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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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mich stille im Hintergrunde des Zimmers und sah zu wie der
Strom der Reisenden sich nach und nach verlief; auch er machte
ein glückliches Gesicht, da er den letzten Pas; in die Hand nahm
und ihn schon halb stehend ausfertigte. Aber wie erschrak er, da
er eben mit patriotischer Eile davon gehen wollte und ich mit Mei¬
nem Passe wie ein Löwe auf ihn losstürzte. Mit betrübtem Ge¬
sichte kehrt er noch einmal zum Pulre zurück und sieht nur 5>er
Rücken des Passes, wie ich ihn hingelegt hatte, und da die Col¬
lege" draußen zu murren beginnen, schreibt er mit der Schnellig¬
keit eines Stenographen das Visum hin und würdigt den Paß
keines Blickes. Gottlob, ich war durch die Geburt des Königs
Ludwig von Baiern gerettet und konnte morgen in München ein¬
ziehen, gesichert durch den königlich-baierischen Stempel.

Wie in Lindau der König und patriotischer Eifer, so halfen
mir in München ein Prälat und religiöse Pietät. Ich lernte näm¬
lich an der IMe ä'link," im Baierischen Hofe einen berühmten
Bischof und seinen Begleiter, einen jungen Geistlichen kennen.
Manche Anknüpfungspunkte waren vorhanden, die unsere Bekannt¬
schaft erleichterte!,. So kam es, daß ich mit dem jungen Geistli¬
chen auf die Polizei ging, als er seinen und des Bischofs Pässe
visiren lassen wollte. Ich nahm ihm beide ab, dachte mir: "die
Kirche hat einen guten Magen" und legte meinen lasterhaften da¬
zu; tres l-loiiiiit coIIvAmm. So trat ich vor den Beamten hin:
die Pässe seiner Eminenz! Er nahm die Papiere mit Ehrfurcht in
die Hand, als berührte er das Allerheiligste; als guter Katholik
prüfte und forschte er nicht weiter, glaubte nur und unterschrieb
und sanctionirte, wie gesagt als guter Katholik, auch das Unter¬
geschobene. Das erhabene Gefühl, daß mein Paß Ehrfurcht ein¬
flöße, lernte ich hier fast am Ende meiner Reise zum ersten Male
kennen und ich kam mir selbst wie ein Heiliger vor.

Aber die Heiligkeit meines Passes mußte sich schnell verduftet
haben. Denn als ich ihn bei Eger an der böhmischen Grenze in
daS Grenzpaßbureau schickte, während ich selbst im Wagen sitzen
blieb und mich nach so manchen Kämpfen der wohlbehaltenen Rück¬
kehr ins Vaterland freute, da, wie ein Mensch, der Niegesehenes
gesehen, der schauderhaft Unglaubliches, gehört, stürzte der Postbe¬
amte an den Wagen heran und rief entsetzt: Wie haben Sie sich


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mich stille im Hintergrunde des Zimmers und sah zu wie der
Strom der Reisenden sich nach und nach verlief; auch er machte
ein glückliches Gesicht, da er den letzten Pas; in die Hand nahm
und ihn schon halb stehend ausfertigte. Aber wie erschrak er, da
er eben mit patriotischer Eile davon gehen wollte und ich mit Mei¬
nem Passe wie ein Löwe auf ihn losstürzte. Mit betrübtem Ge¬
sichte kehrt er noch einmal zum Pulre zurück und sieht nur 5>er
Rücken des Passes, wie ich ihn hingelegt hatte, und da die Col¬
lege« draußen zu murren beginnen, schreibt er mit der Schnellig¬
keit eines Stenographen das Visum hin und würdigt den Paß
keines Blickes. Gottlob, ich war durch die Geburt des Königs
Ludwig von Baiern gerettet und konnte morgen in München ein¬
ziehen, gesichert durch den königlich-baierischen Stempel.

