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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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zuspeisen, darum errichten ihm England, Frankreich und Rußland
seine blutige Schaubühne in fremden Welttheilen, wo er noch ganz
in der alten Soldatentracht auftritt und zuhaut, ohne zu raisonniren.
Wenn England auf die Sikhs einhaut, so meint es eigentlich die
Russen; wenn Frankreich auf die Bedouinen losschlägt, so meint es
eigentlich "das perfide Albion" und das Mittelmeer; Rußland aber,
wenn es den Kaukasus stürmt, träumt dabei von Konstantinopel und
dem alten byzantinischen Kaiserthum. Nur die armen Polen, in
ihrem letzten Fieberanfall, sagten aufrichtig, wen sie meinten und was
sie wollten; sie appellirten an den modernen Kriegsgott, an Mars,
den Richter, an den Lenker beim Gottesurtheil über die Nationen.
Darum das allgemeine Geschrei über die Friedensstörer, darum der
allgemeine Abscheu über ihr "wahnsinniges, frevelhaftes Beginnen".
Polen hatte-vergessen, daß sein Name ausgelöscht ist an der Börse
der europäischen Politik, wo es eigentlich niemals Geschäfte machte:
die Bankiers haben es daher hinausgejagt und abgewiesen, wie einen
bankerotten Kaufmann. Der vielgepriesene Friede ist für Manche
ein stupider Todtengräber, gleich jenem auf dem Leipziger Schlacht¬
feld, der einen verwundeten Krieger in die Grube warf, und als die¬
ser schrie: "Halt, ich lebe noch!" ihm zurief: "Das könnte Jeder
sagen." Und so wollen die Todtengräber auch das arme Polen auf
die Auferstehung der Todten vertrösten. Wenn sie nur nicht näher
ist, als Viele glauben. So gewiß der Traum des Ideologen im
vorigen Jahrhundert gräßlich Lügen gestraft wurde, so wenig wird
auch der Diplomatcntraum von Heute in Erfüllung gehen.

-- Es ist nicht zu läugnen, wir Deutsche werden täglich praktischer.
Man darf nur die Zeitungen lesen und den Standpunkt beobachten,
von welchem viele Correspondenten die letzten Ereignisse in Polen be¬
urtheilen. Es gab ein Dutzend Stimmen aus einer gewissen Gegend,
welche jedesmal den commerciellen Gesichtspunkt zuerst ins Auge fa߬
ten. 'Wie wird die Ostermesse ausfallen? das ist die Frage. Ob's
edler im Gemüth, auf Pelz und Leder zu verzichten, der Käufer
Flausen, der Verkäufer Noth zu tragen oder --. Dieses Oder macht
sich in einem sächsischen Blatte Luft, welches den polnischen Jnsur^
geilem, notabene nachdem sie geschlagen sind, mir komischem Zorne
zuruft, sie hatten durchaus auf keine Sympathie unter dem deutschen
Handelsstande zu rechnen! Als ob sich das nicht von selbst verstünde!
Hoffentlich ist der deutsche Handelsstand loyal genug, um keine Re¬
volution zu wünschen, auch wenn die Messen dabei doppelt floriren
und die polnischen Ducaten in dreifacher Fülle nach Frankfurt an
der Oder, nach Frankfurt am Main und nach Leipzig strömen wür¬
den. Anders verhielte es sich mit einer gelungenen Revolution, denn
die Aushebung der Grenzsperre zwischen Russisch- und Preußischpolen


zuspeisen, darum errichten ihm England, Frankreich und Rußland
seine blutige Schaubühne in fremden Welttheilen, wo er noch ganz
in der alten Soldatentracht auftritt und zuhaut, ohne zu raisonniren.
Wenn England auf die Sikhs einhaut, so meint es eigentlich die
Russen; wenn Frankreich auf die Bedouinen losschlägt, so meint es
eigentlich „das perfide Albion" und das Mittelmeer; Rußland aber,
wenn es den Kaukasus stürmt, träumt dabei von Konstantinopel und
dem alten byzantinischen Kaiserthum. Nur die armen Polen, in
ihrem letzten Fieberanfall, sagten aufrichtig, wen sie meinten und was
sie wollten; sie appellirten an den modernen Kriegsgott, an Mars,
den Richter, an den Lenker beim Gottesurtheil über die Nationen.
Darum das allgemeine Geschrei über die Friedensstörer, darum der
allgemeine Abscheu über ihr „wahnsinniges, frevelhaftes Beginnen".
Polen hatte-vergessen, daß sein Name ausgelöscht ist an der Börse
der europäischen Politik, wo es eigentlich niemals Geschäfte machte:
die Bankiers haben es daher hinausgejagt und abgewiesen, wie einen
bankerotten Kaufmann. Der vielgepriesene Friede ist für Manche
ein stupider Todtengräber, gleich jenem auf dem Leipziger Schlacht¬
feld, der einen verwundeten Krieger in die Grube warf, und als die¬
ser schrie: „Halt, ich lebe noch!" ihm zurief: „Das könnte Jeder
sagen." Und so wollen die Todtengräber auch das arme Polen auf
die Auferstehung der Todten vertrösten. Wenn sie nur nicht näher
ist, als Viele glauben. So gewiß der Traum des Ideologen im
vorigen Jahrhundert gräßlich Lügen gestraft wurde, so wenig wird
auch der Diplomatcntraum von Heute in Erfüllung gehen.

— Es ist nicht zu läugnen, wir Deutsche werden täglich praktischer.
Man darf nur die Zeitungen lesen und den Standpunkt beobachten,
von welchem viele Correspondenten die letzten Ereignisse in Polen be¬
urtheilen. Es gab ein Dutzend Stimmen aus einer gewissen Gegend,
welche jedesmal den commerciellen Gesichtspunkt zuerst ins Auge fa߬
ten. 'Wie wird die Ostermesse ausfallen? das ist die Frage. Ob's
edler im Gemüth, auf Pelz und Leder zu verzichten, der Käufer
Flausen, der Verkäufer Noth zu tragen oder —. Dieses Oder macht
sich in einem sächsischen Blatte Luft, welches den polnischen Jnsur^
geilem, notabene nachdem sie geschlagen sind, mir komischem Zorne
zuruft, sie hatten durchaus auf keine Sympathie unter dem deutschen
Handelsstande zu rechnen! Als ob sich das nicht von selbst verstünde!
Hoffentlich ist der deutsche Handelsstand loyal genug, um keine Re¬
volution zu wünschen, auch wenn die Messen dabei doppelt floriren
und die polnischen Ducaten in dreifacher Fülle nach Frankfurt an
der Oder, nach Frankfurt am Main und nach Leipzig strömen wür¬
den. Anders verhielte es sich mit einer gelungenen Revolution, denn
die Aushebung der Grenzsperre zwischen Russisch- und Preußischpolen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/610>, abgerufen am 29.05.2024.