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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Blicke zu unterscheiden wissen. Etwas Gutes, Praktisch-Nützliches,
wird ihnen durch eine gehässige Polemik selten verleidet. So nahm
auch die Actienzeichnung zu der hier in Rede stehenden Entreprise ei¬
nen ungehindert günstigen Fortgang; es konnte demnach der sehr
theure Bau von drei Dampfschiffen in England betrieben werden
und ein viertes wird vermuthlich im Laufe des Sommers dort her¬
gestellt.

Während dieses kostspielige, in unsere merkantilischen Beziehun¬
gen zu England tief eingreifende Unternehmen so rasche und ersprie߬
liche Theilnahme gefunden, strengt man sich in Akkon" vergebens an,
zwischen dieser Stadt und dem gegenüberliegenden Harburg eine
Dampfschifffahrtsverbindung zu Stande zu bringen. Bisher fanden
nur von hier aus nach jenem Orte directe Fahrten Statt. Warum
sollten aber die Hamburger nicht einmal von ihrer Nachbarstadt eine
Concurrenz zu erdulden haben? Bieten wir den dänischen Holsteinern
doch unablässige gefährliche Concurrenz in so mancher Beziehung.
Nehmen wir nur einmal den Fremdenbesuch. Was in Altona an¬
langt, wird von dem großen Polyp Hamburg mit seinen hundert Glied¬
maßen schnell an sich gerissen. Vergnügen, Geschäfte, bunt wechseln¬
der Lebensgenuß, wohlfeile Zerstreuungen im Beobachten unsers Stra¬
ßen- und Hafentreibens -- was trägt nicht alles dazu bei, den guten
Altonaern ihre Gäste nach Hamburg zu entführen! Man denke nicht,
daß wir deßhalb auch nur ein dankendes Kopfnicken schuldig zu sein
glauben. Es muß so sein. Es steht im Buche des Schicksals und
der Städtescheidung so geschrieben. Hamburgs Nahrungsquellen wer¬
den durch Eröffnung der Berlin-Hamburger und der Hamburg Han-
növerschen Eisenbahn sich noch merklich erweitern. Die Strömungen,
das Austauschen von Menschen und Waaren --- im ausgedehntesten
Sinne -- dürsten zwischen den angegebenen Punkten erstaunlich leb¬
haft werden. Wissen Sie aber, daß uns Hamburgern in Bezug auf
die Berliner eine seltsame Furcht heimsucht, die mehr und mehr
wächst, je näher wir der Eröffnung jener Eisenstraße kommen. Es
ist die Austern- und Gemüsefurcht! Sie lachen? El, zu frühzeitig.
Nur zu sehr läßt sich jene Besorgnis) und der dafür gewählte Aus¬
druck rechtfertigen. Was zum Henker, wär' es nicht ein abscheuli¬
ches Malheur, wenn die hungrigen Berliner mit ihren Sandmägen
uns die Austernl'erge on nasse verschlängen, oder zum Nimmerwie¬
dersehen verpflanzten in das märkische Paradies? -- Und die köstli¬
chen Gemüse, d'e üppigen Grünsrüchte, welche aus den fetten Gar¬
tenlauben der Umgegend Hamburgs auf unsern Markt kommen, wie
werden allein die Berliner Hotelbesitzer eilen, sich für ihr preußisches
Publicum dieser Herrlichkeiten zu bemächtigen. Ganze Frachtwagen
voll seh' ich schon im Geiste entführen und am Ende eine Karavane
von Vierlanderinnen, von Altländerinnen u. s. w. in ihren diversen


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Blicke zu unterscheiden wissen. Etwas Gutes, Praktisch-Nützliches,
wird ihnen durch eine gehässige Polemik selten verleidet. So nahm
auch die Actienzeichnung zu der hier in Rede stehenden Entreprise ei¬
nen ungehindert günstigen Fortgang; es konnte demnach der sehr
theure Bau von drei Dampfschiffen in England betrieben werden
und ein viertes wird vermuthlich im Laufe des Sommers dort her¬
gestellt.

