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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ner vereinzelten Natur befangen, ihrem Grundprincip auf die Spur
zu kommen; er hoffte die Nebel schauriger Düsterkeit, die ihm seinen
tiefinnerster Gott verhüllten, im Licht aller menschlichen Erkenntniß zu
zerstreuen. So jagte er sich von einer Wissenschaft in die andere, mit
heißem, nach Beruhigung lechzender Herzen ; war heute Philosoph und
MetaPhysiker und verfolgte morgen die irren Wege des Rechts oder
ging den Geheimnissen der Natur in den Gesetzen der Heilkunde nach,
studirte Astronomie und las den Homer und die Bibel in der Ursprache.
Es ist mit Staunen wahrgenommen worden, welchen unschätzbaren
Reichthum an Wissen er in sich aufgespeichert hatte, aber "keiner von
den Erdenplundern lange mich behalten kann." Buckle sein Geist im
Wissensdrange auch "durch ein Fenster in die Welt", er vermag es
nicht lange die Finsterniß anzustieren

Ermüdet und doch rastlos nach dem Heil suchend, verließ er Bü¬
cher und Pergamentrollen und verschrieb sich dem Genuß. Eine Reise
in die österreichischen Alpen antretend, warf er sich mit einer durch
Studien und Nachdenken nur geschärften Empfänglichkeit an's Herz
der Natur. Noch hatte er nicht die Kraft in sich entdeckt, der reichen
Welt seiner eigenthümlichen Anschauungen durch das gestaltende Wort
einen sie ganz fassenden Körper zu geben und zu ernst war sein Sinn,
als daß er, wie so Viele mit Sprachtändeleien hätte beginnen sollen,
die gewöhnlich mehr eine Entweihung als eine Ankündigung der ei¬
gentlichen Dichterkraft sind. Er blieb stumm; aber als die Betrach¬
tung einer großartigen Natur alle schaurigen Elemente seines Wesens
durch einander rüttelte und ihm eine räthselhafte innige Verwandtschaft
mit ihren erhabensten Erscheinungen verkündete; als ihm die Natur
grell und laut, Antwort heischend in's Herz schrie, daß auch über ihr
ein trostloser Schmerz hängt, die Sehnsucht nach einem verlorenen Pa¬
radiese, wie im Menschen nach einer verlor'nen Versöhnung mit Gott
und der Welt, -- da riß das Band seiner Zunge, wie beim stummen
Sohn des Krösus, als er das Schwert hängen sah über dem theuersten
Haupt. Er sang seine ersten Lieder, sie flössen gleich lang verhaltenen
Thränenströmen, in die sich die Erschütterungen eines reichen, gewalti- .
gen Seelenlebens aufgelöset hatten.


ner vereinzelten Natur befangen, ihrem Grundprincip auf die Spur
zu kommen; er hoffte die Nebel schauriger Düsterkeit, die ihm seinen
tiefinnerster Gott verhüllten, im Licht aller menschlichen Erkenntniß zu
zerstreuen. So jagte er sich von einer Wissenschaft in die andere, mit
heißem, nach Beruhigung lechzender Herzen ; war heute Philosoph und
MetaPhysiker und verfolgte morgen die irren Wege des Rechts oder
ging den Geheimnissen der Natur in den Gesetzen der Heilkunde nach,
studirte Astronomie und las den Homer und die Bibel in der Ursprache.
Es ist mit Staunen wahrgenommen worden, welchen unschätzbaren
Reichthum an Wissen er in sich aufgespeichert hatte, aber „keiner von
den Erdenplundern lange mich behalten kann." Buckle sein Geist im
Wissensdrange auch „durch ein Fenster in die Welt", er vermag es
nicht lange die Finsterniß anzustieren

Ermüdet und doch rastlos nach dem Heil suchend, verließ er Bü¬
cher und Pergamentrollen und verschrieb sich dem Genuß. Eine Reise
in die österreichischen Alpen antretend, warf er sich mit einer durch
Studien und Nachdenken nur geschärften Empfänglichkeit an's Herz
der Natur. Noch hatte er nicht die Kraft in sich entdeckt, der reichen
Welt seiner eigenthümlichen Anschauungen durch das gestaltende Wort
einen sie ganz fassenden Körper zu geben und zu ernst war sein Sinn,
als daß er, wie so Viele mit Sprachtändeleien hätte beginnen sollen,
die gewöhnlich mehr eine Entweihung als eine Ankündigung der ei¬
gentlichen Dichterkraft sind. Er blieb stumm; aber als die Betrach¬
tung einer großartigen Natur alle schaurigen Elemente seines Wesens
durch einander rüttelte und ihm eine räthselhafte innige Verwandtschaft
mit ihren erhabensten Erscheinungen verkündete; als ihm die Natur
grell und laut, Antwort heischend in's Herz schrie, daß auch über ihr
ein trostloser Schmerz hängt, die Sehnsucht nach einem verlorenen Pa¬
radiese, wie im Menschen nach einer verlor'nen Versöhnung mit Gott
und der Welt, — da riß das Band seiner Zunge, wie beim stummen
Sohn des Krösus, als er das Schwert hängen sah über dem theuersten
Haupt. Er sang seine ersten Lieder, sie flössen gleich lang verhaltenen
Thränenströmen, in die sich die Erschütterungen eines reichen, gewalti- .
gen Seelenlebens aufgelöset hatten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/450>, abgerufen am 22.05.2024.