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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Die Gesellschaft war zahlreich. Man sprach vom Theater, von Li¬
teratur, von classischer und romantischer Poesie, und namentlich bil¬
dete sich eine Gruppe um eine junge hübsche Frau von ungefähr
acht und zwanzig Jahren, die vortrefflich sprach und trotz ihrer Ele¬
ganz den Blaustrumpf ein wenig durchschimmern ließ. Das Gespräch
drehte sich um einen so eben erschienenen Band Gedichte unter dem
Titel: Poetische Pulsschläge. Die junge Dame sprach mit Begei¬
sterung von diesen Versen. Sie erzählte, der junge bisher noch ganz
unbekannte Dichter, habe bereits früher einige seiner Poesien Beran-
ger und Lamartine zugesendet und von ihnen enthusiastische Briefe
erhalten. Ein Prozeß, den er wegen einer beißenden Satyre zu er¬
leiden hatte, habe einiges Aufsehen gemacht, ohne ihn jedoch im
großen Publicum bekannt zu machen. Indessen sei es nicht zu be¬
zweifeln, daß die so eben erschienene Gedichtsammlung den ungeheuer¬
sten Erfolg haben müsse und ihn unter die ersten Dichter unserer
Zeit stelle. Die erst- Auflage sei bereits in wenigen Tagen ver¬
griffen worden und ein deutscher Fürst, ein großer Verehrer fran¬
zösischer Literatur, habe ihm einen kostbaren Brillantring zugeschickt.
Noch zu wiederholten Malen kam die reizende Frau auf ihren jungen
Dichter zurück und es gab kaum eine Person in der Gesellschaft, die
sie nicht für ihn zu interessiren wußte. Der Aufall wollte, daß ich
mich acht Tage.spater in einem andern Salon mit derselben Dame
wieder fand. Ich hörte sie wieder sprechen; es war derselbe Gegen¬
stand, der sie beschäftigte, sie schien ganz von ihm erfüllt, wie Je¬
mand, der voll Enthusiasmus ist über einen glänzenden Fund, den
er in Mitten eines ganzen Haufens literarischer Alltagserzeugnisse
entdeckt hat. Ich muß doch diese "Poetischen Pulsschläge" selbst
lesen, dachte ich mir. Ich ging am andern Morgen in die Verlags¬
handlung und erkannte in dem Verleger einen täglichen Nachbar im
I?ni. Ich verlangte ein Exemplar der Pulsschläge und erzählte
ihm zugleich von der reizenden Begeisterung der hübschen Unbekann¬
ten- Er lachte schelmisch und zwinkerte mit den Augen; ich war
nicht wenig neugierig und nach vielem Drängen und Fragen, ob er
die Dame kenne, platzte er endlich heraus: Wie sollte ich se> nicht
kennen? Sie ist ja meine Reclame. -- Ihre Reclame? -- Frei¬
lich! Sehen Sie, meine Herren Collegen, wenn sie ein neues Buch
verlegen, plagen sich seit Jahren mit kleinen Journalartikeln und
Lobnotizen, denen das Publicum keinen Glauben mehr schenkt. Darum
habe ich einen neuen Weg eingeschlagen. Ich versuche es statt mit
der gedruckten Reclame, mit einer lebendigen, die mit hübschen Augen
und verführerischen Worten von einem Salon in den andern geht
und meine Waare anpreist. Die junge Dame, die in diesem Augen¬
blicke für mich thätig ist, Sie haben sie gesehen, es ist eine Frau,
deren Schönheit und vortrefflicher Ruf sie zum Lieblinge unserer


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Die Gesellschaft war zahlreich. Man sprach vom Theater, von Li¬
teratur, von classischer und romantischer Poesie, und namentlich bil¬
dete sich eine Gruppe um eine junge hübsche Frau von ungefähr
acht und zwanzig Jahren, die vortrefflich sprach und trotz ihrer Ele¬
ganz den Blaustrumpf ein wenig durchschimmern ließ. Das Gespräch
drehte sich um einen so eben erschienenen Band Gedichte unter dem
Titel: Poetische Pulsschläge. Die junge Dame sprach mit Begei¬
sterung von diesen Versen. Sie erzählte, der junge bisher noch ganz
unbekannte Dichter, habe bereits früher einige seiner Poesien Beran-
ger und Lamartine zugesendet und von ihnen enthusiastische Briefe
erhalten. Ein Prozeß, den er wegen einer beißenden Satyre zu er¬
leiden hatte, habe einiges Aufsehen gemacht, ohne ihn jedoch im
großen Publicum bekannt zu machen. Indessen sei es nicht zu be¬
zweifeln, daß die so eben erschienene Gedichtsammlung den ungeheuer¬
sten Erfolg haben müsse und ihn unter die ersten Dichter unserer
Zeit stelle. Die erst- Auflage sei bereits in wenigen Tagen ver¬
griffen worden und ein deutscher Fürst, ein großer Verehrer fran¬
zösischer Literatur, habe ihm einen kostbaren Brillantring zugeschickt.