Während dieses kostspielige, in unsere merkantilischen Beziehun¬
gen zu England tief eingreifende Unternehmen so rasche und ersprie߬
liche Theilnahme gefunden, strengt man sich in Akkon« vergebens an,
zwischen dieser Stadt und dem gegenüberliegenden Harburg eine
Dampfschifffahrtsverbindung zu Stande zu bringen. Bisher fanden
nur von hier aus nach jenem Orte directe Fahrten Statt. Warum
sollten aber die Hamburger nicht einmal von ihrer Nachbarstadt eine
Concurrenz zu erdulden haben? Bieten wir den dänischen Holsteinern
doch unablässige gefährliche Concurrenz in so mancher Beziehung.
Nehmen wir nur einmal den Fremdenbesuch. Was in Altona an¬
langt, wird von dem großen Polyp Hamburg mit seinen hundert Glied¬
maßen schnell an sich gerissen. Vergnügen, Geschäfte, bunt wechseln¬
der Lebensgenuß, wohlfeile Zerstreuungen im Beobachten unsers Stra¬
ßen- und Hafentreibens — was trägt nicht alles dazu bei, den guten
Altonaern ihre Gäste nach Hamburg zu entführen! Man denke nicht,
daß wir deßhalb auch nur ein dankendes Kopfnicken schuldig zu sein
glauben. Es muß so sein. Es steht im Buche des Schicksals und
der Städtescheidung so geschrieben. Hamburgs Nahrungsquellen wer¬
den durch Eröffnung der Berlin-Hamburger und der Hamburg Han-
növerschen Eisenbahn sich noch merklich erweitern. Die Strömungen,
das Austauschen von Menschen und Waaren —- im ausgedehntesten
Sinne — dürsten zwischen den angegebenen Punkten erstaunlich leb¬
haft werden. Wissen Sie aber, daß uns Hamburgern in Bezug auf
die Berliner eine seltsame Furcht heimsucht, die mehr und mehr
wächst, je näher wir der Eröffnung jener Eisenstraße kommen. Es
ist die Austern- und Gemüsefurcht! Sie lachen? El, zu frühzeitig.
Nur zu sehr läßt sich jene Besorgnis) und der dafür gewählte Aus¬
druck rechtfertigen. Was zum Henker, wär' es nicht ein abscheuli¬
ches Malheur, wenn die hungrigen Berliner mit ihren Sandmägen
uns die Austernl'erge on nasse verschlängen, oder zum Nimmerwie¬
dersehen verpflanzten in das märkische Paradies? — Und die köstli¬
chen Gemüse, d'e üppigen Grünsrüchte, welche aus den fetten Gar¬
tenlauben der Umgegend Hamburgs auf unsern Markt kommen, wie
werden allein die Berliner Hotelbesitzer eilen, sich für ihr preußisches
Publicum dieser Herrlichkeiten zu bemächtigen. Ganze Frachtwagen
voll seh' ich schon im Geiste entführen und am Ende eine Karavane
von Vierlanderinnen, von Altländerinnen u. s. w. in ihren diversen


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[0567] Blicke zu unterscheiden wissen. Etwas Gutes, Praktisch-Nützliches, wird ihnen durch eine gehässige Polemik selten verleidet. So nahm auch die Actienzeichnung zu der hier in Rede stehenden Entreprise ei¬ nen ungehindert günstigen Fortgang; es konnte demnach der sehr theure Bau von drei Dampfschiffen in England betrieben werden und ein viertes wird vermuthlich im Laufe des Sommers dort her¬ gestellt. Während dieses kostspielige, in unsere merkantilischen Beziehun¬ gen zu England tief eingreifende Unternehmen so rasche und ersprie߬ liche Theilnahme gefunden, strengt man sich in Akkon« vergebens an, zwischen dieser Stadt und dem gegenüberliegenden Harburg eine Dampfschifffahrtsverbindung zu Stande zu bringen. Bisher fanden nur von hier aus nach jenem Orte directe Fahrten Statt. Warum sollten aber die Hamburger nicht einmal von ihrer Nachbarstadt eine Concurrenz zu erdulden haben? Bieten wir den dänischen Holsteinern doch unablässige gefährliche Concurrenz in so mancher Beziehung. Nehmen wir nur einmal den Fremdenbesuch. Was in Altona an¬ langt, wird von dem großen Polyp Hamburg mit seinen hundert Glied¬ maßen schnell an sich gerissen. Vergnügen, Geschäfte, bunt wechseln¬ der Lebensgenuß, wohlfeile Zerstreuungen im Beobachten unsers Stra¬ ßen- und Hafentreibens — was trägt nicht alles dazu bei, den guten Altonaern ihre Gäste nach Hamburg zu entführen! Man denke nicht, daß wir deßhalb auch nur ein dankendes Kopfnicken schuldig zu sein glauben. Es muß so sein. Es steht im Buche des Schicksals und der Städtescheidung so geschrieben. Hamburgs Nahrungsquellen wer¬ den durch Eröffnung der Berlin-Hamburger und der Hamburg Han- növerschen Eisenbahn sich noch merklich erweitern. Die Strömungen, das Austauschen von Menschen und Waaren —- im ausgedehntesten Sinne — dürsten zwischen den angegebenen Punkten erstaunlich leb¬ haft werden. Wissen Sie aber, daß uns Hamburgern in Bezug auf die Berliner eine seltsame Furcht heimsucht, die mehr und mehr wächst, je näher wir der Eröffnung jener Eisenstraße kommen. Es ist die Austern- und Gemüsefurcht! Sie lachen? El, zu frühzeitig. Nur zu sehr läßt sich jene Besorgnis) und der dafür gewählte Aus¬ druck rechtfertigen. Was zum Henker, wär' es nicht ein abscheuli¬ ches Malheur, wenn die hungrigen Berliner mit ihren Sandmägen uns die Austernl'erge on nasse verschlängen, oder zum Nimmerwie¬ dersehen verpflanzten in das märkische Paradies? — Und die köstli¬ chen Gemüse, d'e üppigen Grünsrüchte, welche aus den fetten Gar¬ tenlauben der Umgegend Hamburgs auf unsern Markt kommen, wie werden allein die Berliner Hotelbesitzer eilen, sich für ihr preußisches Publicum dieser Herrlichkeiten zu bemächtigen. Ganze Frachtwagen voll seh' ich schon im Geiste entführen und am Ende eine Karavane von Vierlanderinnen, von Altländerinnen u. s. w. in ihren diversen 71 -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/567>, abgerufen am 14.05.2024.