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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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heimische selbst zu verschaffen? Ich antworte: das macht die Ein¬
fachheit und Strenge der bürgerlichen Lebensgewohnheit, welche dem
Handwerker, dem Kaufmanne seinen Stand, sein Geschäft lieb und
zum Lebenszwecke macht, welche ihm hilft, die schlimme Zeit zu über¬
stehen und die gute nicht zu mißbrauchen; das zurückgezogene haus¬
liche Leben, das ihm zur zweiten Natur geworden, bewahrt ihn vor
Verschwendung und Zerrüttung seiner Verhältnisse, macht es ihm
möglich, im fremden Lande zu leben, ohne sich durch die fremden
Sitten und Gewohnheiten stören und irren zu lassen, oder in Con¬
flict mit ihnen zu gerathen; er ist gewöhnlich unterrichtet genug, nicht
nur um sich von der fremden Sprache bald fo viel anzueignen, daß
ihm diese kein Hinderniß mehr in seinem Fortkommen ist, sondern
auch um selbstständiger Meister zu werden, sobald er es erschwingen
kann," --"Ja, es ist nicht zu leugnen, die Deutschen machen gute Ge¬
schäfte im Auslande; gewiß ist das für sie ganz vortrefflich, und die
deutschen Mütter können wegen der Zukunft ihrer ausgewanderten
Söhne ruhig sein..... Nun, diese guten Geschäfte, die sie machen,
ich sehe, sie sind Einzelnen nütze, doch was für ein Nutzen daraus
der Nation erwächst, bei welcher sie ihren Nutzen finden, das sehe
ich nicht..... Ich weiß wohl, daß manche Deutsche, statt erkenntlich
zu sein für die gute Aufnahme, welche wir allen Denen gewähren,
die uns Deutschland zusendet, sich einbilden, daß gar noch wir es
seien, die ihnen Dank schuldig wären; aber das ist eine Anmuthung,
die nur von der blindesten Eigenliebe gemacht werden kann -- jeder
vernünftige Mensch wird zugeben, daß Paris und London auch ohne
alle deutschen Arbeiter doch ganz das wären, was sie sind; vielleicht
ein Bißchen weniger gute Musik würden sie haben." Nach diesen
Bemerkungen geht der Verfasser dazu über, die guten Eigenschaften,
welche er als die Ursachen des Wohlergehens deutscher Colonisten an¬
geführt hat, als eben so viele Fehler zu bezeichnen: er wisse wirklich
nicht, ob er uns darum beneiden solle. "Ihr lebet", redet er unsere
Colonisten mit ziemlichem Pathos an, "mitten unter einer fremden
Nation, ohne euch mit ihr zu vermischen, stets bleibet ihr für euch
und lasset sie für sich: meinet ihr, daß das christlich gehandelt sei,
findet ihr nichts darin, was nach Egoismus schmeckt?.... Ihr trei¬
bet in fremden Ländern rationellen Landbau, leget Fabriken an, eure
Aerzte heilen die Kranken, gut, aber wenn, nach fünfzig Jahren, nach
hundert Jahren, ihr gezwungen würdet, das Land zu verlassen, so
würde alles das Gute, das ihr euretwegen gethan habt, mit euch
verschwinden. Kurland, Liefland, Esthland besitzen seit Hunderten
von Jahren einen deutschen Adel und deutsche Bürgergemeinden in
ihren Städten, aber ich wüßte nicht zu sagen, was bis auf diese
Stunde die Livcn und Esthen für Gewinn davon gehabt haben.
Adlige und bürgerliche Deutsche spielen seit langer Zeit eine bedeutende


heimische selbst zu verschaffen? Ich antworte: das macht die Ein¬
fachheit und Strenge der bürgerlichen Lebensgewohnheit, welche dem
Handwerker, dem Kaufmanne seinen Stand, sein Geschäft lieb und
zum Lebenszwecke macht, welche ihm hilft, die schlimme Zeit zu über¬
stehen und die gute nicht zu mißbrauchen; das zurückgezogene haus¬
liche Leben, das ihm zur zweiten Natur geworden, bewahrt ihn vor
Verschwendung und Zerrüttung seiner Verhältnisse, macht es ihm
möglich, im fremden Lande zu leben, ohne sich durch die fremden
Sitten und Gewohnheiten stören und irren zu lassen, oder in Con¬
flict mit ihnen zu gerathen; er ist gewöhnlich unterrichtet genug, nicht
nur um sich von der fremden Sprache bald fo viel anzueignen, daß
ihm diese kein Hinderniß mehr in seinem Fortkommen ist, sondern
auch um selbstständiger Meister zu werden, sobald er es erschwingen
kann," —„Ja, es ist nicht zu leugnen, die Deutschen machen gute Ge¬
schäfte im Auslande; gewiß ist das für sie ganz vortrefflich, und die
deutschen Mütter können wegen der Zukunft ihrer ausgewanderten
Söhne ruhig sein..... Nun, diese guten Geschäfte, die sie machen,
ich sehe, sie sind Einzelnen nütze, doch was für ein Nutzen daraus
der Nation erwächst, bei welcher sie ihren Nutzen finden, das sehe
ich nicht..... Ich weiß wohl, daß manche Deutsche, statt erkenntlich
zu sein für die gute Aufnahme, welche wir allen Denen gewähren,
die uns Deutschland zusendet, sich einbilden, daß gar noch wir es
