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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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sie in der Bibliothek zu jeweiligem Wiedergebrauch -- freilich manch¬
mal auch nur um des Titels willen -- aufgestellt werden, oder
ob man sie spater gänzlich vergißt. Leipzig hat keinen Autoritäts-
glauben und keine nachhaltige Pietät. Darum ist's auch so gün¬
stig für das emporstrebende wirkliche Talent in jeder Sphäre des
Lebens und so gefährlich für die gemachte Größe. Weil für Alles
empfänglich, haftet es an nichts mit ausschließender Vorliebe; weil
zu vielseitig angeregt, kommt es nach keiner Seite hin zu einer
einseitigen Richtung. Es giebt vielleicht kaum eine zweite Gesell¬
schaft in einer gleich großen Stadt Deutschlands, welche darin der
Leipziger an die Seite zu stellen wäre, und darum mag ihre Zu¬
kunft , grad unter den neuen Weltverhältnissen, wenn die Stadt in
gleicher Progression, wie während des letzten Jahrzehend mate¬
riell fortwächst, von weitster Bedeutung erscheinen. Geld und
Geist haben in ihr eine ziemlich paritätische Geltung, Wissen¬
schaft und Kunst sind in ihr eben so reich vertreten, als das rein
praktische und materielle Leben. Aus der Menge ihrer jungen Ele¬
mente und deren nicht unbedeutendem Einfluß kommt ihr immer
und immer eine erfrischende Atmossphäre. Sie ist nicht reich ge¬
nug, um rücksichtö- und theilnahmlos gegen die ursprünglich nicht
zu ihr gehörigen Kreise sich auf ihre Geldkisten zu sehen, sie ist
in ihren bürgerlichen Elementen dagegen zu wohlhabend und zu
unabhängig, um die materielle Macht der Geburtsaristokratie eine
Oberhand gewinnen zu lassen. Dennoch darf keines ihrer Bestand¬
theile sich des Kampfes um seine Geltung begeben, und daraus
erwächst ihre fortdauernde Regsamkeit und ihr frisches Leben.




sie in der Bibliothek zu jeweiligem Wiedergebrauch — freilich manch¬
mal auch nur um des Titels willen — aufgestellt werden, oder
ob man sie spater gänzlich vergißt. Leipzig hat keinen Autoritäts-
glauben und keine nachhaltige Pietät. Darum ist's auch so gün¬
stig für das emporstrebende wirkliche Talent in jeder Sphäre des
Lebens und so gefährlich für die gemachte Größe. Weil für Alles
empfänglich, haftet es an nichts mit ausschließender Vorliebe; weil
zu vielseitig angeregt, kommt es nach keiner Seite hin zu einer
einseitigen Richtung. Es giebt vielleicht kaum eine zweite Gesell¬
schaft in einer gleich großen Stadt Deutschlands, welche darin der
Leipziger an die Seite zu stellen wäre, und darum mag ihre Zu¬
kunft , grad unter den neuen Weltverhältnissen, wenn die Stadt in
gleicher Progression, wie während des letzten Jahrzehend mate¬
riell fortwächst, von weitster Bedeutung erscheinen. Geld und
Geist haben in ihr eine ziemlich paritätische Geltung, Wissen¬
schaft und Kunst sind in ihr eben so reich vertreten, als das rein
praktische und materielle Leben. Aus der Menge ihrer jungen Ele¬
mente und deren nicht unbedeutendem Einfluß kommt ihr immer
und immer eine erfrischende Atmossphäre. Sie ist nicht reich ge¬
nug, um rücksichtö- und theilnahmlos gegen die ursprünglich nicht
zu ihr gehörigen Kreise sich auf ihre Geldkisten zu sehen, sie ist
in ihren bürgerlichen Elementen dagegen zu wohlhabend und zu
unabhängig, um die materielle Macht der Geburtsaristokratie eine
Oberhand gewinnen zu lassen. Dennoch darf keines ihrer Bestand¬
theile sich des Kampfes um seine Geltung begeben, und daraus
erwächst ihre fortdauernde Regsamkeit und ihr frisches Leben.




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[0550] sie in der Bibliothek zu jeweiligem Wiedergebrauch — freilich manch¬ mal auch nur um des Titels willen — aufgestellt werden, oder ob man sie spater gänzlich vergißt. Leipzig hat keinen Autoritäts- glauben und keine nachhaltige Pietät. Darum ist's auch so gün¬ stig für das emporstrebende wirkliche Talent in jeder Sphäre des Lebens und so gefährlich für die gemachte Größe. Weil für Alles empfänglich, haftet es an nichts mit ausschließender Vorliebe; weil zu vielseitig angeregt, kommt es nach keiner Seite hin zu einer einseitigen Richtung. Es giebt vielleicht kaum eine zweite Gesell¬ schaft in einer gleich großen Stadt Deutschlands, welche darin der Leipziger an die Seite zu stellen wäre, und darum mag ihre Zu¬ kunft , grad unter den neuen Weltverhältnissen, wenn die Stadt in gleicher Progression, wie während des letzten Jahrzehend mate¬ riell fortwächst, von weitster Bedeutung erscheinen. Geld und Geist haben in ihr eine ziemlich paritätische Geltung, Wissen¬ schaft und Kunst sind in ihr eben so reich vertreten, als das rein praktische und materielle Leben. Aus der Menge ihrer jungen Ele¬ mente und deren nicht unbedeutendem Einfluß kommt ihr immer und immer eine erfrischende Atmossphäre. Sie ist nicht reich ge¬ nug, um rücksichtö- und theilnahmlos gegen die ursprünglich nicht zu ihr gehörigen Kreise sich auf ihre Geldkisten zu sehen, sie ist in ihren bürgerlichen Elementen dagegen zu wohlhabend und zu unabhängig, um die materielle Macht der Geburtsaristokratie eine Oberhand gewinnen zu lassen. Dennoch darf keines ihrer Bestand¬ theile sich des Kampfes um seine Geltung begeben, und daraus erwächst ihre fortdauernde Regsamkeit und ihr frisches Leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/550>, abgerufen am 15.05.2024.