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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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möchte es nothwendig sein, daß sich ein aufgeklärter und patriotisch füh¬
lender Mann aus unserer Aristokratie an die Spitze der neuen
Schöpfung stelle, denn Ungarn ist einmal ein wesentlich aristokratisch
organisirtes Land, in dem, wie die Sachen jetzt stehen, nie etwas
Großartiges gedeihen wird, ohne den Schutz und Vortritt irgend eines
populären und glänzenden Mannes des hohen Adels. Daß die Sta¬
tuten in einem lieberalen Geist abgefaßt werden und das Patronats-
ivesen nicht die Oberhand gewinne, wie dies leider in Wien der Fall
ist, Ware sodann die zweite, nicht minder wichtige Hauptbedingung
zum einstigen Gedeihen des lungen Instituts.

Ungarns Seidenzucht will durchaus nicht jenen Aufschwung neh¬
men, den sie in Berücksichtigung der gebotenen Verhältnisse leicht
nehmen könnte, und wenn sich die Schreckensgerüchte von dem Sei¬
denbau in China und Indien bestätigen, wie es allen Anschein hat,
so dürste freilich ihr Todesstündlein geschlagen haben. Im letzten
Jahre betrug die von dem Großhandlungshause Hoffmann von Hoff-
mannsthal übernommene Einlösung der in Ungarn erzeugten Seide
l6I,28V Pfund Galettcn, wofür die Summe von 99,170 Gulden
C. M. aus bezahlt wurde, so daß das Pfund auf 36 Kreuzer zu
stehen kam. Da nun 12 Pf. Galetten auf 1 Pfund reiner Seide
gerechnet wird, so ergiebt sich ein Gesammterträgniß von 1400 Zent¬
ner, der Zentner zu 7^ si. ungefähr. Die ungarische Seide ist nichts
weniger als ausgezeichnet, woran wohl hauptsächlich die nachlässige
Behandlung der Cocons Schuld sein mag, denn der ungarische Land¬
wirth besitzt durchaus nicht jene zarte und emsige Sorgfalt, die zu einer¬
lohnenden Pflege dieses Ecwerbszweiges nöthig ist, und beschäftigt sich
allzuviel mit rauhen Arbeiten und mit Züchtungen, die nur geringe Auf¬
merksamkeit erfordern. Man hat bemerkt, daß zu einer glücklichen
Pflege des Seioenwurms eine gewisse Stufe der Civilisation und all¬
gemeinen Volksbildung erforderlich ist, welche hier im Großen noch
lange nicht gefunden wird und so mag sich denn der Ungar bis auf
Weiteres mehr auf Viehzucht und Tabaksbau werfen, als auf Sei-
denzucht und Luxusindustrie.

Es erhält sich fortwährend das Gerücht, daß der Reichstag im
Frühling des nächsten Jahres in Preßburg zusammenberufen werden
solle, um einige wichtige Fragen der materiellen Landeswohlfahrt ins
Reine zu bringen, vor allem die Besteuerungsfrage und sodann das
Zollsystem an der Grenze der deutschen Erbländer. Die Regierung
wird es sich ohne Zweifel sehr angelegen sein lassen, Ungarn von der
unfruchtbaren Bahn der staatstheoretischen Streitigkeiten auf den Weg
der materiellen Interessen abzulenken, und in der That dürfte dem
Lande Glück zu wünschen sein, sobald es dem vereinten Bestreben
der Negierung unb der Stände gelänge, ohne Beeinträchtigung der
Konstitutionellen Freiheiten, der Nation eine minder abnorme Seel-


möchte es nothwendig sein, daß sich ein aufgeklärter und patriotisch füh¬
lender Mann aus unserer Aristokratie an die Spitze der neuen
Schöpfung stelle, denn Ungarn ist einmal ein wesentlich aristokratisch
organisirtes Land, in dem, wie die Sachen jetzt stehen, nie etwas
Großartiges gedeihen wird, ohne den Schutz und Vortritt irgend eines
populären und glänzenden Mannes des hohen Adels. Daß die Sta¬
tuten in einem lieberalen Geist abgefaßt werden und das Patronats-
ivesen nicht die Oberhand gewinne, wie dies leider in Wien der Fall
ist, Ware sodann die zweite, nicht minder wichtige Hauptbedingung
zum einstigen Gedeihen des lungen Instituts.

Ungarns Seidenzucht will durchaus nicht jenen Aufschwung neh¬
men, den sie in Berücksichtigung der gebotenen Verhältnisse leicht
nehmen könnte, und wenn sich die Schreckensgerüchte von dem Sei¬
denbau in China und Indien bestätigen, wie es allen Anschein hat,
so dürste freilich ihr Todesstündlein geschlagen haben. Im letzten
Jahre betrug die von dem Großhandlungshause Hoffmann von Hoff-
mannsthal übernommene Einlösung der in Ungarn erzeugten Seide
l6I,28V Pfund Galettcn, wofür die Summe von 99,170 Gulden
C. M. aus bezahlt wurde, so daß das Pfund auf 36 Kreuzer zu
stehen kam. Da nun 12 Pf. Galetten auf 1 Pfund reiner Seide
gerechnet wird, so ergiebt sich ein Gesammterträgniß von 1400 Zent¬
ner, der Zentner zu 7^ si. ungefähr. Die ungarische Seide ist nichts
weniger als ausgezeichnet, woran wohl hauptsächlich die nachlässige
Behandlung der Cocons Schuld sein mag, denn der ungarische Land¬
wirth besitzt durchaus nicht jene zarte und emsige Sorgfalt, die zu einer¬
lohnenden Pflege dieses Ecwerbszweiges nöthig ist, und beschäftigt sich
allzuviel mit rauhen Arbeiten und mit Züchtungen, die nur geringe Auf¬
merksamkeit erfordern. Man hat bemerkt, daß zu einer glücklichen
Pflege des Seioenwurms eine gewisse Stufe der Civilisation und all¬
gemeinen Volksbildung erforderlich ist, welche hier im Großen noch
lange nicht gefunden wird und so mag sich denn der Ungar bis auf
Weiteres mehr auf Viehzucht und Tabaksbau werfen, als auf Sei-
denzucht und Luxusindustrie.

Es erhält sich fortwährend das Gerücht, daß der Reichstag im
Frühling des nächsten Jahres in Preßburg zusammenberufen werden
solle, um einige wichtige Fragen der materiellen Landeswohlfahrt ins
Reine zu bringen, vor allem die Besteuerungsfrage und sodann das
Zollsystem an der Grenze der deutschen Erbländer. Die Regierung
wird es sich ohne Zweifel sehr angelegen sein lassen, Ungarn von der
unfruchtbaren Bahn der staatstheoretischen Streitigkeiten auf den Weg
der materiellen Interessen abzulenken, und in der That dürfte dem
Lande Glück zu wünschen sein, sobald es dem vereinten Bestreben
der Negierung unb der Stände gelänge, ohne Beeinträchtigung der
Konstitutionellen Freiheiten, der Nation eine minder abnorme Seel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/44>, abgerufen am 15.05.2024.