seien, die ihnen Dank schuldig wären; aber das ist eine Anmuthung,
die nur von der blindesten Eigenliebe gemacht werden kann — jeder
vernünftige Mensch wird zugeben, daß Paris und London auch ohne
alle deutschen Arbeiter doch ganz das wären, was sie sind; vielleicht
ein Bißchen weniger gute Musik würden sie haben." Nach diesen
Bemerkungen geht der Verfasser dazu über, die guten Eigenschaften,
welche er als die Ursachen des Wohlergehens deutscher Colonisten an¬
geführt hat, als eben so viele Fehler zu bezeichnen: er wisse wirklich
nicht, ob er uns darum beneiden solle. „Ihr lebet", redet er unsere
Colonisten mit ziemlichem Pathos an, „mitten unter einer fremden
Nation, ohne euch mit ihr zu vermischen, stets bleibet ihr für euch
und lasset sie für sich: meinet ihr, daß das christlich gehandelt sei,
findet ihr nichts darin, was nach Egoismus schmeckt?.... Ihr trei¬
bet in fremden Ländern rationellen Landbau, leget Fabriken an, eure
Aerzte heilen die Kranken, gut, aber wenn, nach fünfzig Jahren, nach
hundert Jahren, ihr gezwungen würdet, das Land zu verlassen, so
würde alles das Gute, das ihr euretwegen gethan habt, mit euch
verschwinden. Kurland, Liefland, Esthland besitzen seit Hunderten
von Jahren einen deutschen Adel und deutsche Bürgergemeinden in
ihren Städten, aber ich wüßte nicht zu sagen, was bis auf diese
Stunde die Livcn und Esthen für Gewinn davon gehabt haben.
Adlige und bürgerliche Deutsche spielen seit langer Zeit eine bedeutende


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[0603] heimische selbst zu verschaffen? Ich antworte: das macht die Ein¬ fachheit und Strenge der bürgerlichen Lebensgewohnheit, welche dem Handwerker, dem Kaufmanne seinen Stand, sein Geschäft lieb und zum Lebenszwecke macht, welche ihm hilft, die schlimme Zeit zu über¬ stehen und die gute nicht zu mißbrauchen; das zurückgezogene haus¬ liche Leben, das ihm zur zweiten Natur geworden, bewahrt ihn vor Verschwendung und Zerrüttung seiner Verhältnisse, macht es ihm möglich, im fremden Lande zu leben, ohne sich durch die fremden Sitten und Gewohnheiten stören und irren zu lassen, oder in Con¬ flict mit ihnen zu gerathen; er ist gewöhnlich unterrichtet genug, nicht nur um sich von der fremden Sprache bald fo viel anzueignen, daß ihm diese kein Hinderniß mehr in seinem Fortkommen ist, sondern auch um selbstständiger Meister zu werden, sobald er es erschwingen kann," —„Ja, es ist nicht zu leugnen, die Deutschen machen gute Ge¬ schäfte im Auslande; gewiß ist das für sie ganz vortrefflich, und die deutschen Mütter können wegen der Zukunft ihrer ausgewanderten Söhne ruhig sein..... Nun, diese guten Geschäfte, die sie machen, ich sehe, sie sind Einzelnen nütze, doch was für ein Nutzen daraus der Nation erwächst, bei welcher sie ihren Nutzen finden, das sehe ich nicht..... Ich weiß wohl, daß manche Deutsche, statt erkenntlich zu sein für die gute Aufnahme, welche wir allen Denen gewähren, die uns Deutschland zusendet, sich einbilden, daß gar noch wir es seien, die ihnen Dank schuldig wären; aber das ist eine Anmuthung, die nur von der blindesten Eigenliebe gemacht werden kann — jeder vernünftige Mensch wird zugeben, daß Paris und London auch ohne alle deutschen Arbeiter doch ganz das wären, was sie sind; vielleicht ein Bißchen weniger gute Musik würden sie haben." Nach diesen Bemerkungen geht der Verfasser dazu über, die guten Eigenschaften, welche er als die Ursachen des Wohlergehens deutscher Colonisten an¬ geführt hat, als eben so viele Fehler zu bezeichnen: er wisse wirklich nicht, ob er uns darum beneiden solle. „Ihr lebet", redet er unsere Colonisten mit ziemlichem Pathos an, „mitten unter einer fremden Nation, ohne euch mit ihr zu vermischen, stets bleibet ihr für euch und lasset sie für sich: meinet ihr, daß das christlich gehandelt sei, findet ihr nichts darin, was nach Egoismus schmeckt?.... Ihr trei¬ bet in fremden Ländern rationellen Landbau, leget Fabriken an, eure Aerzte heilen die Kranken, gut, aber wenn, nach fünfzig Jahren, nach hundert Jahren, ihr gezwungen würdet, das Land zu verlassen, so würde alles das Gute, das ihr euretwegen gethan habt, mit euch verschwinden. Kurland, Liefland, Esthland besitzen seit Hunderten von Jahren einen deutschen Adel und deutsche Bürgergemeinden in ihren Städten, aber ich wüßte nicht zu sagen, was bis auf diese Stunde die Livcn und Esthen für Gewinn davon gehabt haben. Adlige und bürgerliche Deutsche spielen seit langer Zeit eine bedeutende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/603>, abgerufen am 31.05.2024.