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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Leser einen Blick werfen zu lassen. Wir glauben, der. Artikel "dje
Czechen im Salon" (s. Heft 9. l. I.) den wir aus dieser Rücksicht
aufnahmen, liefert ein ganz artiges Pröbchen von Unduldsamkeit.
Gestehen wir es nur unverholen, der slawische Ultra hat sich liebens¬
würdiger und menschlicher bewiesen, als unser deutscher Landsmann.
Der Umstand, daß wir seinen Artikel im eigenen Blatte brachten,
soll uns nicht abhalten die gewaltsame, übermüthige, ja sagen wir es
frei heraus, rohe Gesinnung desselben zu würdigen. Der Slawe
(in Nun. 52.) der uns großmüthiger Weise seinen gnädigen Schutz
verspricht, ist im Grunde komisch, aber ein gutmüthiger Phantast;
allein der Deutsche (in Nun. 9.) ist lieblos, hartherzig, und im In¬
teresse deutscher Bildung und Fortschritte in Böhmen müssen wir aus¬
rufen i Gott, behüte uns vor unsern Freunden! -- Die Zeit der
Germanisirung durch Gewaltstreiche ist Gott sei Dank Vorüber; will
man die Slawen von dem höhern Grade deutscher Bildung überzeu¬
gen, so sei man vor allem gebildet. Mit kosackischen Gencralprin-
cipien um sich zu schlagen, heißt für Deutschland gar schlechte Pro¬
paganda machen. "Böhmen wird deutsch werden, muß deutsch wer¬
den!" ruft der Herr Einsender aus. Solche Sprache war vielleicht
an der Zeit vor zweihundert Jahren, als man das deutsche Anrecht
an Böhmen durch spanische Bekehrungstruppen bewies, als eS auf
eine Gewaltthat mehr oder weniger nicht ankam. Ja, Böhmen mit
Gewalt deutsch zu machen war im vorigen Jahrhundert weniger grau¬
sam als es jetzt Ware; im vorigen Jahrhundert, wo der Geist der
Nationalitäten nicht so lebendig und selbstbewußt durch die Geschichte
schritt wie jetzt. Einen Schlafenden, einen Kranken kann man ohne
seinen Willen aus einem Zimmer ins andere tragen; einen Wachen¬
den und Gesunden muß man überreden und gewinnen. -- Wir glau¬
ben, der Leser wird nun ungefähr einen Begriff von der Stimmung
haben, welche bei den Ultras beider Nationalitäten in Böhmen herrscht.
Nachdem wir endlich noch der Stimme in Ur. 10 ("Noch etwas von
der czechischen Nationalität") welche in Prag selbst zum Schweigen
verurtheilt war, die Zuflucht welche sie bei uns suchte, gegönnt, wollen
wir, bis wir positivere Nachweise über den Stand des Czechismus und
des Deutschthums in Böhmen zu liefern im Stande sind, die Pole¬
mik über diese Frage in diesen Blättern schweigen und die zahlreichen
Erklärungen, die uns von Prager Vorkämpfern und Nordeclamatoren
deutscher und czechischer Bewegung zukommen, ungedruckt lassen; beide
Theile bewegen sich noch zu sehr im Allgemeinen, sagen daher nicht
viel Neues, während ihre Leidenschaft so wenig parlamentarisch ist,
daß die Redaction jeden Augenblick mit breiten Auseinandersetzungen
interveniren müßte.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Knranda.
Druck von Friedrich Andrä.

Leser einen Blick werfen zu lassen. Wir glauben, der. Artikel „dje
Czechen im Salon" (s. Heft 9. l. I.) den wir aus dieser Rücksicht
aufnahmen, liefert ein ganz artiges Pröbchen von Unduldsamkeit.
Gestehen wir es nur unverholen, der slawische Ultra hat sich liebens¬
würdiger und menschlicher bewiesen, als unser deutscher Landsmann.
Der Umstand, daß wir seinen Artikel im eigenen Blatte brachten,
soll uns nicht abhalten die gewaltsame, übermüthige, ja sagen wir es
frei heraus, rohe Gesinnung desselben zu würdigen. Der Slawe
(in Nun. 52.) der uns großmüthiger Weise seinen gnädigen Schutz
verspricht, ist im Grunde komisch, aber ein gutmüthiger Phantast;
allein der Deutsche (in Nun. 9.) ist lieblos, hartherzig, und im In¬
teresse deutscher Bildung und Fortschritte in Böhmen müssen wir aus¬
rufen i Gott, behüte uns vor unsern Freunden! — Die Zeit der
Germanisirung durch Gewaltstreiche ist Gott sei Dank Vorüber; will
man die Slawen von dem höhern Grade deutscher Bildung überzeu¬
gen, so sei man vor allem gebildet. Mit kosackischen Gencralprin-
cipien um sich zu schlagen, heißt für Deutschland gar schlechte Pro¬
paganda machen. „Böhmen wird deutsch werden, muß deutsch wer¬
den!" ruft der Herr Einsender aus. Solche Sprache war vielleicht
an der Zeit vor zweihundert Jahren, als man das deutsche Anrecht
an Böhmen durch spanische Bekehrungstruppen bewies, als eS auf
eine Gewaltthat mehr oder weniger nicht ankam. Ja, Böhmen mit
Gewalt deutsch zu machen war im vorigen Jahrhundert weniger grau¬
sam als es jetzt Ware; im vorigen Jahrhundert, wo der Geist der
Nationalitäten nicht so lebendig und selbstbewußt durch die Geschichte
schritt wie jetzt. Einen Schlafenden, einen Kranken kann man ohne
seinen Willen aus einem Zimmer ins andere tragen; einen Wachen¬
den und Gesunden muß man überreden und gewinnen. — Wir glau¬
ben, der Leser wird nun ungefähr einen Begriff von der Stimmung
haben, welche bei den Ultras beider Nationalitäten in Böhmen herrscht.
