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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ger spöttischen Tone zu sprechen, sagte Cugenie, denn ich bin sehr
verdrießlich. In keinem dieser Bücher ist irgend eine biographi¬
sche Skizze oder Charakteristik ihrer Dichterinnen zu finden, und
es wäre doch interessant zu wissen, wie diese Frauen dahingekom-
men, die Feder zu ergreifen, und welche große Schicksale sie ge¬
habt, bis sie all die tiefen Erfahrungen gesammelt. Nicht einmal
die Porträts der Frauen sind beigegeben, und das Gesicht des
Dichters ist doch meist sein bester Commentar!

O! rief ich mit einer Miene so ernst als möglich, was die
Schicksale unserer Dichterinnen und Schriftstellerinnen betrifft, so
kann ich Ihnen die beste Auskunft geben über die meisten von ih¬
nen. Mit eilf Jahren konnten sie schon alle lesen und schreiben;
dann kam eine Gouvernante ins Haus und sie lernten französisch
und lasen die Briefe der Frau v. 8"jvixn">. Weltgeschichte erfuh¬
ren sie aus Nösseltö Buche für die Töchterschulen. So wurden
sie sechszehn Jahre alt; da kam das Schicksal über sie. Sie hal¬
len ein interessantes schnurrbärtiges vis -t vis, so eine Art Lara
oder Trenmor, da lernten sie Briefe schreiben. Trenmor oder Lara
reisten ab, oder die Mutter kam dahinter, und die Briefe hörten
auf. Indessen hatten sie die tiefe Erfahrung gemacht, daß sie
schreiben können, so schrieben sie denn in Gottes Namen weiter.
Was die Porträts betrifft, so haben sie gewiß auch nicht viel ver¬
loren; die Schönen sind häßlicher oder nicht getroffen, die Häßli¬
chen sind geschmeichelt, ihre Toilette aber können Sie am besten aus
ihren Werken kennen lernen. In den sämmtlichen Büchern der
Gräfin Hahn kommt jedes Stück ihrer Garderobe vor, wie in
Dantes göttlicher Komödie jeder Held des Mittelalters. Sie wer¬
den doch das grüne Pelzchen kennen, das literarhistorische?! Von
tieferen Charakterzügen sind die remarkabelsten, daß die meisten
selbst rauchen, oder wenigstens Cigarrendampf, als wäre es e-in <Jo
^otoAiiv ertragen können, gewiß rührend schön -- und endlich,
daß sie alle blanke, weiße Strümpfe tragen, und nicht, wie die
Nerläumdung sagt, blaue. Im Gegentheil, sie können gär nicht
von blauen Strünrpfen sprechen hören, und wenn sie an einer
Strumpfhandlung vorübergehen, und es hängt zufällig ein Paar
draußen, das die Farbe des südlichen Himmels trägt, wenden sie
sich mit empörtem, zugleich schmerzlichem Gesichte ab. Ihren ge-


ger spöttischen Tone zu sprechen, sagte Cugenie, denn ich bin sehr
verdrießlich. In keinem dieser Bücher ist irgend eine biographi¬
sche Skizze oder Charakteristik ihrer Dichterinnen zu finden, und
es wäre doch interessant zu wissen, wie diese Frauen dahingekom-
men, die Feder zu ergreifen, und welche große Schicksale sie ge¬
habt, bis sie all die tiefen Erfahrungen gesammelt. Nicht einmal
die Porträts der Frauen sind beigegeben, und das Gesicht des
Dichters ist doch meist sein bester Commentar!

