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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ficht zur Vorrückung haben, und junge Cadetten, denen die Vorspieg¬
lungen der Emissäre und die Hoffnung bald eine wichtigere Rolle zu
spielen, den Kopf erhitzt haben; Officiere sind sehr wenige compro.
mittirt, weniger als bei dem Complott von 184(t, sei es nun, daß
dieselben diesmal vorsichtiger waren, oder daß erst im Lause der Un¬
tersuchung eine Theilnahme derselben in größerem Umfang ans Licht
treten wird- Die Gefängnisse füllen sich auf eine Bedenken erregende
Weife mit Verdächtigen und die zu Wadowicze zusammengetretene
Untersuchungs-Commission aus militairischen und Civilrichtern ist be¬
reits in voller Thätigkeit, um aus der Schaar der Angeklagten die
Zahl der Schuldigen herauszufinden. Ist es auch nicht begründet,
daß die Untersuchung in Gemeinschaft mit preußischen und russischen
Abgeordneten gepflogen werden soll, so ist es doch nicht minder außer
Zweifel, daß gemeinschaftliche Erörterungen über die zu Tage geför¬
derten Resultate Statt finden werden, ohne welche ein sicheres Erfassen
der verborgenen Fäden der geheimen Verschwörungsgeschichte kaum
denkbar wäre. Man nennt die Herren Sedlaczek und Mosing als
die zu diesem Zweck bestimmten Beamten, von denen der eine mit
der russischen Untersuchungsbehörde und der andere mit der preußischen
Commission in Verbindung treten soll. Der Militargouverneur von
Galizien Erzherzog Ferdinand von Oesterreich-Este soll sich in einer
sehr entschiedenen Weise gegen die nationalen Anstrengungen der pol¬
nischen Patrioten ausgesprochen, und namentlich in Hinsicht der dem
Soldatenstande angehörigen Individuen die Nothwendigkeit einer un-
nachsichtlicher Anwendung des Gesetzes angedeutet haben, da, wie
bekannt, bei dem letzten Complott des Regiments Graf Mazzucheli,
die Schuldigen sämmtlich mit mehrjähriger Festungsstrafe davon ka¬
men.

In wie fern eine Betheiligung des Clerus Statt gefunden, läßt
sich für jetzt kaum angeben, überhaupt scheint bei uns der clericalische
Einfluß weit geringer zu sein, als in den übrigen polnischen Landes-
theilen, wo ihm die religiösen Bedrückungen einen Nachdruck verlie¬
hen haben, der ihn allerdings als sehr furchtbar erscheinen läßt; höch¬
stens könnte das Povcnthum als eine Waffe in den Händen des Pan-
slavismus dienen. Unter diesen Umständen macht auch der eben jetzt
erfolgte Tod des römisch-katholischen Erzbischofs und Primas von
Galizien, Franz von Paula Pischbek, der 60 Jahre alt, plötzlich
starb, bedeutendes Aufsehen.

Die Nivellirungsarbeiten in Bezug auf die in Angriff zu neh¬
mende Staatseisenbahn von Bochnia nach Lemberg nehmen einen ra¬
schen Fortgang, so daß wohl im nächsten Frühling die Erdarbeitrn
werben beginnen können. Bei der steigenden Noth unter den Land¬
leuten, welche wirklich mitunter an das Gräßliche streift, würde die
Gelegenheit zum Verdienst von denselben mit Begierde ergrissen wer-


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ficht zur Vorrückung haben, und junge Cadetten, denen die Vorspieg¬
lungen der Emissäre und die Hoffnung bald eine wichtigere Rolle zu
spielen, den Kopf erhitzt haben; Officiere sind sehr wenige compro.
mittirt, weniger als bei dem Complott von 184(t, sei es nun, daß
dieselben diesmal vorsichtiger waren, oder daß erst im Lause der Un¬
tersuchung eine Theilnahme derselben in größerem Umfang ans Licht
treten wird- Die Gefängnisse füllen sich auf eine Bedenken erregende
Weife mit Verdächtigen und die zu Wadowicze zusammengetretene
Untersuchungs-Commission aus militairischen und Civilrichtern ist be¬
reits in voller Thätigkeit, um aus der Schaar der Angeklagten die
Zahl der Schuldigen herauszufinden. Ist es auch nicht begründet,
daß die Untersuchung in Gemeinschaft mit preußischen und russischen
Abgeordneten gepflogen werden soll, so ist es doch nicht minder außer
Zweifel, daß gemeinschaftliche Erörterungen über die zu Tage geför¬
derten Resultate Statt finden werden, ohne welche ein sicheres Erfassen
der verborgenen Fäden der geheimen Verschwörungsgeschichte kaum
denkbar wäre. Man nennt die Herren Sedlaczek und Mosing als
die zu diesem Zweck bestimmten Beamten, von denen der eine mit
der russischen Untersuchungsbehörde und der andere mit der preußischen
Commission in Verbindung treten soll. Der Militargouverneur von
Galizien Erzherzog Ferdinand von Oesterreich-Este soll sich in einer
sehr entschiedenen Weise gegen die nationalen Anstrengungen der pol¬
nischen Patrioten ausgesprochen, und namentlich in Hinsicht der dem
Soldatenstande angehörigen Individuen die Nothwendigkeit einer un-
nachsichtlicher Anwendung des Gesetzes angedeutet haben, da, wie
bekannt, bei dem letzten Complott des Regiments Graf Mazzucheli,
die Schuldigen sämmtlich mit mehrjähriger Festungsstrafe davon ka¬
men.