Noch zu wiederholten Malen kam die reizende Frau auf ihren jungen
Dichter zurück und es gab kaum eine Person in der Gesellschaft, die
sie nicht für ihn zu interessiren wußte. Der Aufall wollte, daß ich
mich acht Tage.spater in einem andern Salon mit derselben Dame
wieder fand. Ich hörte sie wieder sprechen; es war derselbe Gegen¬
stand, der sie beschäftigte, sie schien ganz von ihm erfüllt, wie Je¬
mand, der voll Enthusiasmus ist über einen glänzenden Fund, den
er in Mitten eines ganzen Haufens literarischer Alltagserzeugnisse
entdeckt hat. Ich muß doch diese „Poetischen Pulsschläge" selbst
lesen, dachte ich mir. Ich ging am andern Morgen in die Verlags¬
handlung und erkannte in dem Verleger einen täglichen Nachbar im
I?ni. Ich verlangte ein Exemplar der Pulsschläge und erzählte
ihm zugleich von der reizenden Begeisterung der hübschen Unbekann¬
ten- Er lachte schelmisch und zwinkerte mit den Augen; ich war
nicht wenig neugierig und nach vielem Drängen und Fragen, ob er
die Dame kenne, platzte er endlich heraus: Wie sollte ich se> nicht
kennen? Sie ist ja meine Reclame. — Ihre Reclame? — Frei¬
lich! Sehen Sie, meine Herren Collegen, wenn sie ein neues Buch
verlegen, plagen sich seit Jahren mit kleinen Journalartikeln und
Lobnotizen, denen das Publicum keinen Glauben mehr schenkt. Darum
habe ich einen neuen Weg eingeschlagen. Ich versuche es statt mit
der gedruckten Reclame, mit einer lebendigen, die mit hübschen Augen
und verführerischen Worten von einem Salon in den andern geht
und meine Waare anpreist. Die junge Dame, die in diesem Augen¬
blicke für mich thätig ist, Sie haben sie gesehen, es ist eine Frau,
deren Schönheit und vortrefflicher Ruf sie zum Lieblinge unserer


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[0607] Die Gesellschaft war zahlreich. Man sprach vom Theater, von Li¬ teratur, von classischer und romantischer Poesie, und namentlich bil¬ dete sich eine Gruppe um eine junge hübsche Frau von ungefähr acht und zwanzig Jahren, die vortrefflich sprach und trotz ihrer Ele¬ ganz den Blaustrumpf ein wenig durchschimmern ließ. Das Gespräch drehte sich um einen so eben erschienenen Band Gedichte unter dem Titel: Poetische Pulsschläge. Die junge Dame sprach mit Begei¬ sterung von diesen Versen. Sie erzählte, der junge bisher noch ganz unbekannte Dichter, habe bereits früher einige seiner Poesien Beran- ger und Lamartine zugesendet und von ihnen enthusiastische Briefe erhalten. Ein Prozeß, den er wegen einer beißenden Satyre zu er¬ leiden hatte, habe einiges Aufsehen gemacht, ohne ihn jedoch im großen Publicum bekannt zu machen. Indessen sei es nicht zu be¬ zweifeln, daß die so eben erschienene Gedichtsammlung den ungeheuer¬ sten Erfolg haben müsse und ihn unter die ersten Dichter unserer Zeit stelle. Die erst- Auflage sei bereits in wenigen Tagen ver¬ griffen worden und ein deutscher Fürst, ein großer Verehrer fran¬ zösischer Literatur, habe ihm einen kostbaren Brillantring zugeschickt. Noch zu wiederholten Malen kam die reizende Frau auf ihren jungen Dichter zurück und es gab kaum eine Person in der Gesellschaft, die sie nicht für ihn zu interessiren wußte. Der Aufall wollte, daß ich mich acht Tage.spater in einem andern Salon mit derselben Dame wieder fand. Ich hörte sie wieder sprechen; es war derselbe Gegen¬ stand, der sie beschäftigte, sie schien ganz von ihm erfüllt, wie Je¬ mand, der voll Enthusiasmus ist über einen glänzenden Fund, den er in Mitten eines ganzen Haufens literarischer Alltagserzeugnisse entdeckt hat. Ich muß doch diese „Poetischen Pulsschläge" selbst lesen, dachte ich mir. Ich ging am andern Morgen in die Verlags¬ handlung und erkannte in dem Verleger einen täglichen Nachbar im I?ni. Ich verlangte ein Exemplar der Pulsschläge und erzählte ihm zugleich von der reizenden Begeisterung der hübschen Unbekann¬ ten- Er lachte schelmisch und zwinkerte mit den Augen; ich war nicht wenig neugierig und nach vielem Drängen und Fragen, ob er die Dame kenne, platzte er endlich heraus: Wie sollte ich se> nicht kennen? Sie ist ja meine Reclame. — Ihre Reclame? — Frei¬ lich! Sehen Sie, meine Herren Collegen, wenn sie ein neues Buch verlegen, plagen sich seit Jahren mit kleinen Journalartikeln und Lobnotizen, denen das Publicum keinen Glauben mehr schenkt. Darum habe ich einen neuen Weg eingeschlagen. Ich versuche es statt mit der gedruckten Reclame, mit einer lebendigen, die mit hübschen Augen und verführerischen Worten von einem Salon in den andern geht und meine Waare anpreist. Die junge Dame, die in diesem Augen¬ blicke für mich thätig ist, Sie haben sie gesehen, es ist eine Frau, deren Schönheit und vortrefflicher Ruf sie zum Lieblinge unserer 7V*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/607>, abgerufen am 14.05.2024.