Nachdem wir endlich noch der Stimme in Ur. 10 („Noch etwas von
der czechischen Nationalität") welche in Prag selbst zum Schweigen
verurtheilt war, die Zuflucht welche sie bei uns suchte, gegönnt, wollen
wir, bis wir positivere Nachweise über den Stand des Czechismus und
des Deutschthums in Böhmen zu liefern im Stande sind, die Pole¬
mik über diese Frage in diesen Blättern schweigen und die zahlreichen
Erklärungen, die uns von Prager Vorkämpfern und Nordeclamatoren
deutscher und czechischer Bewegung zukommen, ungedruckt lassen; beide
Theile bewegen sich noch zu sehr im Allgemeinen, sagen daher nicht
viel Neues, während ihre Leidenschaft so wenig parlamentarisch ist,
daß die Redaction jeden Augenblick mit breiten Auseinandersetzungen
interveniren müßte.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. — Redacteur I. Knranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0524] Leser einen Blick werfen zu lassen. Wir glauben, der. Artikel „dje Czechen im Salon" (s. Heft 9. l. I.) den wir aus dieser Rücksicht aufnahmen, liefert ein ganz artiges Pröbchen von Unduldsamkeit. Gestehen wir es nur unverholen, der slawische Ultra hat sich liebens¬ würdiger und menschlicher bewiesen, als unser deutscher Landsmann. Der Umstand, daß wir seinen Artikel im eigenen Blatte brachten, soll uns nicht abhalten die gewaltsame, übermüthige, ja sagen wir es frei heraus, rohe Gesinnung desselben zu würdigen. Der Slawe (in Nun. 52.) der uns großmüthiger Weise seinen gnädigen Schutz verspricht, ist im Grunde komisch, aber ein gutmüthiger Phantast; allein der Deutsche (in Nun. 9.) ist lieblos, hartherzig, und im In¬ teresse deutscher Bildung und Fortschritte in Böhmen müssen wir aus¬ rufen i Gott, behüte uns vor unsern Freunden! — Die Zeit der Germanisirung durch Gewaltstreiche ist Gott sei Dank Vorüber; will man die Slawen von dem höhern Grade deutscher Bildung überzeu¬ gen, so sei man vor allem gebildet. Mit kosackischen Gencralprin- cipien um sich zu schlagen, heißt für Deutschland gar schlechte Pro¬ paganda machen. „Böhmen wird deutsch werden, muß deutsch wer¬ den!" ruft der Herr Einsender aus. Solche Sprache war vielleicht an der Zeit vor zweihundert Jahren, als man das deutsche Anrecht an Böhmen durch spanische Bekehrungstruppen bewies, als eS auf eine Gewaltthat mehr oder weniger nicht ankam. Ja, Böhmen mit Gewalt deutsch zu machen war im vorigen Jahrhundert weniger grau¬ sam als es jetzt Ware; im vorigen Jahrhundert, wo der Geist der Nationalitäten nicht so lebendig und selbstbewußt durch die Geschichte schritt wie jetzt. Einen Schlafenden, einen Kranken kann man ohne seinen Willen aus einem Zimmer ins andere tragen; einen Wachen¬ den und Gesunden muß man überreden und gewinnen. — Wir glau¬ ben, der Leser wird nun ungefähr einen Begriff von der Stimmung haben, welche bei den Ultras beider Nationalitäten in Böhmen herrscht. Nachdem wir endlich noch der Stimme in Ur. 10 („Noch etwas von der czechischen Nationalität") welche in Prag selbst zum Schweigen verurtheilt war, die Zuflucht welche sie bei uns suchte, gegönnt, wollen wir, bis wir positivere Nachweise über den Stand des Czechismus und des Deutschthums in Böhmen zu liefern im Stande sind, die Pole¬ mik über diese Frage in diesen Blättern schweigen und die zahlreichen Erklärungen, die uns von Prager Vorkämpfern und Nordeclamatoren deutscher und czechischer Bewegung zukommen, ungedruckt lassen; beide Theile bewegen sich noch zu sehr im Allgemeinen, sagen daher nicht viel Neues, während ihre Leidenschaft so wenig parlamentarisch ist, daß die Redaction jeden Augenblick mit breiten Auseinandersetzungen interveniren müßte. Verlag von Fr.Ludw. Herbig. — Redacteur I. Knranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/524>, abgerufen am 14.05.2024.