In wie fern eine Betheiligung des Clerus Statt gefunden, läßt
sich für jetzt kaum angeben, überhaupt scheint bei uns der clericalische
Einfluß weit geringer zu sein, als in den übrigen polnischen Landes-
theilen, wo ihm die religiösen Bedrückungen einen Nachdruck verlie¬
hen haben, der ihn allerdings als sehr furchtbar erscheinen läßt; höch¬
stens könnte das Povcnthum als eine Waffe in den Händen des Pan-
slavismus dienen. Unter diesen Umständen macht auch der eben jetzt
erfolgte Tod des römisch-katholischen Erzbischofs und Primas von
Galizien, Franz von Paula Pischbek, der 60 Jahre alt, plötzlich
starb, bedeutendes Aufsehen.

Die Nivellirungsarbeiten in Bezug auf die in Angriff zu neh¬
mende Staatseisenbahn von Bochnia nach Lemberg nehmen einen ra¬
schen Fortgang, so daß wohl im nächsten Frühling die Erdarbeitrn
werben beginnen können. Bei der steigenden Noth unter den Land¬
leuten, welche wirklich mitunter an das Gräßliche streift, würde die
Gelegenheit zum Verdienst von denselben mit Begierde ergrissen wer-


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[0419] ficht zur Vorrückung haben, und junge Cadetten, denen die Vorspieg¬ lungen der Emissäre und die Hoffnung bald eine wichtigere Rolle zu spielen, den Kopf erhitzt haben; Officiere sind sehr wenige compro. mittirt, weniger als bei dem Complott von 184(t, sei es nun, daß dieselben diesmal vorsichtiger waren, oder daß erst im Lause der Un¬ tersuchung eine Theilnahme derselben in größerem Umfang ans Licht treten wird- Die Gefängnisse füllen sich auf eine Bedenken erregende Weife mit Verdächtigen und die zu Wadowicze zusammengetretene Untersuchungs-Commission aus militairischen und Civilrichtern ist be¬ reits in voller Thätigkeit, um aus der Schaar der Angeklagten die Zahl der Schuldigen herauszufinden. Ist es auch nicht begründet, daß die Untersuchung in Gemeinschaft mit preußischen und russischen Abgeordneten gepflogen werden soll, so ist es doch nicht minder außer Zweifel, daß gemeinschaftliche Erörterungen über die zu Tage geför¬ derten Resultate Statt finden werden, ohne welche ein sicheres Erfassen der verborgenen Fäden der geheimen Verschwörungsgeschichte kaum denkbar wäre. Man nennt die Herren Sedlaczek und Mosing als die zu diesem Zweck bestimmten Beamten, von denen der eine mit der russischen Untersuchungsbehörde und der andere mit der preußischen Commission in Verbindung treten soll. Der Militargouverneur von Galizien Erzherzog Ferdinand von Oesterreich-Este soll sich in einer sehr entschiedenen Weise gegen die nationalen Anstrengungen der pol¬ nischen Patrioten ausgesprochen, und namentlich in Hinsicht der dem Soldatenstande angehörigen Individuen die Nothwendigkeit einer un- nachsichtlicher Anwendung des Gesetzes angedeutet haben, da, wie bekannt, bei dem letzten Complott des Regiments Graf Mazzucheli, die Schuldigen sämmtlich mit mehrjähriger Festungsstrafe davon ka¬ men. In wie fern eine Betheiligung des Clerus Statt gefunden, läßt sich für jetzt kaum angeben, überhaupt scheint bei uns der clericalische Einfluß weit geringer zu sein, als in den übrigen polnischen Landes- theilen, wo ihm die religiösen Bedrückungen einen Nachdruck verlie¬ hen haben, der ihn allerdings als sehr furchtbar erscheinen läßt; höch¬ stens könnte das Povcnthum als eine Waffe in den Händen des Pan- slavismus dienen. Unter diesen Umständen macht auch der eben jetzt erfolgte Tod des römisch-katholischen Erzbischofs und Primas von Galizien, Franz von Paula Pischbek, der 60 Jahre alt, plötzlich starb, bedeutendes Aufsehen. Die Nivellirungsarbeiten in Bezug auf die in Angriff zu neh¬ mende Staatseisenbahn von Bochnia nach Lemberg nehmen einen ra¬ schen Fortgang, so daß wohl im nächsten Frühling die Erdarbeitrn werben beginnen können. Bei der steigenden Noth unter den Land¬ leuten, welche wirklich mitunter an das Gräßliche streift, würde die Gelegenheit zum Verdienst von denselben mit Begierde ergrissen wer- 52 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/419>, abgerufen am 29.05.2024.