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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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man immerhin annehmen, denn sonst wäre ja die Speculation
schlecht; aber man muß auch bedenken, daß es noch Gründe genug
geben kann, selbst bei dem Bewußtsein einer nicht vorzüglichen Wahl,
oder doch bei nicht wirklich begründeter Ueberzeugung von deren Zweck¬
mäßigkeit, die Speculation eine Zeitlang aufrecht zu erhalten. Man
muß Diejenigen welche Geld hergeben und auf Dividenden speculiren,
von Denen unterscheiden, welche das Project machen und welche recht
gut ihren Vortheil finden können', selbst wenn das Project hinterher
zusammenbricht. Den ersteren würde daran gelegen sein, gut zu wäh¬
len, und ihr Interesse würde mit dem der Auswanderer zum gro¬
ßen Theile Hand in Hand gehen; den letzteren aber, welche eben
Projectenmacher sind, stehen immer neue Wege genug offen, und ihr
Interesse ist keineswegs mit dem der armen Auswanderer verbunden.
Bei dem Streit um das Moskitoland kommt noch ein anderes Ele¬
ment hinzu. Die brasilianische Regierung wünscht deutsche Colonisten
heranzuziehen; ihren Agenten ist deshalb darangelegen gegen anderweitige
Colonisationsversuche Opposition zu machen. Niemand leidet bei dem
aber so sehr, als die unglücklichen Auswanderer, die eine Beute ver¬
derblicher Climaten, der Habgier hartherziger Spekulanten und ge¬
winnsüchtiger Schaffner, und zuletzt unsäglichen Elends werden. Erst
eben wieder haben wir so schreckliche Botschaft von dem Schicksale
jener nach Rio gewanderter Menschenmasse (über 1900 Köpfe) durch
die Zeitungen erhalten. Pfui der Zänkereien darüber, ob unsere
Landsleute in Brasilien oder an der Moskitoküste geschlachtet werden
sollen! DaS Eine was Noth thut, ist, daß die Auswanderungen
unter irgend eine wirksame Obhut gestellt werden. Zu diesem Ende
hatte sich in Berlin ein Verein bilden wollen, der, wie es scheint,
nunmehr gänzlich eingeschlafen ist. Ich kann darüber nichts sagen,
ob die Moskitogesellschaft gut gewählt habe, oder nicht; aber was ich
sagen kann, ist, daß sie das Unrecht auf sich geladen hat, um ihrer
Speculation willen, jenen Verein, der sich Fürsorge für die deutschen
Auswanderungen überhaupt zur Aufgabe stellte und einen philanthro¬
pischen Zweck hatte, zu sprengen. Sage ich aber: die Moskitogesell¬
schaft, so sage ich in der That zu viel. Die Moskitogesellschaft ist
ein späteres Geschöpf; sie, als Gesellschaft ist unschuldig an der Ver-
störung jenes damals in der Bildung begriffenen Vereins. Es waren
nur einige Herren, welche den Verein für das Moskitounternehmen
zu gewinnen suchten, weil es ihnen von Werth schien, diesem Un¬
ternehmen, welches übrigens als Privatunternehmen, wie bekannt,
schon begründet war, eine Gesellschaft zur Unterlage zu geben, und
welche, da ihre Absicht an dem ernsten Willen der meisten zur Bil¬
dung des Vereines zusammengetretenen Personen scheiterte, die nur
Sorge für deutsche Auswanderer überhaupt im Auge hatten, durch


man immerhin annehmen, denn sonst wäre ja die Speculation
schlecht; aber man muß auch bedenken, daß es noch Gründe genug
geben kann, selbst bei dem Bewußtsein einer nicht vorzüglichen Wahl,
oder doch bei nicht wirklich begründeter Ueberzeugung von deren Zweck¬
mäßigkeit, die Speculation eine Zeitlang aufrecht zu erhalten. Man
muß Diejenigen welche Geld hergeben und auf Dividenden speculiren,
von Denen unterscheiden, welche das Project machen und welche recht
gut ihren Vortheil finden können', selbst wenn das Project hinterher
zusammenbricht. Den ersteren würde daran gelegen sein, gut zu wäh¬
len, und ihr Interesse würde mit dem der Auswanderer zum gro¬
ßen Theile Hand in Hand gehen; den letzteren aber, welche eben
Projectenmacher sind, stehen immer neue Wege genug offen, und ihr
Interesse ist keineswegs mit dem der armen Auswanderer verbunden.
Bei dem Streit um das Moskitoland kommt noch ein anderes Ele¬
ment hinzu. Die brasilianische Regierung wünscht deutsche Colonisten
heranzuziehen; ihren Agenten ist deshalb darangelegen gegen anderweitige
Colonisationsversuche Opposition zu machen. Niemand leidet bei dem
aber so sehr, als die unglücklichen Auswanderer, die eine Beute ver¬
derblicher Climaten, der Habgier hartherziger Spekulanten und ge¬
winnsüchtiger Schaffner, und zuletzt unsäglichen Elends werden. Erst
eben wieder haben wir so schreckliche Botschaft von dem Schicksale
jener nach Rio gewanderter Menschenmasse (über 1900 Köpfe) durch
die Zeitungen erhalten. Pfui der Zänkereien darüber, ob unsere
Landsleute in Brasilien oder an der Moskitoküste geschlachtet werden
sollen! DaS Eine was Noth thut, ist, daß die Auswanderungen
unter irgend eine wirksame Obhut gestellt werden. Zu diesem Ende
hatte sich in Berlin ein Verein bilden wollen, der, wie es scheint,
nunmehr gänzlich eingeschlafen ist. Ich kann darüber nichts sagen,
ob die Moskitogesellschaft gut gewählt habe, oder nicht; aber was ich
sagen kann, ist, daß sie das Unrecht auf sich geladen hat, um ihrer
Speculation willen, jenen Verein, der sich Fürsorge für die deutschen
Auswanderungen überhaupt zur Aufgabe stellte und einen philanthro¬
pischen Zweck hatte, zu sprengen. Sage ich aber: die Moskitogesell¬
schaft, so sage ich in der That zu viel. Die Moskitogesellschaft ist
ein späteres Geschöpf; sie, als Gesellschaft ist unschuldig an der Ver-
störung jenes damals in der Bildung begriffenen Vereins. Es waren
nur einige Herren, welche den Verein für das Moskitounternehmen
zu gewinnen suchten, weil es ihnen von Werth schien, diesem Un¬
ternehmen, welches übrigens als Privatunternehmen, wie bekannt,
schon begründet war, eine Gesellschaft zur Unterlage zu geben, und
welche, da ihre Absicht an dem ernsten Willen der meisten zur Bil¬
dung des Vereines zusammengetretenen Personen scheiterte, die nur
Sorge für deutsche Auswanderer überhaupt im Auge hatten, durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/98>, abgerufen am 13.05.2024.