O! rief ich mit einer Miene so ernst als möglich, was die
Schicksale unserer Dichterinnen und Schriftstellerinnen betrifft, so
kann ich Ihnen die beste Auskunft geben über die meisten von ih¬
nen. Mit eilf Jahren konnten sie schon alle lesen und schreiben;
dann kam eine Gouvernante ins Haus und sie lernten französisch
und lasen die Briefe der Frau v. 8«jvixn«>. Weltgeschichte erfuh¬
ren sie aus Nösseltö Buche für die Töchterschulen. So wurden
sie sechszehn Jahre alt; da kam das Schicksal über sie. Sie hal¬
len ein interessantes schnurrbärtiges vis -t vis, so eine Art Lara
oder Trenmor, da lernten sie Briefe schreiben. Trenmor oder Lara
reisten ab, oder die Mutter kam dahinter, und die Briefe hörten
auf. Indessen hatten sie die tiefe Erfahrung gemacht, daß sie
schreiben können, so schrieben sie denn in Gottes Namen weiter.
Was die Porträts betrifft, so haben sie gewiß auch nicht viel ver¬
loren; die Schönen sind häßlicher oder nicht getroffen, die Häßli¬
chen sind geschmeichelt, ihre Toilette aber können Sie am besten aus
ihren Werken kennen lernen. In den sämmtlichen Büchern der
Gräfin Hahn kommt jedes Stück ihrer Garderobe vor, wie in
Dantes göttlicher Komödie jeder Held des Mittelalters. Sie wer¬
den doch das grüne Pelzchen kennen, das literarhistorische?! Von
tieferen Charakterzügen sind die remarkabelsten, daß die meisten
selbst rauchen, oder wenigstens Cigarrendampf, als wäre es e-in <Jo
^otoAiiv ertragen können, gewiß rührend schön — und endlich,
daß sie alle blanke, weiße Strümpfe tragen, und nicht, wie die
Nerläumdung sagt, blaue. Im Gegentheil, sie können gär nicht
von blauen Strünrpfen sprechen hören, und wenn sie an einer
Strumpfhandlung vorübergehen, und es hängt zufällig ein Paar
draußen, das die Farbe des südlichen Himmels trägt, wenden sie
sich mit empörtem, zugleich schmerzlichem Gesichte ab. Ihren ge-


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[0434] ger spöttischen Tone zu sprechen, sagte Cugenie, denn ich bin sehr verdrießlich. In keinem dieser Bücher ist irgend eine biographi¬ sche Skizze oder Charakteristik ihrer Dichterinnen zu finden, und es wäre doch interessant zu wissen, wie diese Frauen dahingekom- men, die Feder zu ergreifen, und welche große Schicksale sie ge¬ habt, bis sie all die tiefen Erfahrungen gesammelt. Nicht einmal die Porträts der Frauen sind beigegeben, und das Gesicht des Dichters ist doch meist sein bester Commentar! O! rief ich mit einer Miene so ernst als möglich, was die Schicksale unserer Dichterinnen und Schriftstellerinnen betrifft, so kann ich Ihnen die beste Auskunft geben über die meisten von ih¬ nen. Mit eilf Jahren konnten sie schon alle lesen und schreiben; dann kam eine Gouvernante ins Haus und sie lernten französisch und lasen die Briefe der Frau v. 8«jvixn«>. Weltgeschichte erfuh¬ ren sie aus Nösseltö Buche für die Töchterschulen. So wurden sie sechszehn Jahre alt; da kam das Schicksal über sie. Sie hal¬ len ein interessantes schnurrbärtiges vis -t vis, so eine Art Lara oder Trenmor, da lernten sie Briefe schreiben. Trenmor oder Lara reisten ab, oder die Mutter kam dahinter, und die Briefe hörten auf. Indessen hatten sie die tiefe Erfahrung gemacht, daß sie schreiben können, so schrieben sie denn in Gottes Namen weiter. Was die Porträts betrifft, so haben sie gewiß auch nicht viel ver¬ loren; die Schönen sind häßlicher oder nicht getroffen, die Häßli¬ chen sind geschmeichelt, ihre Toilette aber können Sie am besten aus ihren Werken kennen lernen. In den sämmtlichen Büchern der Gräfin Hahn kommt jedes Stück ihrer Garderobe vor, wie in Dantes göttlicher Komödie jeder Held des Mittelalters. Sie wer¬ den doch das grüne Pelzchen kennen, das literarhistorische?! Von tieferen Charakterzügen sind die remarkabelsten, daß die meisten selbst rauchen, oder wenigstens Cigarrendampf, als wäre es e-in <Jo ^otoAiiv ertragen können, gewiß rührend schön — und endlich, daß sie alle blanke, weiße Strümpfe tragen, und nicht, wie die Nerläumdung sagt, blaue. Im Gegentheil, sie können gär nicht von blauen Strünrpfen sprechen hören, und wenn sie an einer Strumpfhandlung vorübergehen, und es hängt zufällig ein Paar draußen, das die Farbe des südlichen Himmels trägt, wenden sie sich mit empörtem, zugleich schmerzlichem Gesichte ab. Ihren ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/434>, abgerufen am 14.05.2024.