Wie in Lindau der König und patriotischer Eifer, so halfen
mir in München ein Prälat und religiöse Pietät. Ich lernte näm¬
lich an der IMe ä'link,« im Baierischen Hofe einen berühmten
Bischof und seinen Begleiter, einen jungen Geistlichen kennen.
Manche Anknüpfungspunkte waren vorhanden, die unsere Bekannt¬
schaft erleichterte!,. So kam es, daß ich mit dem jungen Geistli¬
chen auf die Polizei ging, als er seinen und des Bischofs Pässe
visiren lassen wollte. Ich nahm ihm beide ab, dachte mir: „die
Kirche hat einen guten Magen" und legte meinen lasterhaften da¬
zu; tres l-loiiiiit coIIvAmm. So trat ich vor den Beamten hin:
die Pässe seiner Eminenz! Er nahm die Papiere mit Ehrfurcht in
die Hand, als berührte er das Allerheiligste; als guter Katholik
prüfte und forschte er nicht weiter, glaubte nur und unterschrieb
und sanctionirte, wie gesagt als guter Katholik, auch das Unter¬
geschobene. Das erhabene Gefühl, daß mein Paß Ehrfurcht ein¬
flöße, lernte ich hier fast am Ende meiner Reise zum ersten Male
kennen und ich kam mir selbst wie ein Heiliger vor.

Aber die Heiligkeit meines Passes mußte sich schnell verduftet
haben. Denn als ich ihn bei Eger an der böhmischen Grenze in
daS Grenzpaßbureau schickte, während ich selbst im Wagen sitzen
blieb und mich nach so manchen Kämpfen der wohlbehaltenen Rück¬
kehr ins Vaterland freute, da, wie ein Mensch, der Niegesehenes
gesehen, der schauderhaft Unglaubliches, gehört, stürzte der Postbe¬
amte an den Wagen heran und rief entsetzt: Wie haben Sie sich


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[0409] mich stille im Hintergrunde des Zimmers und sah zu wie der Strom der Reisenden sich nach und nach verlief; auch er machte ein glückliches Gesicht, da er den letzten Pas; in die Hand nahm und ihn schon halb stehend ausfertigte. Aber wie erschrak er, da er eben mit patriotischer Eile davon gehen wollte und ich mit Mei¬ nem Passe wie ein Löwe auf ihn losstürzte. Mit betrübtem Ge¬ sichte kehrt er noch einmal zum Pulre zurück und sieht nur 5>er Rücken des Passes, wie ich ihn hingelegt hatte, und da die Col¬ lege« draußen zu murren beginnen, schreibt er mit der Schnellig¬ keit eines Stenographen das Visum hin und würdigt den Paß keines Blickes. Gottlob, ich war durch die Geburt des Königs Ludwig von Baiern gerettet und konnte morgen in München ein¬ ziehen, gesichert durch den königlich-baierischen Stempel. Wie in Lindau der König und patriotischer Eifer, so halfen mir in München ein Prälat und religiöse Pietät. Ich lernte näm¬ lich an der IMe ä'link,« im Baierischen Hofe einen berühmten Bischof und seinen Begleiter, einen jungen Geistlichen kennen. Manche Anknüpfungspunkte waren vorhanden, die unsere Bekannt¬ schaft erleichterte!,. So kam es, daß ich mit dem jungen Geistli¬ chen auf die Polizei ging, als er seinen und des Bischofs Pässe visiren lassen wollte. Ich nahm ihm beide ab, dachte mir: „die Kirche hat einen guten Magen" und legte meinen lasterhaften da¬ zu; tres l-loiiiiit coIIvAmm. So trat ich vor den Beamten hin: die Pässe seiner Eminenz! Er nahm die Papiere mit Ehrfurcht in die Hand, als berührte er das Allerheiligste; als guter Katholik prüfte und forschte er nicht weiter, glaubte nur und unterschrieb und sanctionirte, wie gesagt als guter Katholik, auch das Unter¬ geschobene. Das erhabene Gefühl, daß mein Paß Ehrfurcht ein¬ flöße, lernte ich hier fast am Ende meiner Reise zum ersten Male kennen und ich kam mir selbst wie ein Heiliger vor. Aber die Heiligkeit meines Passes mußte sich schnell verduftet haben. Denn als ich ihn bei Eger an der böhmischen Grenze in daS Grenzpaßbureau schickte, während ich selbst im Wagen sitzen blieb und mich nach so manchen Kämpfen der wohlbehaltenen Rück¬ kehr ins Vaterland freute, da, wie ein Mensch, der Niegesehenes gesehen, der schauderhaft Unglaubliches, gehört, stürzte der Postbe¬ amte an den Wagen heran und rief entsetzt: Wie haben Sie sich Wrcnzbotcn, I8i«. I. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/409>, abgerufen am 29.05.2024.