen Einheimische los. Der
Beamte selbst sah wie ein incarnirter Artikel des Pvlizcistrafgesetz-
buches aus, der von stäupen, Stockprügcln und andern so schö¬
nen Dingen spricht.—Sie möchten mir diesen Paß nach österreichisch
Italien Visiren, antwortete ich gelassen. Er nahm das Papier,
drehte es hin und her und warf es mir endlich zurück. — Das, das
ist kein Paß, das ist ein Wisch! — Herr, wie können sie ein Doku¬
ment, das den Namen und den Fünfundzwanzig-Kreuzer-Stempel
und das Siegel eines löblichen Magistrates trägt, einen Wisch nen¬
nen? fragte ich in legaler Entrüstung. — Ist und bleibt ein Wisch,
und haben Sie nicht einmal das Recht sich damit in Wien aufzu¬
halten, denn er gilt nur für Ihr Böhmen! — Leider hatte er ge¬
wissermaßen und in Folge der österreichischen Einheit und innigen
Arondirung vollkommen Recht; der Paß war vom Magistrate mei¬
ner Heimat, einer kleinen böhmischen Stadt ausgestellt und galt
nach unseren Gesetzen eigentlich nur für die Provinz Böhmen. O
Vaterländer! dachte ich stille bei mir, und laut sagte ich: Aber
was soll ich thun? ich muß nun einmal nach Italien! — Lassen Sie
sich einen Paß von Ihrem Kreisamte kommen! sagte er kurz. — Him¬
mel! das dauert zum Mindesten ein viertel Jahr, und indessen geht
der Sommer hin Und ich habe nicht einmal so viel Zeit sür meine
Reise. —Kann nicht helfen! rief er erbost über meine Kühnheit, daß
ich es gewagt, ihm schon zweimal zu antworten. Sie sind noch in
den Jahren der Militärpflichtigkeit, da kann man Sie keine so weite
Reise machen lassen, da müssen Sie immer bei der Hand sein.
— Danke schönstens, Herr Polizeicommissar, ich bin Doctor, also von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/395>, abgerufen am 29.05.2024.